Der Ich-Erzähler kann nicht genug bekommen von Maria – bis sie selbst ihm die Augen öffnet. Foto: Studio Film Bilder

Der Ludwigsburger Animationsprofessor Andreas Hykade hat einen Film über seine Kindheit im bayerischen Wallfahrtsort gemacht: „Altötting“ ist der sechste Film einer autobiografischen Reihe, die wir hier vorstellen.

Stuttgart - „Was als lebensspendend erscheint, ist am Ende ein Vampirismus“, sagt Andreas Hykade. Seit 2015 leitet er an der Ludwigsburger Filmakademie das international renommierte Animationsinstitut. Trotzdem hat er Zeit gefunden für eine neuen Kurzfilm: „Altötting“, benannt nach seinem Geburtsort, ist der sechste in seiner autobiografischen Reihe.

 

Und er hat internationale Mitstreiter gefunden: Die Animatorin Regina Pessoa aus dem katholischen Portugal, eine Spezialistin für Kratztechnik wie Hykade selbst, ist ebenso mit im Boot wie das National Film Board of Canada: Im katholischen Québec hat der Filmkomponist Daniel Scott mit Orchester und Tenor ein berückendes „Ave Maria“ aufgenommen für „Altötting“. „In beiden Ländern gibt es einen starken Marienkult, alle Beteiligten sind also mit dem Thema verbunden“, erklärt Hykade.

Die zweifelhafte Schönheit der Religion

Die Wallfahrt hat schon bessere Tage gesehen in Altötting, wo Maria im 15. Jahrhundert ein ertrunkenes Kind zurück ins Leben geholt haben soll. „Wir bewegen uns auf eine säkulare Welt zu, und ich bin froh drum“, sagt Hykade. „Die Schönheit der Religion geht ja immer einher mit einem gewissen homöopathischen Maß an Geisteskrankheit.“ Allerdings: „Wenn der virtuelle Zauber des Religiösen erlischt, müssen wir aufpassen, dass die säkulare Welt nicht verarmt. Vielleicht können wir ein wenig vom Zauber hinüberretten.“

Zur Veröffentlichung von „Altötting“ haben wir eine Liste mit allen autobiografischen Filmen Hykades zusammengestellt:

1. Wir lebten im Gras (1995)

Eine dysfunktionale Familie, ein Vater, der mit dem Hodenkrebs kämpft – so begann Andreas Hykade seine autobiografische Trickfilm-Odyssee – und machte sich auf Festivals quasi über Nacht international einen Namen.

2. Ring of Fire (2000)

Die Western-Kulisse entspringt der Fantasiewelt zweier in Tusche gezeichneter junger Männer, die losziehen, um die Welt zu entdecken. Die ist hier an vielen Stellen ein Sündenpfuhl, Schein bedeutet beiden noch weit mehr als Sein, mangelnde Erfahrung gebiert große Erwartungen. Liebe, Sex, Macht, Verletzungen und Heilung bearbeitet Hykade, Western-gerecht in Cinemascope gedreht.

3. Der Kloane (The Runt, 2006)

Um archaische Traditionen unter Männern geht es hier und um die Liebe zu einem sehr goldigen Hasen. „Zing“ macht das Messer, mit dem jedem Jungen ein blutiger Initiationsritus abverlangt wird an einem düsteren Ort wie ein Opfertempel.

4. Love & Theft (2010)

Geistiges Eigentum ist schon lange eines von Hykades Lieblingsthemen. Wie viel schöpft ein Künstler aus sich selbst? Und wie viel stiehlt er, bewusst oder unbewusst, von anderen, deren Arbeit er liebt? Hier hinterfragt sich der Animationskünstler selbst. Zum technoid pulsierenden Soundtrack des Lokalmatadors Heiko Maile von Camouflage verwandeln sich in stetigem Fluss Gestalten ineinander, Ikonen aus der Cartoonwelt wie Mickey Maus, Spongebob und Tweety sowie historische Persönlichkeiten wie Elvis, Marx und Hitler – ein wilder, von beunruhigenden Emotionen begleiteter Ritt.

5. Nuggets (2014)

Ein Vogel läuft auf einer Linie, passiert einen honiggelben Tropfen, schaut kaum hin, passiert einen weiteren, untersucht ihn – und trinkt. Da blitzt sein Auge, sein Körper färbt sich und er hebt ab zu himmlischer Musik. Er landet, läuft weiter, trinkt, hebt ab, landet härter, rennt nun zum nächsten Tropfen, trinkt, schwebt kürzer, landet härter, verfällt – eine grandiose, schmerzhafte Parabel zum Phänomen Sucht.

6. Altötting (2020)

Mit wallendem Haar umgarnt die Jungfrau Maria das Kind, später den jungen Mann – doch es kommt zum Bruch. Andreas Hykade hat seinen Geburtsort, den erzkatholischen Wallfahrtsort Altötting, vor dreißig Jahren verlassen, aber dieser nicht ihn. „Ich erzähle die Geschichte der Beziehung zwischen der Jungfrau Maria und mir und wie die Liebe erkaltet ist“, sagt er: „Ich wurde immer älter und habe mich weiterentwickelt, sie blieb immer gleich. Außerdem habe ich gemerkt: Ich bin nicht der Einzige.“

7. Myself talks about „Altötting“

Hykade dreht gern Filme, in denen er sich und sein Schaffen kommentiert. Hier erläutert er Querbezüge und Referenzen im Hinblick auf seine früheren Kurzfilme.