In Kliniken ist für Rollstuhl-Fahrer viel Platz – in Wohnungen oft nicht Foto: dpa

Der Entwurf für eine neue Landesbauordnung in Baden-Württemberg wurde in letzter Minute noch einmal verschärft – zu Gunsten der Barrierefreiheit. Und das mit Zustimmung der Christdemokraten.

Stuttgart - Nach dem Willen der Landesregierung sollen bei Neubauten nicht nur mehr Wohnungen als bislang barrierefrei erreichbar sein – etwa mit Hilfe einer Rampe oder eines speziellen Aufzugs. Auch die Wohnungen selbst müssen künftig durchgehend behindertengerecht gestaltet sein.

Bislang galt dies laut dem Behindertenbeauftragten der Landesregierung, Gerd Weimer, nur für Bad, Küche und WC. Nun muss die gesamte Wohnung geräumig geschnitten sein. Eine Befreiung von dieser Vorschrift ist laut Weimer künftig zudem nur noch in begründeten Ausnahmefällen möglich – und nicht mehr wie bislang automatisch dann, wenn sich die Kosten durch den barrierefreien Bau um mehr als 20 Prozent erhöhen.

Diese Verschärfungen des Regierungsentwurfs haben die Fraktionen von SPD und Grünen jüngst im zuständigen Landtagsausschuss beantragt – und dafür eine klare Mehrheit bekommen. Laut dem stellvertretenden Fraktionschef der Grünen, Andreas Schwarz, hat auch die CDU der Änderung zugestimmt, nur die FDP habe sie abgelehnt.

Schwarz begründete die Verschärfung mit der immer älter werdenden Bevölkerung. „Die Nachfrage nach barrierefreiem und altersgerechtem Wohnen steigt“, sagte er. Die Koalition wolle, dass betagte Menschen so lange wie möglich in ihren eigenen vier Wänden leben können. „Ein höheres Angebot an barrierefreien Wohnungen ermöglicht ein Altern in Würde und senkt gesellschaftliche Folgekosten, weil ein oft auch emotional belastender Umzug in ein Pflegeheim entfällt.“ Der SPD-Abgeordnete Klaus Maier ergänzte: „Jeder Monat mehr, den ein älterer Mensch in seiner Wohnung bleiben kann und nicht ins Pflegeheim muss, spart viel Geld.“

Mit dem Hinweis auf die gesellschaftlichen Folgekosten spielt Grün-Rot auf eine Studie von Prognos im Auftrag des Bundesamtes für Bauwesen und Raumordnung an. Der Studie zufolge reduziert der altersgerechte Umbau von Wohnungen deutlich die Zahl der Menschen, die ins Pflegeheim müssen – und somit auch die Pflegekosten .

Beim Verband der Hausbesitzer ist man trotzdem alles andere als erfreut über die neuen Vorgaben. Die bisherige Regelung, der zufolge ab dem Bau eines Hauses mit mindestens fünf neuen Wohnungen ein Geschoss barrierefrei erreichbar sein muss, sei ausreichend gewesen, so der Geschäftsführer von Haus und Grund, Ottmar Wernicke. Künftig greift diese Vorschrift bereits ab dem Bau von drei Wohnungen.

Dass die Nachfrage nach barrierefreien Wohnungen steigt, kann Wernicke so nicht bestätigen. Bislang seien solche Wohnungen, auch weil sie teuer seien, eher „schwer vermittelbar“. Die Leute würden den Gedanken verdrängen, eines Tages womöglich auf eine barrierefreie Wohnung angewiesen zu sein, es gebe da eine „psychologische Hemmschwelle“. Der Entwurf für eine neue Landesbauordnung (LBO), an dem der Minister für Verkehr und Infrastruktur, Winfried Hermann (Grüne), seit Jahren arbeitet, soll an diesem Mittwoch vom Land in zweiter Lesung gebilligt werden und zum kommenden Jahr in Kraft treten. Neben der Pflicht zu mehr barrierefreien Wohnungen ist auch vorgesehen, dass die Fassaden oder Dächer von Neubauten künftig unter Umständen zu begrünen sind. Auch dies ist heftig in die Kritik geraten, von einer „Zwangsbegrünung“ ist die Rede.

Für Neubauten soll laut der neuen LBO künftig Folgendes gelten: „Ist eine Begrünung oder Bepflanzung der Grundstücke nicht oder nur sehr eingeschränkt möglich, so sind die baulichen Anlagen zu begrünen, soweit ihre Beschaffenheit, Konstruktion und Gestaltung es zulassen und die Maßnahme wirtschaftlich zumutbar ist.“

Die Frage, was wirtschaftlich zumutbar ist, überlässt die Regierung den Baurechtsämtern vor Ort. Den Vorwurf der Willkür, der auf die Art entstehe, weist sie zurück. Wirtschaftlich zumutbar sei es in der Regel, wenn sich der Bau durch die Begründung um nicht mehr als 20 Prozent verteuere, heißt es aus dem Infrastrukturministerium. Diese Prozentzahl beruhe auf der bisherigen Rechtsprechung zu gleich lautenden Ausnahmeklauseln und sei den Behörden bekannt.

Haus und Grund hält diese Grenze für zu hoch. Bei einem Neubau im Wert von 300 000 Euro dürfe die Begrünung also bis zu 60 000 Euro kosten, rechnet Geschäftsführer Wernicke vor. „Das ist viel Holz“, sagt er.