Eine wild wuchernde Pflanze schnürt New York ein: Szene aus dem Diplomfilm ­„Wrapped“. Foto:  

„Immersion“, das vollständige Eintauchen von Nutzern in mediale Erlebnisse, gilt in der Filmbranche als Zukunftshoffnung. Wie wichtig dabei der Ton ist, zeigen zwei Diplomfilme des Ludwigsburger Animationsinstituts, die das revolutionäre Tonsystem Dolby Atmos einsetzen.

Wie weit ist es noch bis zum Holo-Deck, jenem Raum, der auf dem Raumschiff Enterprise als Trainingsfeld eingesetzt wurde, weil sich in ihm beliebige virtuelle Realitäten herstellen lassen? Was den Ton angeht, scheint die Zukunft ganz nah: Marktführer Dolby, bekannt mit Soundsystemen wie Surround 5.1 und 7.1, hat 2012 Atmos eingeführt, ein vollkommen neues Aufnahme- und Wiedergabeverfahren. Klänge können nun vollkommen frei im Kinosaal platziert und bewegt werden.

Dazu muss eine große Anzahl von Lautsprechern an allen Wänden des Kinosaals und an der Decke installiert werden. Jeder einzelne kann individuell angesteuert werden. Zusammen mit den Lautsprechergruppen hinter der Bildwand sowie mehreren im Raum verteilten Subwoofern lässt sich damit mit bis zu 64 Tonkanälen ein unheimlich realistisches, fast holografisches Klangbild erzeugen. Zum Vergleich: Die Formate 5.1 und 7.1 beschränken sich auf sechs beziehungsweise acht Tonkanäle.

Sound-Designerin Nami Strack, Absolventin der Ludwigsburger Filmakademie, ist begeistert: „Erstmals lassen sich Klangquellen beispielsweise von hinten über die Köpfe der Zuschauer hinweg nach vorne in die Bildwand bewegen“, sagt sie. „Das ist für Tongestaltung und Mischung ein Aha-Erlebnis, wie man es sich schon immer gewünscht hat! Es ermöglicht eine extrem präzise Platzierung und einen exakten Verlauf von Tönen.“ Strack war zuständig für die Tongestaltung zweier Diplomfilme des Ludwigsburger Animationsinstituts, die Atmos einsetzen.

Die Fülle der Töne wirkt auf emotionaler Ebene

Derzeit verfügen nur knapp 20 Kinos in Deutschland über die aufwendige Technik, unter ihnen der Traumpalast in Backnang, den Heinz Lochmann betreibt. Darum präsentieren die Filmakademiker ihre Werke dort und zeigen, was Dolby Atmos kann.

Eine Welt entsteht, gedeiht und geht wieder unter in Sascha Gedderts stereoskopischem Computeranimationsfilm „Globosome“, nicht nur in eindrucksvollen Bildern, sondern auch im Ton: Zu mächtigen Streicherklängen sprießen Pflanzen, setzen kleine Kügelchen frei, die sich schnell vermehren und bald in Schwärmen den Planeten bevölkern. Es donnert, rauscht, ploppt und quietscht, die Zuschauer werden förmlich eingehüllt in Klang, wähnen sich mittendrin in dieser nur fünf Minuten dauernden Evolution.

Die Fülle irrwitziger Töne ermögliche bei solchen Filmen überhaupt erst eine emotionale Ebene, glaubt Nami Strack. Tatsächlich erzeugen die schwarzen Kügelchen Empathie, weil sie niedlich quieken, wodurch Gedderts Bilder eine ganz andere Wucht bekommen: Klimawandel und Vernetzung sind seine Motive. „Wo ist unser Ende der Petrischale? Und wenn wir es wissen, handeln wir auch danach?“, fragt er. 2014 diente eine gekürzte Version von „Globosome“ als Trailer beim internationalen Stuttgarter Fachkongress FMX, 2015 der andere Dolby-Atmos-Film „Wrapped“ der Filmakademie-Absolventen Roman Kälin, Falko Paeper und Florian Wittmann.

Weniger ist auch hier oft mehr

Ihre ebenfalls fünfminütige Kombination aus Real- und Animationsfilm ist ein apokalyptisches Bild-und-Ton-Feuerwerk. Eine wuchernde Pflanze breitet sich in New York aus, schnürt Gebäude und Brücken ein, bis es schließlich zu einer großen Explosion des Lebens kommt, die für die Menschenwelt den Untergang bedeutet. Auch hier werden die Zuschauer von Geräsuchen und Musik förmlich überwältigt.

Bis zu 128 unabhängige Tonobjekte – oder Punktschallquellen – kann das neue System verarbeiten. Doch auch hier gilt wie so oft: weniger ist manchmal mehr. So erinnert sich Tonmeister Florian Dittrich an die erste Dolby-Atmos-Mischung im hauseigenen Mischatelier der Filmakademie: „Wir haben angefangen, alle möglichen Geräusche wild im Raum zu platzieren und wandern zu lassen“, sagt er. „Doch wenn man das Publikum ständig mit Rauminformationen sämtlicher Couleur bedient, geht die Ortung wieder verloren. Wir haben uns dann auf Geräusche konzentriert, die wichtig für das Bild und den Film waren, und alles andere im Niveau abgesenkt.“

Dittrich wünscht sich eine schnelle Verbreitung der neuen Technik. „Es wäre auf jeden Fall mal an der Zeit, dass auch Stuttgart ein Kino mit Dolby Atmos bekommt“, sagt er. Immerhin: Noch in diesem Jahr wird das Ludwigsburger Kino Caligari im Hof der Filmakademie mit dem neuen Klangwunder bestückt. Die Filmstudenten können dann ihre Werke direkt in der Praxis testen.

Auch kleinere Produktionen setzen Atmos ein

Weltweit werden inzwischen nahezu alle großen Spielfilme in Dolby Atmos abgemischt und mit einer entsprechenden Tonspur an dafür ausgestattete Kinos ausgeliefert; konventionelle Kinos hingegen werden weiterhin mit den klangreduzierten Varianten 5.1 und 7.1 beliefert.

Zunehmend entdecken jetzt auch kleinere Produktionen den neuen Sound und die damit verbundenen kreativen Möglichkeiten. Allerdings konkurrieren sie mit umsatzstarken Blockbustern um die wenigen ausgerüsteten Kinosäle und landen dann oft in kleineren ohne Dolby Atmos. So erging es etwa Dietrich Brüggemann mit seiner Neonazi-Komödie „Heil“, die über den neuen, hochauflösenden Ton verfügt, aber deutschlandweit in keinem Kino adäquat wiedergegeben wurde.

Um die vor allem aus Kostengründen schleppend vonstatten gehende Umrüstung der Kinos zu überbrücken, hat Dolby eine Heimversion lizenziert. So kommen jetzt auch Filmfans in den Genuss des neuen Klangerlebnisses, die kein entsprechend ausgestattetes Kino vor der Haustüre haben – sofern sie die benötigte Hard- und Software anschaffen. Florian Dittrich winkt ab: „Die Heimversion stellt leider nur einen Kompromiss dar, der an das Kinoerlebnis nicht heranreicht!“