Bei einer Krebserkrankung können Arzneien, etwa Antikörper, das Immunsystem so aktivieren, dass es diese Selbstheilungskräfte wieder schärft. Foto: Adobe Stock/UlrikaArt

Eine Krebsdiagnose ist nach wie vor ernst zu nehmen. Doch die Medizin hat in den letzten Jahren immense Fortschritte erzielt – wie ein Beispiel aus Stuttgart zeigt: Dort konnte einem schwerkranken Familienvater ein neues Verfahren helfen.

Wenn Mark von seinem Leben spricht, teilt er es sorgsam in zwei Teile – dem Leben davor und dem Leben danach. In dem Leben davor, so erzählt er, sei alles wie geplant gelaufen: verheiratet, Vater von drei Kindern, beschäftigt bei einem hiesigen Automobilhersteller und inzwischen im Besitz eines Reihenendhauses. Als eine „wunderbar unbeschwerte Zeit“ empfand es der Mittvierziger. Dann kam der Krebs.

 

Seit jenem Tag im Sommer 2021, an dem er die Diagnose für sein großzelliges B-Zell-Lymphom, eine Form des Lymphdrüsenkrebses, erhalten hatte, wisse er, was es bedeutet, „wenn einem der Boden unter den Füßen Stück für Stück weggezogen wird“.

Jeder Zweite erkrankt im Laufe seines Lebens an Krebs

Die Chemotherapie, die man Patienten mit dieser Form des Lymphdrüsenkrebses standardmäßig verabreicht und mit der schon viele Erfolge erzielt worden sind, schlug bei Mark nicht an. Die Tumorerkrankung schritt fort.

Für den Kampf gegen Krebs braucht es einen langen Atem, bestätigt Uwe Martens, Vorsitzender des Krebsverbandes Baden-Württemberg. Statistisch gesehen, erkrankt fast jede zweite Frau und jeder zweite Mann in Deutschland im Laufe seines Lebens daran. Es handelt sich um eine Volkskrankheit, sie steht nach Herz-Kreislauf-Leiden an zweiter Stelle der Todesarten.

Inzwischen werden die Krebszellen sehr genau untersucht

Für die Medizin sind Tumorerkrankungen ein hartnäckiger Gegner. Unter dem Begriff Krebs versammeln sich viele Dutzend Leiden, die sich hinsichtlich der Entstehung, des erkrankten Organs und der Aggressivität des Tumors stark unterscheiden. „Krebszellen sind wandlungsfähig und versuchen sich anzupassen“, sagt der Onkologe Martens, Leiter der Klinik für Innere Medizin III des SLK-Klinikum am Gesundbrunnen in Heilbronn. „Das erschwert den Kampf gegen Tumorerkrankungen.“

Die Tumordiagnostik eines jeden Patienten wird daher immer wichtiger: Wie sehen die Krebszellen aus, wie schnell teilen sie sich, wie sind ihr Erbgut oder ihre Proteine aufgebaut? Anhand dieser Informationen zeigt sich, welche Therapie geeignet sein könnte.

Das verstehen Ärzte unter „zielgerichteten Therapien“

Und die sind durchaus vielfältiger geworden: Kannte man früher nur Chemotherapie, Bestrahlung und Operation, gibt es nun zwei weitere wichtige Säulen der Behandlung: So können Ärzte bei einigen Tumorarten zielgerichtet gegen den Krebs vorgehen – beispielsweise, indem sie mithilfe eines Medikaments ein bestimmtes Eiweiß im Tumorstoffwechsel blockieren. „Der Krebs und die Tumorlast gehen zurück, dem Patienten geht es schnell sehr viel besser“, sagt Martens. Häufig kann so die Erkrankung auf einem bestimmten Level gehalten werden.

Auch die Entwicklung von Immuntherapien hat die Krebsmedizin vorangebracht: Sie machen sich zunutze, dass die körpereigene Abwehr bei Gesunden dazu imstande ist, Krebszellen zu beseitigen. Bei einer Krebserkrankung können Arzneien, etwa Antikörper, das Immunsystem so aktivieren, dass es diese Selbstheilungskräfte wieder schärft.

