Viele Autokäufer haben Angst mit einer leeren Batterie liegenzubleiben. Deshalb kaufen sie kein E-Auto. Foto: dpa

Neue Tests sorgen dafür, dass die angegebenen Reichweiten von E-Autos realistischer sind als bisher. Allerdings sehen Wissenschaftler immer noch Verbesserungsbedarf.

Stuttgart - Vom 1. September an müssen alle Neuwagen, die verkauft werden, eine Genehmigung nach dem schärferen Prüfzyklus WLTP haben. Die Umstellung wird bei den Elektroautos dazu führen, dass die angegebene Reichweite, die das Auto mit einer Batterieladung schafft, deutlich sinken wird, in der Regel um 20 Prozent. Dies ist darauf zurückzuführen, dass die auf dem Prüfstand simulierten Fahrten realitätsnäher sind als beim bisherigen Fahrzyklus NEFZ, der seit 1992 galt. Gleichwohl wird auch bei WLTP teilweise eine zu günstige Umgebungstemperatur von 23 Grad angenommen, sodass die Reichweiten eigentlich noch niedriger sein müssten, um hierzulande dem Alltagsverkehr zu entsprechen.

Stefan Bratzel vom Center of Automotive Management (CAM) in Bergisch Gladbach sieht dies skeptisch. „Die Autoindustrie darf nicht wieder den gleichen Fehler begehen und unrealistische Angaben machen. Dies würde dem Verkauf von Elektroautos schaden“, warnt der Wissenschaftler und erinnert damit an die heftige Kritik, die insbesondere nach dem Bekanntwerden des VW-Abgasskandals bei den Verbrennungsmotoren an dem bisherigen Prüfverfahren NEFZ laut wurde, das viel zu schöne Verbrauchs- und Abgaswerte geliefert hat.

Derzeit bremst der Mangel an lieferbaren E-Autos den Verkauf

Die Reichweite sei ein ganz wichtiges Thema beim Verkauf von Elektroautos, sagt Bratzel. Die Angst, mit leerer Batterie liegenzubleiben, gilt neben den hohen Preisen bisher als wichtigstes Hemmnis für einen Durchbruch der Stromer auf dem deutschen Automarkt. Die Hersteller müssten deshalb eine realistische Reichweite angeben, „sonst geht der Schuss nach hinten los“, meint der Wissenschaftler.

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Dieser Meinung ist auch Michael Ziegler, der Präsident des baden-württembergischen Kraftfahrzeuggewerbes. „Mit geschönten Werten ist niemandem gedient, uns als Händlern und Werkstätten schon gar nicht“, meint Ziegler. Derzeit bremse allerdings eher der Mangel an lieferbaren Fahrzeugen als das Misstrauen gegenüber den Reichweiten den Verkauf. Als großes Manko bei den Testbedingungen sieht Ferdinand Dudenhöffer, der Leiter des Forschungsinstituts CAR an der Universität Duisburg-Essen zudem, dass bei WLTP der Einfluss von Heizung und Klimaanlage ausgeklammert worden sei, die einen großen Einfluss auf die Reichweite hätten. Dudenhöffer führt die teilweise unrealistischen Testbedingungen, darauf zurück, dass der neue Prüfzyklus weltweit gelten und Fahrbedingungen rund um den Globus abbilden sollte. Dies habe Kompromisse erfordert. Das Testverfahren Worldwide Harmonized Light Duty Test Procedure (WLTP) wurde „in zähen Verhandlungen“, so Dudenhöffer, von einem UN-Gremium erarbeitet. Die Autoindustrie habe bei diesen Verhandlungen in einem langen Prozess zwar Zugeständnisse gemacht, aber allzu scharfe Vorgaben abgewehrt, sagt der Autoexperte.

Renault nennt auch eine „Winterreichweite“

Um Enttäuschungen der Kunden zu verhindern, wollen etliche Autohersteller die neuen WLTP-Angaben indes um eigene Werte ergänzen. So gibt etwa BMW zusätzlich eine „kundennahe Reichweite“ an, die deutlich niedriger als der offizielle Wert liegt, Renault nennt auch eine „Winterreichweite“. Dies findet Zustimmung, auch wenn damit den Verbrauchern die Orientierung nicht gerade erleichtert wird. Ferdinand Dudenhöffer meint ebenso wie sein Forscher-Kollege Stefan Bratzel, dass die Autokäufer eher dem von den Herstellern angegebenen niedrigeren Wert vertrauen werden. Allerdings sehen es beide Autoexperten kritisch, dass die Hersteller unterschiedliche ergänzende Kennziffern wählen, die nicht vergleichbar seien und deren Zustandekommen auch schwer überprüfbar sei. „Hier sollte nicht jeder sein eigenes Süppchen kochen“, meint Bratzel, der sich ebenso wie Dudenhöffer dafür ausspricht, hier auf europäischer Ebene, etwa beim Branchenverband Acea, eine Standardisierung anzustreben.

Der Verkehrsclub VCD hält die Diskussion über die Reichweite für überzogen

Beim Verband der Automobilindustrie (VDA) ist jedoch keine Begeisterung für solch einen Vorstoß zu erkennen. Der Verband beurteilt ergänzende Angaben wie bei BMW skeptisch. Die Angabe einer „kundennahen Reichweite“ sei „nicht zielführend“, so ein Verbandssprecher, weil der tatsächliche Verbrauch ebenso variiere wie die Reichweite und von vielen Faktoren abhängig sei, wie etwa der Verkehrslage, dem Wetter oder der persönlichen Fahrweise. Der WLTP, so der Sprecher, könne zwar nicht alle Fahrbedingungen wiedergeben. Der Prüfzyklus ermögliche aber einen Vergleich zwischen den vielen Pkw-Modellen und sei kundennäher als der bisherige NEFZ-Zyklus. Auch Michael Müller-Görnert, Referent für Verkehrspolitik beim ökologisch orientierten Verkehrsclub VCD, sieht vor allem Vorteile durch die Umstellung auf den neuen Prüfzyklus. „Die Verbraucher sollten froh sein, dass die Angaben näher an der Realität liegen“, sagt Müller-Görnert, der die Diskussion über die Reichweite ohnehin für überzogen hält. „Die meisten Elektroautos kommen weit genug, um den täglichen Bedarf abzudecken“, sagt der VCD-Experte.