Der neue Celesio-Chef Markus Pinger baut den Stuttgarter Pharmadienstleister um.

Stuttgart - Bei Celesio bleibt nichts, wie es ist: Geschäftsfeldern, die bis vor kurzem als zukunftsträchtig galten, droht der Verkauf, der Versandtochter Doc Morris zumindest ein Umbau. Damit soll der Ergebnisverfall gestoppt, das Celesio-Kerngeschäft Pharmagroßhandel wiederum gestärkt werden. All dies hat der neue Chef in weniger als 80 Tagen bewegt.

Bei Beiersdorf hat sich Markus Pinger scherzhaft Mann fürs "schöne Chichi" genannt. Das heißt so viel wie schöner Schnickschnack oder schöne Extras - Dinge, die für einen Markenkonzern wie Beiersdorf verkaufsentscheidend sind. Nivea-Cremes hat der Beiersdorf-Markenchef Pinger ein neues Gesicht verpasst, davor baute er die Marke Tesa um und schaffte als Verantwortlicher für das Beiersdorf-Geschäft in den USA nach verlustreichen Jahren die Ertragswende. All dies und mehr stemmte der 47-Jährige im Lauf von 16 Jahren. Beim Stuttgarter Pharmadienstleister Celesio ist er 74 Tage im Amt - statt fürs Chichi könnte er dort als Mann für Hauruckaktionen Firmengeschichte schreiben.

Sparprogramm für Celesio

Was Pinger umkrempelt, ist mitnichten Schnickschnack. Glaubt man dem neuen Chef, ist jede Entscheidung durchdacht, keine fällt spontan. Pinger will Celesio zu einem Pharmagroßhändler zurückbauen. Geschäfte und Beteiligungen außerhalb des Kerngeschäfts, die auf Betreiben seines Vorgängers Fritz Oesterle neu unter das Firmendach gekommen sind, sollen teils verkauft, teils umgebaut werden. Im Großhandel dagegen plant Pinger künftig zusätzliche Logistikleistungen für Pharmahersteller und Apotheker, das Geschäft mit den 2300 eigenen und 4400 Partner-Apotheken im In- und Ausland wird vereinheitlicht. Jobabbau in der Verwaltung soll Celesio zudem effizienter machen.

Bereits 2012 soll all dieses das Celesio-Ergebnis heben, Letzteres ist seit 2008 um im Schnitt 100 Millionen Euro jährlich zurückgegangen. Für 2011 hat das Management die Erwartungen am Mittwoch jedoch gesenkt - das dritte Mal in diesem Jahr. Nun will der Pharmadienstleister vor Steuern, Zinsen und Abschreibungen mindestens 575 Millionen Euro erwirtschaften, bisher hoffte man auf rund 600 Millionen Euro. Allerdings reduziert sich das Ergebnis durch ein 100 Millionen Euro schweres Sparprogramm, das größtenteils bereits dieses Jahr auf die Bilanz durchschlägt. Davon fließen über 40 Millionen in die Bündelung des europaweiten Einkaufs, zudem will Pinger aus dem Paket Apotheken in Schweden sanieren sowie Aufhebungsverträge außerhalb der Produktion bezahlen. Prozentual werde sich die Celesio-Mannschaft "signifikant verkleinern", sagte der 47-Jährige, Kündigungen sind aber nicht vorgesehen. Am Stammsitz Stuttgart beschäftigt Celesio rund 600 Menschen, in Deutschland arbeiten 3800 der weltweit 47000 Beschäftigten.

Durch das Sparprogramm soll Celesio künftig zusätzlich jährlich um 50 Millionen Euro entlastet werden, zunächst kostet es aber im Vorstand Köpfe: Finanzchef Christian Holzherr scheidet Ende November aus, einen Monat später geht Michael Lonsert, der für die Sparte Manufacturer Solutions zuständig ist. Beide verlassen das Unternehmen nach Firmenangaben auf eigenen Wunsch, die Gründe dürften aber unterschiedlich sein. Der Celesio-Eigner Haniel macht Holzherr offenbar für die Ertragsschwäche der letzten Jahre mitverantwortlich, mit potenziellen Nachfolgern führt Pinger bereits Gespräche. Lonsert dagegen verliert schlicht seine Aufgabe - die zum Verkauf stehenden Geschäftsteile gehören in seine Sparte.

