Die Künstlerin Janet Echelman gestaltet eine ihrer Netzskulpturen für das Stuttgarter Ballett Foto: Erickson

Zwei Skulpturen tanzen mit, wenn an diesem Freitag im Stuttgarter Schauspielhaus der neue Ballettabend Premiere hat. Dafür hat sich ein Dream-Team gefunden: Die Choreografin des Stuttgarter Balletts, Katarzyna Kozielska, und Janet Echelman, amerikanische Künstlerin.

Zwei Skulpturen tanzen mit, wenn an diesem Freitag im Stuttgarter Schauspielhaus der neue Ballettabend Premiere hat. Dafür hat sich ein Dream-Team gefunden: Die Choreografin des Stuttgarter Balletts, Katarzyna Kozielska, und Janet Echelman, amerikanische Künstlerin.

Stuttgart - Schön, wenn sich zwei Künstlerinnen so unkompliziert ergänzen. Dass sich Katarzyna Kozielska und Janet Echelman gefunden haben, ist eines der modernen Märchen, die in Zeiten des Internets ganz fix wahr werden. Gesucht haben sich die Choreografin des Stuttgarter Balletts und die amerikanische Künstlerin eigentlich schon lange.

Seit 1999, erzählt Janet Echelman, treibt sie die Idee um, kontrolliert Bewegung in ihre Kunst zu bringen. Damals hatte sich eine Freundin beim Aufbau einer Ausstellung in New York eines von Echelmans Kunstwerken aus geknüpften Netzen übergezogen und in der Urheberin die Einsicht provoziert: „Diese Skulpturen sollten eigentlich tanzen!“

Tänzer sind Janet Echelmans Skulpturen schon immer. Draußen malen Wind und Wetter die Zufalls-Choreografien für die riesigen Netzstrukturen, die sich rund um den Globus in vielen Städten finden. An hohen Masten installiert und bei Nacht spektakulär ausgeleuchtet, bewegen sie sich dann medusenhaft wie Quallen. Von diesem Freitag an wird Janet Echelman nun erstmals eine Theaterbühne mit einer ihrer Skulpturen erobern, die im Dialog mit den Profis des Stuttgarter Balletts eine neue Art der Bewegung lernt.

Motor hinter dieser Begegnung ist Katarzyna Kozielska. Der Halbsolistin ist seit ihrem Debüt als Choreografin bei einem Noverre-Abend vor drei Jahren eine erstaunliche Karriere geglückt, die sie im vergangenen Jahr bis nach New York brachte. Und weil sich die Polin seit ihrer Kindheit leidenschaftlich für Kunst interessiert, ist sie auf der Suche nach anregendem Neuen im Internet auf das Werk von Janet Echelman gestoßen.

„Beim ersten Anblick dieser Skulpturen dachte ich: Das würde toll auf der Bühne aussehen!“ Nach New York nahm sie daher im vergangenen Sommer den Plan mit, die in Boston lebende Künstlerin zu treffen. Janet Echelman, die auf eine solche Begegnung ja wartete, musste sie nicht zur Zusammenarbeit überreden. „Schon beim ersten Treffen hatten wir Ideen für mindestens zehn Tanzstücke“, sagt die Künstlerin, die der Choreografin alle Freiheiten gab.

Nun sitzen die beiden bestens gelaunt in der Kantine der Staatstheater und wirken einig, als kennen sie sich seit langem. Die Choreografin hat allen Grund, entspannt zu sein. Nach den ersten Bühnenproben weiß sie, dass Tanz und Kunst sich so finden, wie sie sich das vorgestellt hat. „Janets Skulptur konnten wir ja nicht im Ballettsaal installieren. sie gab es also nur in meinem Kopf und manchmal war es gar nicht so leicht, meine Ideen den Tänzern zu vermitteln“, sagt sie.

Janet Echelman, deren Arbeiten im Maßstab von Stadtarchitektur entstehen und ein riesiges Team von Ingenieuren und Kranlenkern erfordern, freut sich über den neuen Rahmen für ihre Kunst: „Kostüme, Licht und die sehr definierten Bewegungen des Balletts ergeben einen so schönen Gesamteindruck, dass ich überwältigt bin.“

Ingenieursleistungen bestimmen normalerweise die Arbeit von Janet Echelman, die an diesem Freitag im von Werner Sobek geleiteten Institut für leichte Flächentragwerke über ihre Arbeit spricht. „Für Ingenieure ist Bewegung – ein Sturm etwa oder ein Erdbeben – immer Herausforderung. Wir haben eine eigene Software gestaltet, die Wind simuliert, um die Bewegung der Skulpturen zu visualisieren.“ Zehn Tänzer werden in „A. Memory“ diese Rolle übernehmen, die Skulptur, da sind sich Choreografin und Künstlerin einig, ist der elfte Tänzer.

„Da gibt es keine Konkurrenzsituation“, sagt Janet Echelman, deren Kunst draußen im Stadtraum von enormer Sogkraft ist, wie die Choreografin weiß: „Man genießt die schöne Bewegung und vergisst die Welt mit ihren Problemen um sich herum.“ Artistic Memory heißt Kozielskas Stück, weil es eine Erinnerungssuche in Sachen Kunst ist, eine Aufarbeitung solcher Begegnungen, die ein Leben von Anfang bis Ende beeinflussen.

Auch Louis Stiens, dessen Karriere als junger Choreograf zeitlich parallel zu der von Katarzyna Kozielska verlief, bringt eine Skulptur auf die Bühne, die mitten im Geschehen steht. Christine Nasz hat für ihn Stereoanlagen zu einem Turm gestapelt, dessen bedrohliches Potenzial beabsichtigt ist. Um ihn herum will Louis Stiens mit sieben Tänzern „dem Ausdruck verschaffen, was meine Generation ausmacht“. Wer den jungen Choreografen und seine Nachdenklichkeit kennt, ahnt, dass „Rausch“, so der Titel des Stücks , den Kater am nächsten Morgen mitdenkt.

„Dieses Wort hat mich fasziniert, weil es so viele Bedeutungen hat“, erklärt Stiens. „Da steckt das Rauschen drin, das man im Ohr hat, wenn man einen Club mit seiner lauten Musik verlässt. Oder der Blutrausch und anderes, das thematisch zu meiner Idee passt.“ Dass er mit sieben Tänzern Situationen schafft, in denen eine ältere Generation einer jüngeren gegenübersteht, die in Scherben liege, macht selbst den Choreografen nachdenklich.

„Wenn ich sehen, dass beim Amoklauf in Winnenden Kinder auf Kinder schießen, dann ist das Bild nicht falsch“, sagt Stiens und ergänzt: So düster, wie es klinge, sei „Rausch“ nicht. Begleitet wird er von einer Musikcollage, die von modernen Kompositionen über Jazz bis zu Techno für starke Stimmungen sorgen soll.