Wohnungseinbrüche fallen zumindest in der Statistik kaum mehr auf. Foto: dpa

Die Kriminalität ist so niedrig wie seit 30 Jahren nicht mehr. Doch im öffentlichen Raum wächst die Gewalt.

Stuttgart - Die Zahlen fielen so positiv aus, dass sich Thomas Strobl am Ende sogar einen Scherz erlaubt. Wohnungseinbrüche seien zu Beginn seiner Amtszeit das größte Problem gewesen, da habe jeder Stammtisch drüber gesprochen, sagte er am Freitag bei der Vorstellung der Kriminalstatistik. Nun habe man die Fallzahlen seit 2014 halbiert. Wenn die Polizei die nächsten drei Jahre so weitermache, gebe es keine Wohnungseinbrüche mehr. „Dann muss ich den Landespolizeipräsidenten ins benachbarte Ausland schicken, dass er ein paar Straftäter importiert – damit der Polizei die Arbeit in diesem Bereich nicht ausgeht.“

Strobl hat am Freitag gut lachen. Er stellt die Kriminalstatistik der Polizei vor – das jedes Jahr wieder viel beachtete Werk, das mit vielen Zahlen umschreibt, wie sicher die Menschen im Land leben. Und sie leben der 133 Seiten langen Statistik zufolge so sicher wie seit der Wende nicht mehr.

Strobl: Die Fakten sind gut

„Schön, dass wir die Gelegenheit haben, über Fakten zu sprechen“, sagt Strobl. „Die Fakten sind sehr gut.“ Zum Beispiel, dass die Zahl der Straftaten mit 572 173 erneut gesunken ist. Oder dass die Polizei so viele Straftaten aufklärt wie nie. Dass auch Straftaten von Flüchtlingen zurückgehen.

Zwar gibt die Polizei in der Kriminalstatistik stets nur Straftaten an, die angezeigt wurden. Damit gibt sie kein genaues Bild über die tatsächliche Kriminalität in Deutschland – und auch nicht über ihre genaue Entwicklung. Gehen die angezeigten Fälle zurück, kann das einfach an weniger Anzeigen liegen. Das kann aber auch in die andere Richtung wirken: Die Zahl der Sexualdelikte im öffentlichen Raum schoss 2018 im Südwesten um 21 Prozent in die Höhe. Das liege auch an der Einführung des Straftatbestandes der sexuellen Belästigung und Diskussionen wie die Metoo-Debatte, sagt Strobl. „Möglicherweise passiert gar nicht mehr, aber es wird mehr angezeigt.“ Aber zumindest nach der offiziellen Statistik ist die Kriminalität nicht nur im Südwesten, sondern in ganz Deutschland seit Jahren rückläufig. Die Wahrnehmung vieler Menschen entwickelt sich in eine andere Richtung. Viele fühlen sich nicht mehr so sicher wie früher. „Für die Menschen im Land ist ganz entscheidend, dass sie sich in ihrer Umgebung, in ihrem Heimatort, in ihrem ganz normalen Alltag sicher fühlen - und das zu jeder Tages- und Nachtzeit“, sagt Strobl.

Mehr Aggressionsdelikte

In der Tat ist längst nicht alles eitel Sonnenschein. Die Wahrnehmung der Sicherheit wird stark geprägt von der Gewalt im öffentlichen Raum – und gerade die hat im Südwesten deutlich zugenommen. Gewaltsame Angriffe auf den Straßen und Plätzen im Land, sogenannte Aggressionsdelikte, kletterten 2018 um fünf Prozent auf 27 444 Fälle. Auch die Gewalt gegen Polizisten ist sprunghaft gestiegen. Im Jahr 2018 sind 2390 Polizeibeamte verletzt worden – dies ist eine Zunahme von etwa 22 Prozent.

Strobl spricht deshalb über viele Maßnahmen in der Polizeiarbeit, über Sicherheitstage, Sicherheitspartnerschaften, Sicherheitskonferenzen. Hauptsache Nummer sicher – das gehört zum Jobprofil eines Innenministers. Strobl will derzeit das Polizeigesetz verschärfen und mehr Polizisten auf die Straße bringen. Aber inwieweit sind ständige Forderungen nach mehr Beamten und schärferen Gesetzen nötig und hilfreich? Passt das zur Faktenlage? Oder schürt man damit gar mehr Angst in der Bevölkerung? Strobl räumt ein, dass die „objektive Sicherheitslage und das subjektives Sicherheitsgefühl“ in Teilen der Bevölkerung auseinandergingen.

Man meidet gewisse Räume

Landespolizeipräsident Gerhard Klotter sagt aber, beim subjektiven Sicherheitsgefühl gehe es nicht nur um das Empfinden der Bürgers. Es gebe sogar einen engen Zusammenhang von empfundener und realer Sicherheit. „Man vermeidet gewisse Räume zu gewissen Uhrzeiten, man geht nicht mehr in gewisse Stadtteile – was zwangsläufig nach sich führt, dass die reale Sicherheit in diesen Gebieten einfach nachlässt, weil es keine soziale Kontrolle mehr gibt.“

„Niemand darf sich in der Öffentlichkeit fürchten müssen, andernfalls läuft unsere freie Gesellschaft Gefahr, an Legitimität zu verlieren“, sagt auch FDP-Innenexperte Ulrich Goll. Angesichts zunehmender Gewaltdelikte in der Öffentlichkeit warf der innenpolitische Sprecher der SPD-Landtagsfraktion, Sascha Binder, Strobl vor, die Prävention zu vernachlässigen. „Der Innenminister darf bei diesem Thema nicht weiter auf Lücke setzen.“

Auch das subjektive Sicherheitsgefühl sei Realität und müsse ernst genommen werden, räumt Strobl ein. Dann spricht er von islamistischem Terror und Cybercrime und wirbt für mehr Polizei und schärfere Gesetze. „Wenn wir uns zurücklehnen würden, bin ich sehr sicher, dass wir sehr schnell eine gegenläufige Entwicklung hätten“, sagt er. Man mühe sich eben jeden Tag, noch besser zu werden. „Weil sich die Kriminellen weiterentwickeln, entwickeln wir uns auch weiter“, sagt er. „Das Böse schläft nicht.“