Fachleute für zeitgenössische Klänge: die Neuen Vocalsolisten Stuttgart Foto: Martin Sigmund

Im Theaterhaus Stuttgart sind die Neuen Vocalsolisten gemeinsam mit dem Ensemble CrossingLines aus Barcelona aufgetreten. In ihrem Konzert gab sich Neue Musik unter anderem von Michael Beil crossmedial, spielerisch und auf kluge Weise unterhaltsam.

Stuttgart - Sie sitzen auf der Bühne, sie singen, sie spielen. Sie gehen durch das Bild, und sie sind auf der Leinwand dahinter zu sehen: einmal, zweimal, vielfach. Das live Gespielte wandert ins Bild, kommt verzögert aus Lautsprechern; Realität, Reproduktion, Reaktion und Verfremdung verschieben sich gegeneinander. Das Abgefilmte wird zum Spiegelkabinett, und wer dabei war, als die Neuen Vocalsolisten Stuttgart und das spanische Neue-Musik-Ensemble CrossingLines am Dienstagabend im Theaterhaus die Reihe „Südseite nachts“ von Musik der Jahrhunderte eröffneten, der hat sich nicht nur auf intelligente Weise unterhalten gefühlt, sondern hinter dem nur vordergründig seichten Musical-Ton von Michael Beils Stück „Transit“ staunend einen faszinierend weiten, polyfon gestalteten Gedankenraum gefunden. Das erfreulich wenig dekorative, unprätentiöse Stück ist das Ende und der Höhepunkt eines schön durchkomponierten, überaus spielerischen Konzertes, in dem das Spannungsfeld zwischen Realität und virtuellen Welten auf sehr unterschiedliche Weise gefüllt und hinterfragt wurde.

Der Komponist Michael Beil stand dabei im Zentrum: weil hier gleich drei seiner Werke zu sehen und zu hören waren und weil diese so stark, stilistisch so breit gefächert sind und sich so betont dem Zuhörer mitteilen wollen, dass sie den Abend trugen. „Doppel“ ist ein virtuoses, witziges Bild-Klang-Vexierspiel mit zwei Pianistinnen und Video, „Die Drei“ ein Klangstück, in dem die Neuen Vocalsolisten mit sehr wenig Material eine sehr große Wirkung erzielen – und mit zahlreichen Anklängen an Vokaltechniken vergangener Zeiten wieder einmal beweisen, was für ein wundervoll kreatives (und immer wieder exzellent homogenisiertes) Ensemble sie sind. Eine hübsche Ergänzung bot der spanische Komponist Óscar Escudero, der als sein eigener Performer gemeinsam mit CrossingLines das Mit- und Gegeneinander von Wirklichkeit und ihrer Spiegelung in den sozialen Medien thematisierte: In „Custom#1.3“ treibt er Sprache, Video, Elektronik und Instrumentalspiel in virtuos rhythmisierte Parallelführungen. Das Publikum verlässt das Konzert mit einem Lächeln im Gesicht – wie schön, dass dies mittlerweile auch bei Neuer Musik passieren kann.