Am Robert-Bosch-Krankenhaus in Stuttgart kommen Übungspuppen schon seit einigen Jahren in der Pflegeausbildung zum Einsatz. Foto: Achim Zweygarth /Archiv

Die Evangelische Hochschule in Ludwigsburg führt einen neuen Studiengang ein. Die Pflege wird akademischer.

Ludwigsburg - Längst hallt es nicht mehr nur über Krankenhaus- und Pflegeheimkorridore: In Deutschland fehlt es an Pflegekräften! Die Corona-Krise hat den Mangel noch deutlicher gemacht. Gleichzeitig würden die Pflegeprozesse immer komplizierter und die Menschen sehr viel älter und kränker, meint Norbert Collmar. „Wir möchten einen Beitrag zur Linderung des Fachkräftemangels leisten“, sagt der Rektor der Evangelischen Hochschule (EH) in Ludwigsburg. Im kommenden Jahr beginnt an der EH ein neuer Studiengang – und seit diesem Frühjahr gibt es ein „Skills-Lab“: Dort können Studierende auch kniffligste Handgriffe an Puppen erproben.

Auch wenn Betten, Geräte, Kleidung und Küchenzeile zuerst einmal ans Kranksein erinnern, die gesamte Szenerie wirkt auffallend keimfrei. Das hat nicht zuletzt damit zu tun, dass dieses „Fähigkeitenlabor“, wie die Dozentin Simone Ries das neue Skills Lab nennt, just fertiggestellt wurde, als der Corona-Shutdown in Kraft getreten ist. Das einzige Gerät, das seither wirklich im Einsatz war, ist eine Beatmungsmaschine. „Das hatten wir natürlich für Corona-Patienten an ein Klinikum ausgeliehen“, sagt Simone Ries. Jetzt steht die gründlich desinfizierte Apparatur wieder in einem Neubau an der Hochschule auf der Karlshöhe, der aus zwei von der Ludwigsburger Wohnungsbaugesellschaft entwickelten Cubes – würfelförmigen Holzmodulen – besteht.

Pflege mit Bachelor-Abschluss

„Unser Labor soll alle Pflegeeinheiten abbilden“, sagt Simone Ries. Von der Geburt bis zum Sterben. Entsprechend gibt es eine große Bandbreite an Puppen – vom Säugling über den Heranwachsenden bis zum pflegebedürftigen alten Menschen. Diese sogenannten Dummies können signalisieren, ob alles richtig gemacht wurde, und über zwei Kameras können komplette Pflegeabläufe aufgezeichnet werden.

In einzelnen Kursen könnten auch mal Schauspieler oder Patienten, die ihre Einwilligung gegeben hätten, anstelle der Puppen versorgt werden, sagt Pflegeexpertin Ries. Dank dieses vom Wirtschafts- und Forschungsministerium geförderten Labors sei die EH unabhängiger von Kooperationspartnern wie Kliniken oder Pflegeschulen. Hatten angehende Pflegekräfte bisher nur die Wahl zwischen zwei Studiengängen an der Hochschule – beide berufsbegleitend – so will die EH vom nächsten Wintersemester an einen dritten Weg anbieten: Von da an soll es ein grundständiges Pflegestudium mit einem Bachelor-Abschluss geben .

Pflegebedürftige wollen zu Hause bleiben

Bisher gebe es dies in Deutschland nur selten, sagt der Studiengangsleiter Manfred Schnabel. „Wir rechnen auch nicht mit einem sehr großen Andrang im ersten Jahr.“ Das Angebot müsse sich nach und nach erst durchsetzen. Aber es sei dringend notwendig. Denn die Aufgaben für Pflegekräfte würden immer komplexer. „Das hängt schon damit zusammen, dass sich die meisten Menschen zu Hause pflegen lassen, solange es geht“, sagt die Pflegestudentin Irina Ako.

Da reiche es nicht mehr, sich nur mit einem Arzt zu besprechen. Stattdessen gelte es, sehr viel mehr verschiedene Partner zu integrieren. Außerdem sei es sehr hilfreich, wenn das Pflegepersonal gelernt habe, wissenschaftlich zu arbeiten. Der akademische Überbau könne helfen, neue Alternativen in der Pflege aufzutun, sagt Ako: „Was aufgrund des Mangels an Pflegekräften immer nötiger wird.“

Mehr als Sauber- und Sattmachen

Zum Glück gebe es inzwischen deutliche Anzeichen dafür, dass dies auch bei den Pflegeeinrichtungen angekommen sei, sagt Schnabel: „Man sieht es in den Stellenanzeigen.“ Darin werde vermehrt nach höher qualifizierten Pflegekräften gefragt. Auch deren Bezahlung sei deutlich attraktiver. Obwohl auch die Pflegekraft mit Bachelor-Abschluss bis zu 80 Prozent ihrer Arbeit unmittelbar in der Pflege arbeitet. „Die übrige Zeit wird sie in organisatorische Dinge oder im Qualitätsmanagement eingebunden sein“, sagt Manfred Schnabel.

„Es geht auch bei der Altenpflege nicht nur um das Sauber- und Sattmachen“, sagt Irina Ako. Die Besuchsverbote während des Shutdowns hätten gezeigt, wie wichtig es sei, Formen zu finden, in denen die Würde der Patienten gewahrt bleibe. „Die Menschen haben rapide abgebaut, als sie keine Besuche bekamen“, sagt die Studentin. „Auch Demenzkranke.“ Als Kontakte wieder erlaubt gewesen seien, habe sich deren Zustand rasch wieder verbessert.