Ein Video, in dem sich der Großvater von Eric Esser eine Hakenkreuz-Plakette ans Revers steckt, lieferte den Anlass für die Recherchen. Foto: Hildegard Esser

In seinem neuen Dokumentarfilm hat der in Benningen aufgewachsene Eric Esser beleuchtet, wie Menschen – auch ohne selbst Verbrechen begangen zu haben – das NS-System stützten und davon profitierten. Eine Recherche, die verschiedene Positionen zutage gefördert hat.

Benningen - In den Printmedien war kürzlich zu lesen: Die Jugend interessiert sich wieder mehr für das Thema NS-Zeit. Entsprechend dürfte also auch der neue Dokumentarfilm von Eric Esser auf Nachfrage stoßen. Der 1975 in Stuttgart geborene Regisseur, der ab seinem fünftem Lebensjahr in Benningen aufgewachsen ist, hat nämlich in der eigenen Familie die Tür zu eben diesem Thema weit aufgestoßen: Mit dem Film „Nestwärme – Mein Opa, der Nationalsozialismus und Ich“ will der Regisseur verdeutlichen, „wie stark doch die damalige Gesellschaft involviert war, obwohl bis in die Gegenwart hinein oft betont werde: „Wir hatten nichts damit zu tun“.

Ein Teil des Films sind dabei auch Essers Recherchen, die sich zum Teil über elf Jahre hingezogen haben. Der Dokumentarfilm zeigt zudem sensibel auf, wie schwierig es ist, die eigene Familie zur möglichen Nazi-Vergangenheit und NSDAP-Mitgliedschaft des Großvaters, den Esser „als zugewandt und warm abgespeichert hat“, zu befragen. Den Anstoß für dies alles gab wiederum ein einzelner Filmausschnitt, den Esser im Nachlass des Großvaters fand: darauf ist zu sehen, wie sich sein Vorfahre eine Hakenkreuz-Plakette ans Revers steckt. Ansonsten habe es aber nie einen Hinweis auf eine solche Gesinnung gegeben.

„Die Familie ist nach wie vor intakt“

Eric Esser zeichnet sich im Film durch einen behutsamen Fragestil aus, respektiert Meinungen und Erinnerungen und nötigt den Befragten dennoch ab, sich konkret mit einer Zeit auseinanderzusetzen, die heute noch offensichtlich als Sperrgebiet empfunden wird. Seiner Aufgabe als Fragender kommt Esser in seinem Film aber keineswegs weichgespült nach, auch wenn er subtil und geduldig vorgeht und den vorhandenen, bisweilen sorgfältig weggesperrten Schmerz oder auch Widerwillen der Befragten, vorurteilsfrei konstatiert. So hat die Befragung seiner Familie, die er auch mit seinen eigenen, unbeantworteten Fragen konfrontiert, zu keinem Bruch geführt.

Und auch wenn sein Onkel irgendwann aus dem Projekt ausstieg und nicht mehr für Interviews zur Verfügung stand, ist Esser glücklich sagen zu können: „Die Familie ist nach wie vor intakt; sie hat mich bei dem Film sogar sehr unterstützt.“ Seinem Vater habe der Film als Gesamtwerk und in der Machart sehr imponiert. Er sei super gemacht, aber in den Positionen gäbe es eben ein paar Differenzen.

Keiner machte von seinem Vetorecht Gebrauch

„Sich über Monate hinweg den Befragungen zu stellen, ist für keinen leicht gewesen“, erinnert sich Esser, der mit „Nestwärme“ auch Gast und Nominierter beim renommierten Filmfestival Max Ophüls Preis war, wo er mit seinem Filmbeitrag als einer von acht Wettbewerbs-Teilnehmern in der Sparte Dokumentarfilm auftrat.

Sein Beitrag erhielt jedoch keinen Preis. „Das war bei der hochkarätigen Konkurrenz aber auch nicht zu erwarten“, resümiert der Regisseur bescheiden. Seine Verwandten hatten den Film bereits vor der Fertigstellung gesehen. Sie hätten somit ein Vetorecht für Passagen gehabt. „Eines, das sie aber nicht genutzt haben“, so der Medien-Informatiker, der im Brotberuf als Informatiker am Berliner Wissenschaftszentrum für Sozialforschung arbeitet, zu seinem aktuellen cineastischen Ergebnis.

Vertrauen ist wichtig für gute Filmprojekte

Esser ist es wichtig, bei seinen Projekten „vertrauensvoll zu arbeiten und jenen, die mitmachen, Raum zu lassen, damit diese sich öffnen und ehrliche Statements abgeben“. Diese Vorgehensweise galt damit auch für die Familie des Regisseurs, der von 2005 an Regie an der selbstorganisierten Filmschule „filmArche“ in Berlin studierte, wo er auch Mitglied des Ältestenrats ist.

2019 schloss Esser mit dem Master das Studium Dokumentarfilmregie an der Filmuniversität Babelsberg Konrad Wolf ab. Der Stadt Berlin ist der frühere Benninger treu geblieben. „Sie ist so schön dreckig“, sagt Esser laut lachend und fügt hinzu: „Vieles ist so unaufgeregt. Und ich finde eine Menge Freiräume vor, die ich bespielen könnte; es gibt so enorm viel Kultur und Subkultur“. Mit weiteren Mitstreitern betreibt Eric Esser etwa eine Kollektivkneipe, „in der sich jeder engagieren kann, der Lust hat, ohne Bezahlung darin zu arbeiten“. Politisch Interessierte, wie beispielsweise ein feministischer Lesekreis, finden dort etwa eine kostenfreie Plattform vor, wo sie als Akteure auftreten können.