Etwa 2000 Gegner der Coronaverordnungen sind am 13. Dezember trotz Verbots ohne Abstand und Maske durch Mannheim gezogen. Die Polizei setzte 900 Beamte ein. Foto: dpa/René Priebe

Der Corona-Protest folgt einer neuen Taktik. Immer seltener wird mit den Behörden kooperiert, die man ohnehin nicht mehr ernst nimmt. Am Wochenende rückt vor allem eine AfD-Demo in den Fokus.

Mannheim/Göppingen - Die Mannheimer Polizei hat gerade damit begonnen, den zentralen Platz am Wasserturm per Durchsage zu räumen, da werden es plötzlich immer mehr statt weniger Menschen. Der Platz sei förmlich „geflutet“ worden, sagte danach ein Polizeisprecher. Bis zu 2000 Demonstranten, so schätzen die Behörden, seien am Montagabend in der Innenstadt unterwegs gewesen. „Mit so einer hohen Zahl haben wir nicht gerechnet.“ 900 Polizisten waren am Ende im Einsatz.

Doch es war nicht die einzige einschlägige Veranstaltung an diesem Abend. Nach einer Aufstellung des Innenministeriums in Stuttgart fanden allein am Montag im Land 75 „Versammlungen mit polizeilicher Begleitung“ statt, davon hatten 74 einen Pandemiebezug. Wochenlang seien zu den Demonstrationen nur rund zwei Dutzend Menschen gekommen, sagte ein Sprecher der Pforzheimer Polizei. Am Montag sei es plötzlich eine dreistellige Zahl gewesen. Insgesamt hätten landesweit 9300 Personen demonstriert. Jetzt blicken die Sicherheitskräfte aufs kommende Wochenende. Beworben würden aktuell Veranstaltungen in Göppingen, Öhringen und Reutlingen, heißt es aus dem Landesamt für Verfassungsschutz.

Die AfD möchte das Thema nutzen

Besonderes Augenmerk liegt dabei auf einer AfD-Kundgebung am Samstag in Göppingen. Dort werden etwa Parteigrößen wie Alice Weidel, Martin Hess, Markus Frohnmaier und Marc Jongen erwartet. Es geht „gegen Impfpflicht, Bevormundung und Lockdown“. Im Hinblick auf die Pandemie hat die Stadt eine Maskenpflicht verhängt. Es gelten Abstandsgebote und 3G-Regel. Maximal 150 Teilnehmer wurden zugelassen. Allerdings bestehen Zweifel, dass diese Grenze eingehalten wird. Die Veranstaltung werde im Netz stark beworben, sagte Daniel Meyer vom Landesverfassungsschutz. Die von seiner Behörde beobachtete „Junge Alternative“ mobilisiere. Mit der Teilnahme von Rechtsextremisten und Akteuren aus dem Querdenker-Milieu sei zu rechnen.

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Meyer leitet das Referat, das sich speziell mit der Querdenker-Initiative befasst. Diese gehört zum neuen Phänomenbereich „Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates“, den der Verfassungsschutz allerdings weiter in der Abteilung „Rechtsextremismus“ führt. Zum harten Kern zählt er eine niedrige dreistellige Zahl an Personen im Land. Verschwörungsmythen spielten eine große Rolle, sagte Meyer. „Wir sehen eine deutliche Radikalisierung.“ Das Verhältnis zum Thema Gewalt sei zunehmend ambivalent. Von den Szenegrößen gebe es in der Regel keine direkten Aufforderungen. Aber „was in den sozialen Medien gepostet wird, ist teilweise schon drastisch.“

Die Polizei muss bei Telegram mitlesen

Bei den Demonstrationen sehen die Behörden eine veränderte Taktik. Oftmals würden Demonstrationsverbote ignoriert oder die Veranstaltungen zwar auf den einschlägigen Kanälen im Messengerdienst Telegram beworben, allerdings nicht mehr bei den Behörden angemeldet. Um informiert zu sein, muss die Polizei bei Telegram mitlesen. Zwar sind die Kanäle öffentlich und auch für die Polizei problemlos einsehbar, dennoch geschehe das aus Kapazitätsgründen nur oberflächlich, räumte ein Sprecher der Polizei in Freiburg ein. „Komplett kann man das ja gar nicht überwachen“, sagte eine Polizeisprecherin aus Karlsruhe.

Oft gibt es auch keinen Versammlungsleiter mehr, mit dem Einhaltung von Auflagen wie die Maskenpflicht abgesprochen werden könnten. So war das auch am Montag in Mannheim. Es habe sich offensichtlich um eine „orchestrierte Aktion“ gehandelt, sagte der Mannheimer Oberbürgermeister Peter Kurz (SPD). Die Teilnehmer seien in Grüppchen durch die Stadt gezogen, ohne Banner, ohne Plakate, ohne Kundgebung, sagte Patrick Knapp, Sprecher des Mannheimer Polizeipräsidiums. Man habe offenbar den Eindruck erwecken wollen, dass es sich gar nicht um eine Versammlung handeln würde, die angemeldet hätte werden müssen. Nur der Slogan „Frieden, Freiheit, keine Diktatur“, sei skandiert worden.

Daueraufgabe auch ohne Corona

Auf diese Weise wurde mit der Polizei ein „Katz- und Maus-Spiel“ betrieben, bei dem via Telegram auch kurzfristig auf das Verhalten der Polizei reagiert wurde. Als die Ordnungskräfte eine Sperre errichteten, sei es zu gewaltsamen Durchbruchversuchen gekommen. Sechs Beamte wurden verletzt.

Meyer glaubt indes , dass der neue Phänomenbereich eine Daueraufgabe für den Verfassungsschutz bleiben wird. Nach der Coronakrise würden die Akteure neue Themen suchen und finden. Das habe man im Frühsommer bei der Flutkatastrophe im Ahrtal gemerkt, als sich dieselben Personen auf dieses Thema gestürzt hätten. „Es geht ihnen darum zu zeigen, dass der Staat angeblich versagt.“