Pinger will Kerngeschäft ausbauen

Konkret sind das der Personal- und Marketingdienstleister Pharmexx sowie der Logistikanbieter Movianto. Letzterer organisiert etwa den Transport gekühlter Arzneimittel, Pharmexx-Mitarbeiter beraten Ärzte über neue Medikamente. Ein Joint Venture mit dem US-Unternehmen Medco, das chronisch Kranke bei der Medikamenteneinnahme betreuen und den Kassen so Geld sparen sollte, hat Pinger bereits aufgegeben. Weltweit beschäftigt die Sparte Manufacturer Solutions rund 5400 Menschen, trug zum Celesio-Umsatz von 23 Milliarden Euro zuletzt aber weniger als zwei Prozent bei. Beim Ergebnis sieht es nicht viel besser aus. Umgekehrt hat die Sparte allein 2009 und 2010 mehr als 150 Millionen Euro Investitionen verschlungen.

Mit Zukäufen in solche alternativen Geschäfte wollte der langjährige Chef Oesterle Celesio ein zweites Standbein aufbauen und das Unternehmen unabhängiger von Sparzwängen im Gesundheitswesen machen. Pinger schlägt den gegenteiligen Weg ein: Der Ausflug in neue Geschäftsfelder habe "sehr viel Geld gekostet", die Ziele wurden verfehlt. "Die Verschuldung hat zugenommen, die erwarteten Profite sind ausgeblieben." Unter dem Strich sei Celesio noch abhängiger vom Kerngeschäft geworden und habe zusätzliche Baustellen geschaffen, "weil man zu viel zu schnell gemacht hat".

Celesio als Dienstleister

Pinger will das Unternehmen nicht umbauen, sondern die Stärken im Kerngeschäft ausbauen. "Der Großhandel hat Celesio 175 Jahre gut ernährt, und das wird er auch in Zukunft tun", betont er. Die Firma sei "ein gutes Schiff, das nur gerade ein Leck hat, und wir müssen es wieder flottmachen". Zum Beispiel, indem Celesio Apotheker nicht nur mit Medikamenten beliefert, sondern künftig auch deren Lagerhaltung organisiert. Das spart beiden Seiten Zeit und Kosten, zusätzlich will Celesio die Logistik der Pharmahersteller übernehmen. In Brasilien, wo den Stuttgartern bereits die Pharmahändler Panpharma und Oncoprod gehören, will Pinger weiter expandieren und von dort in weitere Länder Lateinamerikas vorstoßen. "Ähnlich attraktiv scheinen uns einige Märkte im Mittleren Osten." Es solle allerdings nicht in dem Maß zugekauft werden wie in den vergangenen Jahren.

Das zweite große Geschäftsfeld, den Betrieb von und Kooperationen mit Apotheken, will Pinger vereinheitlichen. Heute betreibt Celesio in Großbritannien und Norwegen eigene Apothekenketten, unterhält in Deutschland Franchisepartnerschaften mit Doc-Morris-Apothekern und kooperiert mit fast 2500 Gesund-Leben-Filialen. "Wir bemühen uns um ein einheitliches Partnerschaftsmodell in Europa", erklärt der neue Chef. Was das genau für die Versandhaustochter Doc Morris bedeutet, ist noch unklar; Pinger kann sich vorstellen, dass diese künftig für viele Apotheken den Online-Medikamentenversand anbietet. Ein entsprechendes Konzept will er nächstes Jahr präsentieren. Vielleicht wird Doc Morris aber auch verkauft, "alle Optionen sind offen".

Das Beispiel Doc Morris zeigt einmal mehr, wie unterschiedlich Pinger und Oesterle Celesio positionieren. Während Oesterle mit dem Kauf der Versandhandelstochter vor Jahren zahlreiche Apotheker als Großhandelskunden vergrätzt hat, ist Pinger nun bemüht, die Wogen zu glätten. Viele Apotheker sehen in Doc Morris nach wie vor einen Feind. "Diesen Konflikt werden wir lösen", verspricht der neue Chef, fast gebetsmühlenhaft betont er, "alles Erdenkliche zu tun, um unsere Kunden Apotheker zu unterstützen". Oesterle dagegen sah den durch Doc Morris verursachten Wettbewerb sportlich - und hätte der deutschen Apothekerschaft am liebsten zudem mit Celesio-Ketten vor der Haustür Konkurrenz gemacht.