Uwe Martens, Vorsitzender des Krebsverbandes Baden-Württemberg Foto: Landeskrebsverband Baden-Württemberg

Bei Mark entschieden sich die Ärzte für eine Immuntherapie

Bei Mark entschieden sich die Ärzte des Robert-Bosch-Krankenhauses (RBK) in Stuttgart für eine besondere Form der Immuntherapie: die CAR-T-Zell-Therapie. Erkrankte erhalten Infusionen mit gentechnisch veränderten T-Zellen. Diese Immunzellen sind imstande, den Tumor anzugreifen. Auch versteckte Krebszellen werden entlarvt.

In der EU sind derzeit mehrere CAR-T-Zellprodukte für ausgewählte onkologische Erkrankungen zugelassen. Zur Anwendung kommen sie allerdings nur in dafür qualifizierten Zentren – wie dem RBK. Hier werden mit dieser Form der Immuntherapie vor allem Leukämie-Patienten behandelt, seit 2022 auch solche mit Lymphdrüsenkrebs.

Mark war der erste Patient, der von der Zulassung profitiert hatte. „Es war ein Glücksfall, dass zuvor eine Studie veröffentlicht worden ist, die den Nutzen der CAR-T-Zell-Therapie belegt hat – gerade bei Lymphdrüsenkrebs-Patienten, die einen Rückfall erlitten haben“, sagt der Oberarzt Martin Kaufmann von der Abteilung für Hämatologie, Onkologie und Palliativmedizin am RBK.

Der Familienvater wurde medizinisch streng überwacht

Für Mark war es ein Wagnis. „Nachdem die erste Therapie fehlgeschlagen ist, habe ich etwas gebraucht, um Kraft für einen neuen Anlauf im Kampf gegen den Krebs aufzubringen.“ Im Spätsommer 2022 – ein Jahr nach der Erstdiagnose – verbrachte Mark drei Wochen im RBK unter strenger medizinischer Aufsicht. Mehrmals am Tag wurde seine Körpertemperatur gemessen. Er wurde Tests unterzogen, um das Ausmaß an Nebenwirkungen zu überwachen.

„Immuntherapien sind kein Spaziergang“, sagt Kaufmann. Es kann zu systemischen Entzündungsreaktionen kommen, Zytokinstürme genannt. Auch neurologische Komplikationen wie Desorientierung, Sprech- und Leseprobleme sind möglich. „Ich weiß noch, dass ich den Satz ‚Stuttgart liegt in Baden-Württemberg‘ immer wieder niederschreiben musste“, sagt Mark.

„Ich fühle mich gesund“

Auch in den ersten Wochen nach der Therapie war Mark eng an das CAR-T-Zellzentrum im RBK angebunden – etwa wegen des Risikos von Blutbildveränderungen und Infektionen. Inzwischen hat er nur noch einige Kontrolltermine im Krankenhaus. Krebszellen sind in seinem Körper nicht mehr nachweisbar. „Ich fühle mich gesund“, sagt Mark.

In der Medizin geht dagegen der Kampf gegen den Krebs weiter: Derzeit wird an personalisierten Impfungen gefeilt, die spezielle Immunzellen so aktivieren, dass sie für den Körper schädliche Strukturen erkennen und vernichten. „Technisch ist das mittlerweile im klinischen Behandlungsprozess gut umsetzbar“, sagt Martens. Es laufen zahlreiche Studien zur Überprüfung der Wirksamkeit, eine Zulassung wird in den nächsten Jahren erwartet.

Forscher wollen Krebs erst gar nicht entstehen lassen

Dennoch ist Heilung nicht alles: Im Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg richtet man den Fokus darauf, Krebs im Körper erst gar nicht entstehen zu lassen – etwa indem an molekularen Stellschrauben geforscht wird, die das unkontrollierte Zellwachstum möglichst früh aufhalten können. Auch werden noch genauere Früherkennungsmethoden entwickelt.

Letztlich, so betont es der DKFZ-Leiter Michael Baumann im Vorfeld des Weltkrebstages am 3. Februar, braucht es eine bessere Präventionsstrategie: „Vier von zehn Krebserkrankungen sind vermeidbar.“ Wer nicht raucht, sich vor UV-Strahlung schützt, in Bewegung bleibt und Übergewicht vermeidet, geht dem persönlichen Kampf gegen Krebs womöglich rechtzeitig aus dem Weg.