GFT-Chef Ulrich Dietz (links) bringt im Stuttgarter Stadtteil Fasanenhof etablierte Unternehmer mit Existenzgründern wie Patrick Luik (2. v. li.) und Alexander Haußmann (re.) von ­Code2Order zusammen. Das Projekt – die Code-n-Spaces – leitet Moritz Gräter (2. v. re.). Foto: Jan Reich/Lichtgut

Ein neuer Existenzgründer-Campus in Stuttgart sorgt für Aufbruchstimmung in der Startup-Szene. Die Macher erhoffen sich auch neue digitale Geschäftsmodelle für die Region – vor allem im Automobil- und Maschinenbau.

Stuttgart - „Super Duper Studio“ ist in grellen Farben auf die riesige Glasfläche am Eingang gesprüht. Das klingt etwas albern und nach Größenwahn, doch das ist den Machern des neuen Start-up-Campus im Stuttgarter Stadtteil Fasanenhof egal. Denn sie wollen sich nicht nach Konventionen richten, sondern improvisieren, erfinden und verändern. „Wir wollen eine neue Denkweise schaffen, die geprägt ist von gegenseitigem Austausch, Inspiration sowie kreativem Arbeiten – und man muss bereit sein, etwas zu wagen“, sagt GFT-Chef Ulrich Dietz. „In der Region Stuttgart bauen die Unternehmen die besten Autos und Maschinen weltweit. Diesen Vorteil gilt es jetzt zu nutzen und zu erkennen, welche Chancen die Digitalisierung für unsere Wirtschaft bietet. Stillstand wäre fatal.“

Dietz hat sich in der Region Stuttgart zu einem Moderator entwickelt, der die alte Welt der Industrie mit der neuen der Informationstechnologie und des Internets zusammenbringen will. 1987 gründete der studierte Maschinenbauer GFT und entwickelte das Unternehmen zu einem der führenden IT-Dienstleister für die Finanzbranche. Doch die zweite Gründung ist seine wahre Herzenssache: Sein Innovationswettbewerb Code-n startete erstmals 2011 auf der Computermesse Cebit in Hannover und rangierte zuletzt in der Besuchergunst weit oben. 50 ausgewählte Existenzgründer präsentierten dort neue digitale Dienste und Produkte. Vor allem aber lockten sie immer mehr traditionelle Unternehmer an, die ihren Firmen eine digitale Frischzellenkur verpassen wollten. Alt und Neu hatten für kurze Zeit in Hannover zusammengefunden. Das wollte Dietz auch in Stuttgart schaffen – aber das auf Dauer.

In der neuen Firmenzentrale finden sie sich auf den Stockwerken zwei und drei – Code-n-Spaces hat sie Dietz genannt. Die Wände der Büros lassen sich beschreiben und verschieben, es gibt eine voll ausgestattete Küche und vielleicht bald auch Pritschen, auf denen die Entwickler nach einem ideenreichen Tag nächtigen können. „Das Garagen-Element, dieses nicht perfekte Gefühl“, hat es der Gestalter und Künstler Tobias Rehberger genannt. „Cool“ finden es die drei 25-jährigen Männer vom Start-up-Unternehmen Code2Order, die vor zwei Wochen dort eingezogen sind. Zuvor hatte sich das Trio aus Stuttgart und Esslingen mit seinem Geschäftsmodell – einem digitalen Bestellprozess für Hotels – beworben. Neben dem Business-Plan achtete Dietz auf die Offenheit und den Wagemut der Kandidaten. Im Gegenzug müssen die Jungunternehmer nur eine minimale Miete bezahlen.

Nach der Zusage kündigte Patrick Luik den Job

„Nach der Zusage habe ich sofort in meinem alten Job gekündigt“, sagt Code2Order-Mitgründer Patrick Luik. „Hier haben wir Freiräume, können uns austauschen und Mentoren und Investoren suchen.“ Jetzt wollen sie mit ihrem System die Hotelbranche modernisieren. Der Gast scannt mit dem Smartphone seinen Zimmercode und bekommt darauf den kompletten Service angezeigt, kann den Weckservice bedienen, Wünsche äußern oder für die Weiterfahrt das Taxi bestellen. Das Geschäft komme in Schwung – die ersten Hotelketten hätten bereits angefragt, sagt Luik. Bewusst hätten sie sich gegen die angesagten Start-up-Metropolen wie Berlin oder München entschieden. „Wir sind heimatverbunden – außerdem tut sich in Stuttgart immer mehr.“

Sätze wie diese gefallen Dietz. Er schätzt es nicht, wenn der Standort Stuttgart mit trendigen Städten wie Berlin oder gar dem kalifornischen Silicon Valley verglichen wird, man müsse sich doch auf die eigenen Stärken besinnen. „In der Region Stuttgart können IT und Industrie mit einer ganz anderen Kraft zusammenkommen – wie in keinem anderen Land der Welt.“ Der 57-Jährige spricht von einem eigenen „Erfolgscode“, die Chancen seien „riesengroß“. Doch dazu müsse sich der Automobil- und Maschinenbau stärker mit Universitäten, Start-up-Unternehmen sowie Land und Kommunen vernetzen.

„Der Austausch in unserer Region muss noch intensiver werden“

Moritz Gräter, dem Dietz im Sommer die Leitung des Code-n-Projekts übertragen hat, pflichtet ihm bei: „Der digitale Wandel stellt weltweit ganze Branchen auf den Kopf – das dürfen Unternehmen nicht verschlafen. Wir bieten ein internationales Ökosystem zum Andocken. Bei uns können große und mittelständische Firmen ihre Innovationsaktivitäten beschleunigen.“ Der 32-Jährige kritisiert das „Reservate-Denken“ vieler Unternehmen. Nur wer über seine Branche hinausdenke, könne neue Geschäftsmodelle entwickeln, die auch im digitalen Zeitalter Bestand hätten. Gräter spricht von einem Automobilzulieferer, der über Code-n einen Unternehmer für die Vernetzung von Häusern kennengelernt habe. Dieser nutze jetzt eine Technologie für sein Navigationssystem. „Oft sind doch Branchen interessant, die man gar nicht auf dem Plan hatte. Der Austausch in unserer Region muss noch intensiver werden.“

Was die Mitarbeiter vom Stuttgarter Start-up-Campus verändern wollen, war kürzlich bei der Eröffnungsparty zu erleben. Existenzgründer mischten sich bei Bier und Livemusik mit Forschern und etablierten Unternehmern, darunter auch jene, die sich gerade erst selbst eingemietet haben, um von den Ideen der Jüngeren zu profitieren. Viele von ihnen wünschten sich, dass der Austausch künftig noch intensiver wird – sei es bei Code-n oder anderen Initiativen wie dem Existenzgründerverein Startup Stuttgart. „Es gibt tolle Start-up-Initiativen in Stuttgart. Wir brauchen noch mehr Formate, damit die Szene auch mit den großen Unternehmen zusammenwächst“, sagt Gräter. „Wir müssen das riesige Potenzial endlich nutzen.“