Wie viel Sprit verbrauchen Autos wirklich? In unserer Bildergalerie haben wir die Modelle der Hersteller unter die Lupe genommen. Foto: dpa

Moderne Autos verbrauchen auf dem Papier viel weniger als in Wirklichkeit. Erstmals liegen nun konkrete Daten für viele Modelle vor. Es zeigt sich: Das Problem ist in den vergangenen Jahren größer geworden.

Stuttgart - Offizielle Verbrauchsangaben sind bei vielen Automodellen offenbar immer seltener das Papier wert, auf dem sie geschrieben stehen. Diesen Schluss legt zumindest eine bislang unveröffentlichte Untersuchung des International Council on Clean Transportation (ICCT) nahe. Die in Washington und Berlin angesiedelte Expertenorganisation hatte bereits Ende September vergangenen Jahres mit einer Studie zur Klimafreundlichkeit neuer Automodelle von sich reden gemacht und die Debatte um den VW-Abgasskandal angeheizt. Die damals vom ICCT erhobenen Daten zum CO2-Ausstoß bei Fahrzeugen wurden nun auf Verbrauchswerte übertragen. Damit ergibt sich zum ersten Mal ein umfassender Blick auf konkrete Verbrauchswerte wichtiger europäischer Fahrzeugmodelle.

Der fällt aus Verbrauchersicht alles andere als rosig aus. Bei nahezu allen Modellen im EU-Automarkt sei seit dem Jahr 2000 eine „größer werdende Kluft zwischen offiziellem und realem Spritverbrauch“ zu verzeichnen, heißt es in der Untersuchung. Insgesamt hat das ICCT 20 Basismodelle etablierter Hersteller genauer unter die Lupe genommen, die rund 40 Prozent aller in Deutschland registrierten Fahrzeuge abdecken. Dabei haben die Experten auf Verbrauchsdaten von fast 600 000 Fahrzeugen zurückgegriffen, die die Fahrer zuvor selbst erhoben hatten. Die Datensätze wurden zunächst um unwahrscheinliche Angaben korrigiert und dann Mittelwerte für die einzelnen Fahrzeugmodelle gebildet.

Besonders deutsche Premium-Autobauer schneiden dabei schlecht ab. Beispiel Daimler: Eine 2014 vom Band gelaufene A-Klasse verbrauchte nach ICCT-Daten im realen Fahrbetrieb 53 Prozent mehr als vom Hersteller angegeben. Bei einem Vergleichsmodell – diesmal allerdings Baujahr 2001 – registrierten die ICCT-Wissenschaftler nur eine Abweichung von zehn Prozent. Bei den 2014er-Baujahren der C- und E-Klasse zeigten sich ähnliche Diskrepanzen. Kein anderer untersuchter Hersteller kommt auf derart hohe Abweichungen. Von Daimler hieß es, man reduziere „seit Jahren konsequent Verbrauch und Kohlendioxid- Emissionen“.

Unrealistische Testbedingungen im Testlabor

Viel besser machen es BWW, Audi und VW tatsächlich auch nicht. Späte Modellbaujahre brauchen auf der Straße bis zu 48 Prozent mehr Sprit als auf dem Prüfstand.

Die enormen Abweichungen werden durch unrealistische Testbedingungen im Labor möglich. Um den Ausstoß von Kohlendioxid und die damit eng verknüpften Verbrauchswerte zu messen, dürfen die Hersteller eine ganze Reihe von Schlupflöchern ausnutzen. So können zur Gewichtsreduktion Fahrzeugteile abmontiert, elektrische Verbraucher wie Klimaanlage oder Radio ausgeschaltet werden. Über sogenanntes Downspeeding können Achsübersetzungen zudem so gewählt werden, dass der Verbrauch im Labortest gering bleibt. Im realen Fahrbetrieb entfaltet dieser Trick aber den gegenteiligen Effekt. Der Spritdurst steigt, weil der Fahrer allzu ungeduldig aufs Gas drückt.

Von den Autobauern würden Möglichkeiten, die Verbrauchswerte im Labor auf legale Weise zu drücken, immer umfassender genutzt, sagte ICCT-Geschäftsführer Peter Mock unserer Zeitung. Eine Einschätzung, die andere Fachleute bestätigen. „Dieser Trend ist da“, sagte Michael Bargende, Vorstandsmitglied des Instituts für Kraftfahrwesen und Fahrzeugmotoren in Stuttgart.

CO2-Ausstoß der Fahrzeugflotten muss sinken

Der Grund des Vorgehens liegt in strengen Vorgaben zum Klimaschutz, die die Europäische Union den Autobauern im Jahr 2009 auferlegt hat. Seither müssen diese den CO2-Ausstoß ihrer Fahrzeugflotten stetig senken. Im Jahr 2020 dürfen neue Pkw im Durchschnitt nur noch 95 Gramm CO2 pro Kilometer ausstoßen – ein Wert, von dem die Branche heute noch weit entfernt ist.

„Statt die Fahrzeuge sparsamer und leichter zu machen, wurde der Spritverbrauch nur auf dem Papier reduziert“, sagt etwa der Grünen-Verkehrsexperte und Nürtinger Bundestagsabgeordnete Matthias Gastel. Die Falschangaben beim Spritverbrauch seien so stark gestiegen, weil die Autohersteller EU-Strafzahlungen in Millionenhöhe entgehen wollten.

Die ICCT-Daten scheinen das zu bestätigen. Seit 2009 geht die Schere zwischen offiziellen Verbräuchen und realen Messergebnissen immer schneller auseinander. Die von den Herstellern angegeben Verbräuche sanken um 15 Prozent. Die im Realbetrieb erzielten viel weniger: nur um zwei Prozent.