Carsharing boomt - wir vergleichen die Anbieter in Stuttgart. Foto: dpa

Nach Daimler und BMW verleiht auch Volkswagen Autos. Bisher ist das nur gut für das Ansehen.

Stuttgart - BMW in München und Berlin, VW in Hannover, Daimler in Ulm, Hamburg und bald auch in Stuttgart: Die deutschen Autohersteller haben Car-Sharing als Zukunftsmodell entdeckt und überrollen eine Stadt nach der anderen. Verdient ist damit bisher zwar nichts - schon in wenigen Jahren soll die Zahl der Nutzer allerdings explodieren.

Mehr als 15 Minuten Stillstand halten Miriam und Arthur nicht aus. Ob alles okay sei, will eine Geisterstimme wissen, wenn Miriam zwar entriegelt, aber 15 Minuten nicht in Bewegung gesetzt wurde. "Antwortet der Fahrer nicht, kommt ein Servicemitarbeiter und schaut nach", sagt Michael Fischer. Der ist Sprecher der Drive-Now GmbH, die für BMW seit Juni Car-Sharing anbietet - und Miriam, Arthur sowie Hunderte weitere benamste Mini- und 1er-BMW-Modelle auf die Straße schickt.

Car-Sharing boomt

Ob Fahrzeuge mit oder ohne Namen und mit oder ohne persönliche Kontrolle - Car-Sharing boomt. Der gleichnamige Bundesverband zählte zu Jahresbeginn deutschlandweit rund 190.000 Nutzer, jedes Jahr melden sich zwischen 15 und 20 Prozent mehr fürs Autoteilen an. Zu den über 100 privaten und kommerziellen Initiativen, die es seit Jahren gibt, kommen neuerdings Angebote der Autohersteller hinzu: Der Stuttgarter Daimler-Konzern wagte 2008 den Pilotversuch in Ulm, inzwischen fährt eine vierstellige Car-Sharing-Flotte in gut einem halben Dutzend weiterer Städte in Europa, Kanada und den USA. Mit 50.000 Nutzern dürfte Daimler für die Konkurrenz nur schwer einzuholen sein, versucht wird es freilich trotzdem: Im Juni zog BMW mit Drive-Now in München nach, seit September fahren Miriam und ihre vierrädrigen Brüder und Schwestern zudem in Berlin - in beiden Städten zusammen haben sich bis heute rund 10.000 Interessierte angemeldet. Als dritter deutscher Hersteller geht am Mittwoch Volkswagen mit Quicar in Hannover an den Start; der französische Autobauer Peugeot bietet mit Mu seit längerem in ausgewählten deutschen Städten Mietfahrzeuge an.

Deren Nutzung funktioniert bei den Autoherstellern fast identisch: Kunden melden sich im Internet an, lassen sich einmalig einen Chip auf den Führerschein kleben und können fortan nach Belieben Autos leihen. Der Chip entriegelt die Fahrzeuge und identifiziert den jeweiligen Kunden, abgerechnet wird im Minutentakt. Eine halbe Stunde Fahrt mit einem Quicar-Golf kostet sechs Euro, jede weitere Minute 20 Cent. Daimler und BMW verlangen für ihre Fahrzeuge 29 Cent die Minute, Parken wird mit neun beziehungsweise zehn Cent berechnet. Nach dem 20. Kilometer verlangt Daimler für benzinbetriebene Autos künftig einen Aufpreis. Wo die Autos zum Leihen stehen, erfährt der Kunde übers Internet.

