Bei Endress wird der neue Beruf ab kommendem Herbst ausgebildet. Im Bild: Michael Endress (links) und Kim-Felix Klein Foto: Lg/Max Kovalenko

Mit dem Kaufmann im E-Commerce wird ab 2018 ein neuer Ausbildungsberuf eingeführt. Erste Betriebe schreiben bereits Stellen aus. Der Handelsverband rechnet mit 1000 Lehrstellen im ersten Jahr. Doch der Beruf ist auch für andere Branchen attraktiv.

Stuttgart - Einen Rasentraktor für 5000 Euro kauft niemand im Online-Shop. Aber unsere Kunden informieren sich dort, bevor sie in den Laden kommen“, sagt Michael Endress und beschreibt damit schon die Herausforderung für seinen künftigen Azubi: Kunden ins Geschäft zu locken. Der 46-Jährige ist Geschäftsführer des Stuttgarter Familienbetriebs Endress Motorgeräte, der in zwei Dutzend Niederlassungen vor allem im süddeutschen Raum Garten- und Forsttechnik vertreibt, wartet und repariert. Nur Kunden, die sich virtuell gut aufgehoben fühlten, würden den Fachhändler auch direkt aufsuchen und gar nicht auf den Gedanken kommen, den nächsten Discounter anzusteuern.

Der Mittelständler hat rund 200 Beschäftigte, darunter elf Auszubildende, allerdings nur einen im kaufmännischen Bereich. Im nächsten Jahr soll ein weiterer dazukommen. Der Beruf, den dieser oder diese Auszubildende erlernen wird, ist neu: Kaufmann oder -frau für E-Commerce. „Wir haben lange darauf gewartet, dass diese Lücke geschlossen wird“, sagt Endress. Mitarbeiter für das derzeit vierköpfige Online-Team hat er bislang von der Hochschule rekrutiert oder durch Umschulungen und Weiterbildungen auf ihren Job vorbereitet. Von 2018 an gibt es die Möglichkeit, die nötigen digitalen Kompetenzen in einer dualen Berufsausbildung zu erlernen.

Der E-Kaufmann ist der erste kaufmännische Ausbildungsberuf seit zehn Jahren, der komplett neu geschaffen wird. Katharina Weinert hat den Prozess von Anfang an federführend als Sachverständige begleitet. Die Abteilungsleiterin Bildungspolitik und Berufsbildung beim Handelsverband Deutschland (HDE) erklärt in zwei Sätzen, um was es in der dreijährigen Ausbildung gehen soll: „Der Einzelhandelskaufmann macht den Laden chic und gestaltet das Einkaufserlebnis für die Kunden so angenehm wie möglich“, sagt Weinert. „Dieses Erlebnis muss der E-Commerce-Kaufmann ihnen ins Wohnzimmer holen.“

Für klassische Einzelhändler gibt es die Wahlqualifikation Online

Von der ersten Idee bis zum Start der ersten Azubis im Spätsommer kommenden Jahres werden mehr als fünf Jahre vergangen sein. Das eigentliche Ordnungsverfahren ging dagegen vergleichsweise zügig vonstatten: Ab November 2016 wurden die praktischen und theoretischen Ausbildungsinhalte binnen sechs Monaten erarbeitet. Neben Vertretern von Verbänden, Kammern und Berufsschulen waren auch Arbeitgeber und Gewerkschaften an dem Verfahren beteiligt, das vom Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) koordiniert wurde. Nach Weinerts Worten wurde noch kein neuer Beruf so schnell konzeptioniert: „Das passt gut zum E-Commerce-Kaufmann, dem ersten richtigen 4.0-Beruf.“

Wie langwierig es sein kann,Ausbildungspläne zu modernisieren, zeigt das Beispiel des klassischen Einzelhandelskaufmanns. Erst seit dem laufenden Ausbildungsjahr gibt es dabei eine sogenannte Wahlqualifikation „Online-Handel“, mit der sich Azubis im dritten Lehrjahr digital spezialisieren können. Andere Alternativen sind beispielsweise Marketing, Mitarbeiterführung, Warenbeschaffung oder unternehmerische Selbstständigkeit. Der E-Kaufmann geht gleich mehrere Schritte weiter: Das Ziel ist, alle Online-Kompetenzen, die im kaufmännischen Bereich in zunehmendem Maße gefragt sind, zu bündeln. Die Fertigkeiten eines späteren E-Commerce-Spezialisten beschreibt die HDE-Vertreterin Weinert folgendermaßen: Er kennt sich mit Online-Vertriebskanälen aus – vom kleinen Webshop über kommunale Marktplätze bis zu globalen Verkaufsplattformen – und ist in der Lage, neue Trends und rechtliche Änderungen rasch zu erkennen. Innerhalb der Kanäle soll der E-Kaufmann betriebswirtschaftliche Grundzüge beherrschen, von Marketing über Sortimentsgestaltung und Verkauf bis zur Zahlungsabwicklung und Retourenbearbeitung.

Doch nicht nur beim Handel ist das Interesse am neuen Ausbildungsberuf groß. Auch die Reisebranche, Buch- und Zeitungsverlage, das Hotel- und Gaststättengewerbe sowie Großhändler im Pharmabereich und in der Metall- und Elektroindustrie haben bereits oder werden demnächst erste Lehrstellen für E-Kaufleute ausschreiben. Auch im Banken- und Versicherungsgewerbe gibt es Überlegungen, den neuen Beruf auszubilden, entschieden ist dort allerdings noch nichts.

E-Commerce-Fachleute sind Schnittstellen in Unternehmen

Zwei Kompetenzen sind Weinert zufolge neben dem technischen Verständnis am wichtigsten: zum einen die Kommunikation innerhalb des Online- oder Multi-Channel-Händlers, also des Unternehmens, das seine Waren sowohl stationär als auch im Netz vertreibt. E-Commerce-Fachleute agierten als Schnittstelle zwischen verschiedenen Fachabteilungen. Dazu gehöre genauso die Zusammenarbeit mit der IT der Logistik und dem stationären Handelsgeschäft. Rückkoppelungen mit dem Einkäufer sind etwa bei eingehenden Kundenwünschen oder mit dem Lageristen bei der Bestückung des Sortiments für die Newsletter wichtig. Die Bedürfnisse von Kunden möglichst genau zu kennen sei das zweite Steckenpferd der E-Kaufleute – so die Idealvorstellung. Daher habe der Beruf auch viel mit Kennzahlenanalyse und Verkaufspsychologie zu tun.

Obwohl sich erste Ausschreibungen vor allem an Abiturienten und Realschüler richten, will Weinert den Job nicht als gehobene Form des Verkäufers verstanden wissen: „Auch Hauptschüler können den Beruf erlernen.“ Voraussetzung, um ein digitaler Experte zu werden, seien gute Englischkenntnisse, analytisches Denkvermögen und Spaß an der Arbeit mit Daten und Zahlen. Beim Handelsverband geht man davon aus, dass im ersten Jahr mindestens 1000 Lehrstellen für E-Commerce-Kaufleute angeboten werden. Für Händler ist es zuletzt immer schwieriger geworden, freie Lehrstellen zu besetzen. Ob der neue Beruf der Branche einen Schub verleiht, wird man sehen. Michael Endress, der seine Stelle schon ausgeschrieben hat, blickt den Reaktionen jedenfalls gelassen entgegen: „Wenn 50 Bewerbungen kämen, wäre das spitze. Aber mir würden auch fünf reichen, wenn der oder die Richtige dabei ist.“