Trauriger, nachdenklicher, reifer: Ed Sheeran Foto: Atlantic/Asylum/Annie Leibovitz

Der unwahrscheinlichste aller Superstars macht weiter Mathematik und widmet sich dem Minuszeichen: Auf dem Album „-“ führt Ed Sheeran vor, dass weniger mehr ist – und singt meistens in dezent verzierten naturromantischen Folkpopsongs von Verlust und Vergänglichkeit.

Der Mann, für den kein Stadion der Welt groß genug ist, steht umringt von Fans im Berliner Admiralspalast, in den nur 1200 Zuschauer passen. Es ist mucksmäuschenstill. Ed Sheeran hat alle Verstärker ausgeschaltet, dreht sich mit umgehängter Gitarre im Kreis und beginnt „The A Team“ zu singen. Doch er bricht sofort ab, als das Publikum, das jede Zeile dieses Songs, der Sheeran vor zwölf Jahren berühmt gemacht hat, auswendig kennt, einstimmt: „Sorry, so geht es nicht“, sagt er, „heute müsst ihr mir einfach nur beim Singen zuhören.“

Ed Sheeran mag es im Finale dieses exklusiven Konzerts im April intim – und gibt damit bereits den Ton vor für sein neues Album, das an diesem Freitag erschienen ist. Er borgt sich für den Titel ein letztes Mal ein mathematisches Symbol: Nach dem Plus-, Mal-, Geteilt- und Gleichheitszeichen ist jetzt das Minus dran. Und besser hätte er den Titel kaum auswählen können. Auf „-“ ist die Kunst des Weglassens das zentrale Moment der musikalischen Inszenierung, und nahezu jeder Songs auf dem Album verarbeitet Verlusterfahrungen.

Songs, die vom Folk geprägt sind

„I need the elements to remind me / There’s beauty when it’s bleak“ singt Ed Sheeran im dezent mit Streichern verzierten Song „Boat“: Ich brauche die Naturgewalten, um mich daran zu erinnern, dass im Kargen Schönheit lauert. Er erzählt von Wunden, die vielleicht nie heilen, aber auch davon, dass es der stürmischen See nicht gelingen wird, sein Boot zum Kentern bringen wird.

Fluffige Pophits und Stadionhymnen sucht man vergeblich auf dem Album. Wie „The Boat“ sind die meisten Songs vom Folk und von Trauerarbeit geprägt. Von „Life Goes On“ über „Sycamore“ bis „The Hills of Aberfeldy“ – stets steht die Akustikgitarre im Zentrum der musikalischen Inszenierung, Grooves, Streicher oder Elektronik werden nur zurückhaltend eingesetzt. Und immer wieder wird die Natur in der Tradition der Romantiker zum Spiegel der eigenen Seele.

Die Natur als Spiegel der Seele

Während „The Boat“ einer Durchhalteparole glicht, die den Widrigkeiten des Lebens trotzt, verbirgt sich in „Salt Water“ zum Beispiel der dunkle Wunsch, sich einfach fallen zu lassen, in den Tiefen des kalten Meeres zu verschwinden. Ed Sheeran füllt seine Songs mit so vielen Naturbeschreibungen, das man glaubt, den salzigen Geruch des Meeres zu riechen, das Rauschen des Windes zu hören und den Regen zu spüren.

„-“ ist das bisher düsterste Kapitel im Werk des britischen Singer/Songwriters, der im Februar 32 Jahre alt geworden ist, bisher über 150 Millionen Tonträger verkauft und als erster Künstler über 100 Millionen Follower bei Spotify gesammelt hat. Und dennoch bedient er trotz seiner vielen Tattoos so gar nicht das Popstar-Klischee, ist als Ein-Mann-Boygroup, als struppigroter Wuschelkopf der bescheidenen Sympathieträger geblieben, der nette Kumpel aus Ipswich, mit dem man abends um die Häuser zieht.

Tod eines Freundes, Krankheit der Ehefrau

Auf seinem fünften Album lässt er einen nun aber auch teilhaben an einigen der schwersten Momente in seinem Leben. Sheeran hat eine schwere Zeit hinter sich, hatte mit psychischen Problemen zu kämpfen, wurde wegen Urheberrechtsverletzung verklagt, musste zwei erschütternde Erlebnisse verarbeiten: Jamal Edwards, Sheerans bester Freund und Förderer, starb im Alter von 31 Jahren. Und bei Sheerans Ehefrau Cherry Seaborn wurde – während sie mit der zweiten Tochter Jupiter schwanger war – ein Tumor festgestellt. Dieser wurde zwar inzwischen entfernt, doch das Erleben von Trauer und Verlustangst, die Erfahrung, dass alles Glück vergänglich ist, prägt das Album.

Den zarten Song „Vega“ hat Sheeran unmittelbar nach der Krebsdiagnose seiner Frau geschrieben. Während der Regen aufs Dach prasselt, fragt er sich, ob jetzt der Zeitpunkt für Gebete ist, er versucht sich selbst Mut zu machen und bettelt schließlich ergreifend darum, dass seine Frau das alles überstehen wird. „Eyes Closed“ ist dagegen eines der Abschiedslieder für den verloren Freund und der Versuch, dessen Abwesenheit zu verarbeiten: „Just dancin’ with my eyes closed / ’Cause everywhere I look, I still see you“: Ich tanze mit geschlossenen Augen, denn wo immer ich auch hinschaue, sehe ich immer noch dich.

Selbsttherapie als Album und Dokuserie

Wem Ed Sheerans Selbsttherapie in den Songs auf „-“ zu subtil ist, kann es auch einfacher und direkter haben: Seit Mittwoch ist bei Disney+ die Dokuserie „The Sum Of It All“ zu sehen, in der der Musiker zusammen mit seiner Frau ungewohnt freimütig über all die Erfahrungen spricht, die ihn in den letzten Jahren trauriger, nachdenklicher, aber auch reifer haben werden lassen.

Wer sich aber Zeit nimmt und sich einlässt auf diese Songs, der kommt auch ohne diese Doku Ed Sheeran ganz nahe. Man kann all diese Erfahrungen, die ihn geprägt haben, unmittelbar miterleben, nachfühlen, wenn man ihm einfach nur beim Singen zuhört.

Ed Sheeran: Album, Serie und Rechtsstreit

Musik
Das fünfte Album von Ed Sheeran trägt den Titel „-“ (Warner/Atlantic) und ist am Freitag, 5. Mai, erschienen.

Das Cover des neuen Albums von Ed Sheeran Foto: Warner

Doku
Die Miniserie „The Sum Of It All“ ist seit Mittwoch, 3. Mai, bei Disney+ abrufbar und zeigt mit vielen privaten Aufnahmen ein intimes Porträt des britischen Musikers.

Urteil
Ed Sheeran hat am Donnerstag in einem Prozess wegen angeblicher Copyright-Verletzungen in New York Recht bekommen. Sheeran habe seinen Song „Thinking Out Loud“ nicht von dem Lied „Let’s Get It On“ von Marvin Gaye abgeschrieben, befand eine Jury am nach mehrstündigen Beratungen einstimmig. Sheeran hatte sich in dem Prozess teils selbst verteidigt und die Vorwürfe zurückgewiesen.