Der 63-jährige Italiener Antonio Tajani wird künftig an der Spitze der 751 Abgeordneten in Straßburg stehen. Foto: AFP

Das Europaparlament spricht künftig Italienisch: Nach einem beispiellosen Machtpoker haben die 751 Abgeordneten den Italiener Antonio Tajani zum Präsidenten gewählt – und nebenbei eine neue Koalition geschmiedet.

Stuttgart - Im Europaparlament zeichnet sich eine neue politische Allianz ab: Nachdem es zwischen Sozialisten und Christdemokraten zum Krach über die Besetzung des Postens des Parlamentspräsidenten gekommen war und ihre informelle große Koalition als gescheitert erklärt wurde, schließen nun Christdemokraten und Liberale einen Pakt.

Auf den letzten Drücker ist es der christdemokratischen Fraktion (EVP) damit gelungen, einen Schulterschluss mit der liberalen Alde-Fraktion zu schließen. Die EVP, mit 217 Abgeordneten stärkste Fraktion im 751 Sitze umfassenden Haus, einigte sich mit den Liberalen, die über 68 Sitze verfügen, darauf, bei der Präsidentenwahl gemeinsame Sache zu machen. Der Fraktionschef der Liberalen, der 63-jährige Belgier Guy Verhofstadt, zog seine eigene Kandidatur für den Posten zurück. Damit waren die Chancen des EVP-Kandidaten Antonio Tajani, die Nachfolge von Martin Schulz anzutreten, kräftig gestiegen. Und die Sozialisten, die 189 Sitze haben und mit ihrem Fraktionschef Gianni Pitella ins Rennen gingen, schäumten. Sie ahnten, dass sie im Laufe der weiteren Wahlgänge das Nachsehen haben würden.

Ein langjähriger Gefolgsmann von Sivio Berlusconi

So kam es dann auch: In den ersten drei Wahlgängen lag Tajani vorn, verpasste aber die erforderliche absolute Mehrheit der Stimmen. Der Sozialist Pitella holte in der ersten Runde der geheimen Wahl nicht einmal so viele Stimmen wie seine Fraktion Sitze hat. Tajani setzte sich dann in der Stichwahl, bei der die relative Mehrheit reicht, am Abend mit 351 zu 282 Stimmen durch.

Der 63-Jährige, der zur christdemokratischen EVP-Fraktion gehört, tritt damit die Nachfolge von Martin Schulz (SPD) an. Schulz hat Ende November entschieden, nicht mehr anzutreten und nach Berlin zu wechseln, wo er Außenminister werden könnte. Der Jurist Tajani ist umstritten, weil er ein langjähriger Gefolgsmann von Silvio Berlusconi ist. Er ist seit 1994 im Europa-Parlament und wurde 2008 EU-Kommissar für Verkehr und später für Industrie. Ihm wird auch angekreidet, dass er als EU-Kommissar für Industrie angeblich Hinweise auf den VW-Skandal hatte, ihnen aber nicht nachgegangen ist.

Die Wahl ist ein Erfolg für den CSU-Politiker Weber

Der Entscheidung für Tajani war ein beispielloser Machtpoker zwischen Sozialisten und Christdemokraten voraus gegangen. Die EVP pochte vergeblich auf eine Vereinbarung mit den Sozialisten aus dem Jahr 2014, wonach sie zur Hälfte der Wahlperiode den Chefposten besetzen sollte. Die Sozialisten fühlten sich an diese Vereinbarung nicht mehr gebunden, weil an der Spitze von Kommission und Rat mit Jean-Claude Juncker und Donald Tusk bereits zwei Politiker aus der christdemokratischen Parteienfamilie stehen.

Die schlaue Vereinbarung zwischen Liberalen und EVP ist ein Erfolg für den Fraktionschef der EVP, den CSU-Politiker Manfred Weber. Damit war nämlich die Basis dafür gelegt, dass sein Kandidat am Ende zum Zuge kommen würde. Ein Scheitern von Tajani hätte eine Niederlage für Weber selbst bedeutet. Denn die Regelung der Schulz-Nachfolge war die erste große Personalentscheidung, die Weber als Fraktionschef regeln musste.

Eine absolute Mehrheit hat das neue Bündnis nicht

Für Guy Verhofstadt ist der Pakt mit den Christdemokraten vor allem aus machttaktischen Motiven wichtig. Der ehemalige belgische Ministerpräsident ist als Fraktionschef der Liberalen im Europaparlament schwer angeschlagen, seit er die Abgeordneten der italienischen Populisten von der Fünf-Sterne-Bewegung in seiner Fraktion aufnehmen wollte und dabei von seiner eigenen Fraktion ausgebremst worden war. Der Deal mit der EVP verschafft ihm da intern wieder Luft.

Manfred Weber ist zufrieden mit dem Bündnis mit den Liberalen. Allerdings bringen beide Fraktionen mit 285 Abgeordneten nicht die notwendigen Stimmen für eine absolute Mehrheit zustande. Da fehlen noch viele Stimmen, bis die beiden Partner richtig gestalten können. Die fehlenden Stimmen könnten von der konservativen EKR-Fraktion kommen. Weber räumte ein, dass es mit den Konservativen Absprachen im Vorfeld der Wahl des Parlamentspräsidenten gegeben habe. Es gebe allerdings „keine schriftliche Vereinbarung“.

Überlegungen zu einem Verfassungskonvent

Ihre neue Partnerschaft haben EVP und Liberale mit einem zwei Seiten langen Papier besiegelt. Darin bekräftigen sie ihre Absicht, Reformen in der EU voran zu treiben. Es solle ein gemeinsamer Prozess des Nachdenkens über die Zukunft der EU gestartet werden. Sie fassen auch die „Möglichkeit eines Verfassungskonvents“ ins Auge. Allerdings gilt in Berlin und den anderen Hauptstädten ein solcher als chancenlos. Mit den Regierungen in Warschau und Budapest werde man sich ohnehin nicht auf eine Vertiefung der Integration einigen können. Außerdem ist das Risiko hoch, dass eine Reform in etlichen Ländern scheitert, wo das Volk laut Verfassung befragt werden müsste.