Junge Menschen verzichten auf eigenes Auto

Dass die Autobauer ausgerechnet jetzt mit Car-Sharing auf den Markt drängen, hat seinen Grund: Immer mehr junge Menschen verzichten auf ein eigenes Auto, im Jahr 2050 führt das nach Forschermeinung dazu, dass auf 1000 Einwohner 250 Autos kommen - weniger als die Hälfte im Vergleich zu heute. Damit die wachsende Zahl an Nicht-Autobesitzern der Industrie nicht gänzlich verloren geht, versucht es diese mit geteilten Autos. "Car-Sharing ist ein Konzept, das in Zukunft immer stärker angenommen wird, da wollen wir dabei sein", heißt es bei VW. Pionier Daimler sieht sich inzwischen durch die Nachzügler BMW und VW bestätigt, "dass das Geschäftsmodell nicht so falsch sein kann". Positiver Nebeneffekt: Wer sich mal einen Smart, Mini oder Golf geliehen hat, greift bei einem später eigenen Auto vielleicht darauf zurück. Sogar Porsche schließt Car-Sharing nicht aus - sobald der Trend im Segment der Sport- und Geländewagen relevant wird.

Bereits 2020 erwarten Marktbeobachter bis zu sechs Millionen potenzielle Car-Sharing-Kunden, eine Million davon will allein der Premiumhersteller BMW bedienen. Zwar spielt Konkurrenz bisher kaum eine Rolle, jeder Autobauer hat seine Car-Sharing-Flotte in einer anderen Stadt positioniert. Die Anbieter sind aber heute schon darauf bedacht, sich von ihren Mitbewerbern abzuheben: Daimler-Herausforderer BMW stellt insbesondere die hohe Qualität seiner Fahrzeuge heraus, Miriam, Arthur und die anderen 1er-BMW und Mini werden alle zehn Monate von neuen Modellen abgelöst. Dagegen wirbt Volkswagen mit einer hohen Fahrzeug-Verfügbarkeit: Weil Quicar-Kunden in Hannover feste Stationen zum Abholen und Zurückgeben haben, "wissen die Leute immer, wo sie ein Auto vorfinden", sagt VW-Sprecher Eric Felber. Ebendieses lehnen BMW und Daimler als Nachteil ab, "feste Stationen schränken die Flexibilität erheblich ein", meint der Drive-Now-Experte Fischer. Wie bei Daimler's Car2go stellen auch Drive-Now-Kunden ihr Fahrzeug einfach in der Stadt ab.

1,5 Personen pro Autofahrt

Warum das geteilte Auto die Maße eines 1er-BMW oder VW Golf haben muss, kann wiederum Andreas Leo von Car2go nicht verstehen. "Statistisch sitzen pro Autofahrt 1,5 Personen im Wagen", sagt der Sprecher, unter der Marke Car2go rollen ausschließlich zweisitzige Smart. Verglichen mit der Konkurrenz legt Daimler bei der Expansion ein Rekordtempo vor, vergangene Woche verkündete der Autobauer den baldigen Start in Stuttgart, am Montag den in Wien. Zudem schickt Daimler immer mehr strombetriebene Stadtflitzer vor. Von 2014 an soll sich das für die Stuttgarter auch finanziell lohnen, BMW will mit Drive-Now nach "18 bis 24 Monaten pro Stadt profitabel werden".

Der Bundesverband Car-Sharing steht den Angeboten der Autobauer zunächst "abwartend" gegenüber. Ziel der Organisation ist es, die Umwelt zu entlasten, indem weniger Autos weniger Kilometer zurücklegen. Dem widerspricht nach Verbandsmeinung, dass Car2go- und Drive-Now-Nutzer womöglich minutenlang einen Parkplatz suchen müssen und die Zahl der gefahrenen Kilometer bei den Hersteller-Angeboten in der Regel keine Rolle spielt.

Dass die Autos bei BMW nicht nur einen Namen, sondern auch Familienanschluss besitzen, dürfte die Skeptiker kaum zufriedenstellen. BMW allerdings freut sich laut Fischer über gut gepflegte Fahrzeuge, denn: Die Drive-Now-Fangemeinde auf Facebook sorge sich um Miriam und Co. wie "eine Familie um ihr Eigentum".