Etwa 5000 Stuttgarter sind spielsüchtig. Foto: dpa

5000 Stuttgarter spielsüchtig – Stadt will Angebot der Wettbüros und Spielhallen mit Verordnungen begrenzen

Stuttgart - Die Zahl der Spielsüchtigen steigt kontinuierlich. Allein in Stuttgart waren es 2011 neun Prozent mehr Menschen, die wegen ihrer Sucht Hilfe suchten. Einer von ihnen ist Stefan Moser (38). Er war Stammgast in den Spielhöllen der Stadt und verzockte fast sein Leben.

Dass Stefan Moser als Paradebeispiel für einen Spielsüchtigen herhalten muss, ist vor allem eines: ein gutes Zeichen. Dafür, dass es Auswege aus der (Spiel-)Hölle gibt. Dafür, dass die Beratungs- und Präventionsangebote der ambulanten Suchthilfe funktionieren. Damit ist diese Geschichte zwar von ihrem Ende her erzählt. Aber so fällt ein helleres Licht auf das, was vorher passierte. Da herrschte nämlich diese unglaubliche Finsternis, in der Stefan Moser feststeckte. Der 38-Jährige hat diese Dunkelheit in seinem Leben auf einem Bild festgehalten. Es hängt heute noch über seinem Sofa. Als mahnendes Beispiel.

„Das bin ich“, sagt er und zeigt auf ein schemenhaftes Wesen auf seinem Bild. Jenes Wesen ist kaum mehr als ein Schatten, das in der Nacht verloren durch einen Wald irrt. Ohne Orientierung, ohne Hoffnung. Allein getrieben von der Sucht. „Ja, ich bin Spieler“, sagt er, obwohl er schon seit 2008 keine Spielhalle mehr von innen gesehen hat. Davor war er den Verlockungen verfallen, die von den Geldspielautomaten ausgehen: den Sieges-Melodien, den flackernden Lichtern und natürlich der Chance auf den großen Gewinn. Von acht bis Mitternacht. Oft an sechs Automaten gleichzeitig. Bis zu dem Tag, aus dem Stefan Moser aus diesem Rausch erwacht. Mit einem „großen Kater“, wie Stefan Moser das Gefühl der Leere und Ausweglosigkeit beschreibt.

Angebot und Nachfrage entwickeln eine unheilvolle Wechselwirkung

Offizielle Diagnose: pathologisches Spielen. Eine Krankheit, der in Stuttgart immer mehr verfallen, wie der jüngste Bericht des Gesundheitsamts zeigt. Im Jahr 2011 stieg die Zahl derer, die neu eine Beratungsstelle aufsuchten, von 134 auf 147 Fälle. Also um neun Prozent. Insgesamt rechnet Günther Zeltner von der Beratungsstelle der Evangelischen Gesellschaft (Eva) jedoch mit 5000 Spielsüchtigen in der Stadt. „Doch davon erreichen wir nur etwa sechs Prozent“, sagt Zeltner und wünscht sich daher „perspektivisch eine Verdopplung des Angebots“ von bisher zwei auf vier Spielsuchtberater.

Angebot und Nachfrage entwickeln in diesen Fällen eine unheilvolle Wechselwirkung. Weil die Zahl der Spielhallen in der Stadt stetig wachse, steigt laut Zeltner auch die Zahl der Süchtigen. Elisabeth Dongus vom Gesundheitsamt bestätigt: „Unsere Lebenswelt hat sich massiv verändert. Das Angebot der Spielhallen und die Möglichkeiten im Internet werden immer größer.“

Die Stadt hat das erkannt und versucht nun über eine neue Vergnügungsstättenkonzeption die Zahl der Wettbüros und Spielhallen unter anderem über das Baurecht zu steuern. „Eine andere Möglichkeit haben wir nicht“, sagt Hermann-Lambert Oediger vom Stadtplanungsamt, „wir haben keine Chance, etwas zu verbieten, wir können nur lenken.“ Zum Beispiel, dass Spielhallen oder Wettbüros nicht mehr im Erdgeschoss aufmachen dürfen. Die Werbung solcher Läden einzugrenzen, hält Oediger gar für unmöglich: „Man kann im Glücksspielbereich hier keine extra Verordnung durchsetzen. Änderungen in diesem Bereich würden auch alle anderen Gewerbe betreffen.“

„Der Spielautomat war wie eine Beziehung für mich“

Ebenso schwer ist es, das Übel an der Wurzel zu packen. Denn Spielautomaten, die in vielen Gaststätten stehen, gelten aus Sicht der Experten als „Einstiegsdroge“. Vor allem für Jugendliche. Günther Zeltner fordert daher ein Verbot: „Geldspielautomaten haben in Gaststätten nichts verloren.“ Aber auch hier muss Stadtplaner Oediger die Euphorie der Suchtberater bremsen: „Eine Gaststätte ist keine Vergnügungsstätte, alle bestehenden und geplanten Verordnungen greifen hier nicht.“

Zeltner und sein Team müssen also weiterhin Basisarbeit leisten. In der Prävention. Oder wie bei Stefan Moser in der Beratung. Dabei war es in diesem Fall fast zu spät. Nach zwölf Jahren zocken verlor er seinen Job, saß auf einem Berg von Schulden und Möbeln, die er auf dem Sperrmüll ergatterte. Der Kontakt zur Familie war abgerissen, die Freundin gab ihm den Laufpass. Anfangs dachte er, halb so schlimm: „Vorm Automaten musste ich sowieso nichts reden. Der Spielautomat war wie eine Beziehung für mich.“ Doch irgendwann wird ihm tatsächliche Isolation schmerzlich bewusst: „Alles war karg, die Freude war vollkommen weg.“

Er hatte alles verzockt: das Geld, das Leben, die Liebe.

Zwei Versuche, sich das Leben zu nehmen, scheiterten. Genauso wie die ersten Anläufe, bei der Beratungsstelle Hilfe zu suchen. Dort schickten sie Moser nach vier Erstgesprächen zwölf Wochen in eine Suchtfachklinik. Aber damit hat diese Geschichte nur ein vorläufiges Ende. Stefan Moser traut dem Frieden nicht. Er weiß: einmal Spieler, immer Spieler. Deshalb besucht er wöchentlich eine Selbsthilfegruppe. Sie habe „Kontrollfunktion“ über ihn. Fast so wie dieses abschreckende Bild im Wohnzimmer mit den langen Schatten seiner Vergangenheit.