Die Klimaprotest-Bewegung mahnt in Stuttgart (wie hier im März dieses Jahres) zu mehr Klimaschutz. Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Auf dem Weg zur Klimaneutralität ist die Landeshauptstadt nicht ganz schlecht unterwegs – wenn man das Zieljahr 2050 voraussetzt. Doch das ist überholt.

Die Landeshauptstadt ist nach Einschätzung der Energieexperten in ihrer Verwaltung auf einem guten Weg, die bisher für das Jahr 2050 angestrebte Klimaneutralität zu erreichen. Und sie sei auch gut unterwegs, um die Vorgaben aus der Klimakonferenz in Paris zu erfüllen, damit die Erwärmung des Erdklimas auf 1,5 Grad begrenzt wird. Auf dem von der Stadt entworfenen „Reduktionspfad“ bis zu Klimaneutralität 2050 sei das für das Jahr 2020 angepeilte Ziel um acht Prozent übererfüllt worden, heißt es im Energie- und Klimaschutzbericht, den die Stadtverwaltung jetzt dem Klimaausschuss des Gemeinderates vorlegte.

Gegenüber dem Referenzjahr 1990 seien für das ganze Stadtgebiet die Treibhausgasemissionen nicht nur um 40 Prozent reduziert worden, sondern um 48 Prozent, berichtete Jürgen Görres, Leiter der Abteilung Energiewirtschaft im Amt für Umweltschutz. Im Stadtgebiet seien 2020 noch 3,3 Millionen Tonnen Treibhausgas in die Atmosphäre gelangt – 350 000 Tonnen weniger als der maximale Ausstoß, den sich die Stadt auf ihrem Pfad bis 2050 vorgenommen hatte. Dagegen sei das Ziel für 2019 noch um vier Prozent verfehlt worden.

Neues Zieljahr, neue Herausforderungen

Umweltbürgermeister Peter Pätzold (Grüne) spricht deshalb davon, die Stadt sei der bisher verfolgten Zielversion von 100-prozentiger Klimaneutralität im Jahr 2050 wieder einen Schritt nähergekommen. Allerdings: Die Anstrengungen müssen im Vergleich zu dem bisher verfolgten Reduktionspfad verschärft werden, wenn der Gemeinderat am 27. Juli erwartungsgemäß 2035 als neues Zieljahr für die Klimaneutralität bestimmt. Und darauf dringen Umweltverbände und Klimaprotest-Bewegung vehement.

Energie-Experte Görres vermeldete, die bereits ergriffenen Maßnahmen hätten Wirkung gezeigt. Der Anteil der erneuerbaren Energien am Energieverbrauch sei – bei gesunkener Absatzmenge – 2020 auf 21,9 Prozent gestiegen und damit um 1,9 Punkte über dem Ausbauziel gelegen. Der gesamte Primärenergiebedarf in Stuttgart für Strom, Wärme und Verkehr habe 2020 bei genau 14 094 Gigawattstunden gelegen und damit um 37 Prozent niedriger als 1990, heißt es in dem Bericht. Es gibt freilich ein großes „Aber“: Weil es das erste Jahr der gravierenden Coronapandemie war, sind die Daten von 2020 mit Vorsicht zu genießen.

2021 sah es bei der Windkraft schlecht aus

Schon 2021 werde die Lage wieder anders aussehen, warnt Grünen-Stadtrat Benjamin Boy, da sei der Ertrag der Windkraftanlagen sehr schlecht gewesen. Christoph Ozasek (Puls) gibt zu bedenken, der Fortschritt beim Klimaschutz in Stuttgart werde vom verbesserten Strommix in Deutschland getragen, „bei uns sind die Dächer leer“, meint er mit Blick auf die Photovoltaik. Matthias Oechsner (FDP) und Ionannis Sakkaros (CDU) sehen die Notwendigkeit von mehr Energiesparen und Stromerzeugen jenseits der stadteigenen Liegenschaften. Man müsse verstärkt an den Privatsektor ran, so Oechsner. Nicht nur Ozasek, auch Hannes Rockenbauch (SÖS) verlangt eine Art „Klimakämmerei“, die streng über die Einhaltung des Kohlendioxid-Budgets wacht. Der Ruf nach mehr Klimaschutzsteuerung quer durch alle Bereiche der Verwaltung wird lauter. Ebenso eine Neuerung, dass sämtliche Vorlagen über Verwaltungsvorhaben von einem Klimaschutz-Verantwortlichen mitgezeichnet, also befürwortet, werden.

Energie-Experte Görres ist sich sicher, dass es bei den erneuerbaren Energien nach oben gehen wird. Früher sei Erdgas preislich zu günstig gewesen, jetzt nicht mehr. Lokale Potenziale wie auch die Geothermie könnten und sollen nun besser gehoben werden. Bei der Photovoltaik brauche man in Stuttgart pro Jahr rund 1300 Anlagen zusätzlich, was 2021 gelungen sei. Das Zuwachsziel bei der Photovoltaik sei noch nicht erreicht, der Aufbau aber verdoppelt. „Die Hausaufgaben sind gemacht“, behauptete Görres, obwohl gerade die Situation auf dem Felde Photovoltaik wie auch jene auf dem Wärmesektor seit Jahren Kritik von Umweltverbänden erregt. Görres würde sich aber wünschen, dass es nicht nur bei Neubauten und Dachsanierungen eine Pflicht zu Photovoltaikanlagen gäbe, sondern dass das Land auch eine Nachrüstpflicht für Hauseigentümer erlässt, die nicht an die Dachsanierung denken.

Unmut über die Erdgas-Nutzung

Wer an einer Fernwärmeleitung daheim sei, aber noch Erdgas nutze, müsse zum Wechseln veranlasst werden, um fossile Energie zu vermeiden, meint Görres. Das Problem ist allerdings, wie einige Stadträte erinnerten, dass im Moment die Energie Baden-Württemberg zur Erzeugung von Fernwärme auch auf die Brückentechnologie Erdgas setzt. Die aber möchte ein großer Teil des Gemeinderats, darunter auch die SPD-Stadträte Michael Jantzer und Lucia Schanbacher, zurückdrängen.

So spart die Stadt in den eigenen Gebäuden Energie

Verbrauch
Im Bereich der öffentlichen Gebäude konnte das städtische Energiemanagement die Kohlendioxid-Emissionen im Jahr 2020 durch einen Mix aus Betriebsoptimierungen, Anlagen- und Gerätetausch sowie Sanierungsmaßnahmen gegenüber 2019 um weitere acht Prozent reduzieren, erklärte die Verwaltung jetzt. Damit ergebe sich insgesamt eine Abnahme von 70 Prozent gegenüber dem Basisjahr 1990. Ein großer Erfolg des kommunalen Energiemanagements sei die Verringerung des Heizenergiebezugs um 50 Prozent seit Beginn des Energiemanagements im Jahr 1977 in der Stadtverwaltung.

Kosten
Weil weniger verbraucht wurde, konnte die Stadt laut Verwaltungsangaben seit 1977 „kumulierte Einsparungen“ bei den Energie- und Wasserkosten in Höhe von 770,8 Millionen Euro erzielen. 2020 seien von der Stadtverwaltung insgesamt 171 Anlagen auf Basis erneuerbarer Energien betrieben worden, darunter 116 Photovoltaik-Anlagen. rd