Immer nur Theorie – manche Jugendliche haben das satt und wünschen sich mehr Praxis Foto: dpa

Wohin nach der Schule? Für Tausende Jugendliche lautet die Antwort nicht Ausbildung oder gar Studium, sondern Berufsvorbereitungsjahr (BVJ). Weil die Warteschleife vielen nicht schmeckt, erprobt das Land nun eine Alternative.

Wohin nach der Schule? Für Tausende Jugendliche lautet die Antwort nicht Ausbildung oder gar Studium, sondern Berufsvorbereitungsjahr (BVJ). Weil die Warteschleife vielen nicht schmeckt, erprobt das Land nun eine Alternative.

 

Stuttgart - Angesichts des drängenden Fachkräftemangels will das Land den Ausbildungsweg auch für solche Jugendliche ebnen, die eigentlich noch nicht reif sind für einen Beruf. Das sind zum Beispiel solche, die keinen Abschluss erreicht, die Schule abgebrochen oder nur mit schlechten Noten geschafft haben.

Wer keinen Ausbildungsplatz erhält, absolviert in der Regel ein Berufsvorbereitungsjahr (BVJ) an beruflichen Schulen, um die nötigen Qualifikationen nachzuholen. „Aber viele von ihnen haben die Schule oft satt“, sagte am Freitag die Staatssekretärin im Kultusministerium, Marion von Wartenberg.

Das Land will deshalb im nächsten Schuljahr ein neues Modell erproben, das die Jugendlichen viel stärker mit der Praxis in Kontakt bringt. Duale Ausbildungsvorbereitung (abgekürzt: AV dual) nennt sich der Weg, der Schule und Betrieb kombiniert. Zwei Tage in der Woche sollen die Schüler zu einem von Lehrkräften betreuten Praktikum in einen Betrieb gehen, wobei diese Phase auch in Blockform absolviert werden kann.

„Dort sollen die Jugendlichen an die Ausbildung herangeführt werden“, sagte von Wartenberg über die Idee, die im vergangenen Jahr im Ausbildungsbündnis des Landes geboren wurde – das ist ein Arbeitskreis aus Mitgliedern von Land, Wirtschaft, Gewerkschaften und Kommunen.

Theoretische Kenntnisse erwerben die Jugendlichen wie bisher im Berufsschulunterricht. Doch dieser Teil beträgt dann in der Regel nur noch 20 Wochenstunden. Der Unterricht soll ganztags stattfinden, „um das Zeitmuster der Arbeitswelt abzubilden“, heißt es im Konzept. Die Schüler erhielten so mehr Zeit zum Lernen, damit sie das Bildungsziel leichter erreichen. Legen sie am Schuljahresende eine Prüfung in den Fächern Deutsch, Mathematik und Englisch ab, können sie den Hauptschulabschluss erwerben.

Starten will das Land mit diesem Modell zunächst in den Städten Mannheim und Weinheim sowie im Ostalbkreis und im Rems-Murr-Kreis. Schritt für Schritt soll dieser Weg jedoch den Jugendlichen im ganzen Land offen stehen. Er soll die bisherigen Bildungsgänge Berufsvorbereitungsjahr (BVJ) und Berufseinstiegsjahr (BEJ) vollständig ersetzen.

„Die Jugendlichen können jederzeit umsteigen vom Praktikum in eine Ausbildung“, sagte Wirtschafts- und Finanzminister Nils Schmid, der den Modellversuch mir 350 000 Euro pro Jahr aus der Landeskasse unterstützt. Die Wirtschaft habe in den Modellregionen zugesichert, genügend Praktikumsplätze zur Verfügung zu stellen.

Für einen Teil der Jugendlichen könne dieser Weg „sehr interessant“ sein, sagte Andreas Richter, Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer Region Stuttgart. Um den Mangel an Fachkräften abzustellen, seien jedoch viele Schritte notwendig. So müsse auch die Berufsorientierung an Gymnasien intensiviert werden – eine Forderung, die bei der Kultus-Staatssekretärin Gehör findet: „Wir wissen, dass wir da mehr tun müssen“, sagte Marion von Wartenberg.

Richter plädierte außerdem dafür, auch weiterhin einfache, zweijährige Ausbildungsgänge anzubieten, um auch leistungsschwächeren Jugendlichen eine Perspektive zu bieten.Sobald ein Mindestlohn bezahlt wird, erhöhe dies den Reiz für manche Jugendliche, eine Ausbildung zu umgehen, so der IHK-Chef. Für die Betriebe wiederum bedeute dies, dass sie überlegen müssten, ihre Ausbildungsvergütung zu erhöhen.

„Die Zahlen vom Ausbildungsmarkt belegen den Handlungsbedarf“, sagte Schmid. Es gebe mehr Stellen als Bewerber, weniger Ausbildungsverträge als im vergangenen Jahr und eine konstant hohe Zahl unbesetzter Ausbildungsplätze. In dieser Situation dürfe man allerdings nicht die berufliche gegen die akademische Ausbildung ausspielen, sagte Wolfram Leibe von der Regionaldirektion der Bundesagentur für Arbeit. Es gehe darum, die Vielfalt zu nutzen.

Seinen Angaben zufolge befinden sich derzeit rund 35 000 Jugendliche und junge Erwachsene in dem Übergangsbereich zwischen Schule und Beruf. Dazu zählen nicht nur rund 12 000 im Berufsvorbereitungsjahr, sondern auch Jugendliche in ein- oder zweijährigen Berufsfachschulen. Auch für diese Schüler (im Alter von etwa 15 bis 25 Jahren) sei die duale Ausbildungsvorbereitung eine Alternative.

Noch vor wenigen Jahren drehten laut Schmid mehr als 60 000 Jugendliche eine solche Warteschleife.