Die Spitze der Rakete kann beim Wiedereintritt in die Atmosphäre bis zu 2000 Grad Celsius heiß werden – ein Härtetest für die Hitzekacheln. Klicken Sie sich durch die Bilder aus der Raketen-Werkstatt. Foto: DLR

Warum Stuttgarter Forscher vom DLR eine Rakete mit Ecken und Kanten bauen.

Stuttgart/Andoya - Normale Raketen, mit denen Menschen oder Satelliten ins All geschossen werden, haben meist die gleiche Form. Runder Körper, obendrauf eine scharfe Spitze. Forscher vom Stuttgarter DLR hatten eine andere Idee. Shefex II ist ein Ding mit Ecken und Kanten.

Hendrik Weihs ist ein ruhiger und ausgeglichener Mann. Den 49-jährigen Raketenbauer vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Stuttgart wirft so schnell nichts aus der Bahn. Doch seit einigen Tagen dürfte der Blutdruck des Projektleiters am Institut für Bauweisen- und Konstruktionsforschung deutlich über Normalmaß liegen.

Sein Baby soll endlich fliegen: Shefex II, ein fliegendes Minilabor, 500 Kilogramm schwer und etwa fünf Meter lang. Seit 2003 arbeiten Weihs und Kollegen an sechs DLR-Instituten sowie dem Raumfahrtkonzern Astrium an dem Shefex-Projekt. Das Kürzel steht für Sharp Edge Flight Experiment, also Flugversuch mit scharfen Kanten. Die Form macht das Raumfahrzeug so außergewöhnlich. „Wir betreten mit dieser Mission technologisches Neuland“, sagt Weihs. Meist haben Flugkörper eine abgerundete Oberfläche, der DLR setzt dagegen auf Ecken und Kanten. Warum muss eine Rakete oben rund sein, fragten sich die Forscher. Geht das nicht auch anders?

Was einfach ist, kann auch günstig produziert werden

So kam man auf den Trick mit dem Knick. „Die kantige Form hat den Vorteil, dass der Hitzeschutz deutlich einfacher herzustellen ist“, sagt Projektleiter Weihs. Ähnlich wie Dachziegel sind die Kacheln aus faserkeramischem Verbundmaterial nebeneinander angeordnet. Die simple Form reduziert die Zahl der Bauteile. Für den thermischen Schutz einer US-Raumfähre mussten etwa 20 000 unterschiedliche Elemente gefertigt werden. Anders bei den DLR-Kacheln. Was einfach ist, kann auch günstig produziert werden, sagt Weihs. „Wir erhoffen uns eine Kostenreduktion von 50 Prozent.“

Bevor die komplette Technik in Container verstaut nach Norwegen zur Andoya Rocket Range transportiert wurde, musste Shefex II den ultimativen Härtetest am Boden überstehen. Bei Astrium im bayrischen Ottobrunn wurde das Raumfahrzeug auf einem riesigen Schütteltisch in die Mangel genommen. „Die Bedingungen im Labor entsprechen denen beim Start, der kritischsten Phase der Belastung für eine Rakete“, erläutert Andreas Littek, Leiter der Umwelttechnik am Standort. Die Prüfungen sind für den Erfolg der Mission unabdingbar. „Wenn etwas schiefgeht, kostet uns das drei Millionen Euro“, sagt Hendrik Weihs. Insgesamt wurden in den vergangenen sechs Jahren 15 Millionen Euro investiert – zum Beispiel in Shefex I, das Vorgängermodell, das 2005 ebenfalls von Andoya aus geflogen war.

Mit elffacher Schallgeschwindigkeit Richtung Unendlichkeit

In Ottobrunn ging alles glatt, genauso wie beim Probe-Countdown. Nun kommt der Tag X. Die Forscher schießen Shefex II auf der Spitze einer Rakete aus brasilianischer Produktion in den Himmel über Norwegen. Das Startgewicht liegt bei knapp sieben Tonnen, das gesamte Modul der beiden Raketenstufen und Gleiter misst nur 12,6 Meter in der Höhe. In Raumfahrtdimensionen ein Winzling, aber es ist das erste Raumfahrzeug aus Deutschland, das ins All hochsteigen – und unbeschadet zur Erde zurückkehren kann. Mit elffacher Schallgeschwindigkeit donnert Shefex II in Richtung Unendlichkeit. Bis auf eine Höhe von 200 Kilometern. Bei der Rückkehr müssen die Hitzekacheln dann zeigen, was sie draufhaben. Etwa 45 Sekunden wird die Spitze durch die Erdatmosphäre aufgeheizt, ehe sich der Fallschirm öffnet und Shefex II wieder den Boden erreicht.

Im Inneren des scharfkantigen Flugapparats steckt jede Menge Technik. Mehr als 300 Sensoren übermitteln während des Flugs Druck, Temperatur oder den Wärmefluss. Das DLR hofft, Shefex nach Ende der Mission orten zu können. Im vorgesehenen Landegebiet nahe Spitzbergen ist das Wasser 70 bis 80 Meter tief, eine Bergung der wertvollen Technik also machbar.

Kühlschutz kommt aus Stuttgart

Mit Shefex II testet das DLR zugleich einen aktiven Kühlschutz, der in Stuttgart entwickelt wurde. Im besonders kritischen Moment des Wiedereintritts, dabei sind Temperaturen von etwa 2000 Grad zu erwarten, strömt Gas durch Poren in den Kacheln nach draußen. Dadurch entsteht ein kühlender Schutzfilm, der den Flugkörper vor größeren Schäden bewahrt. Falls dennoch unvorhergesehene Schwierigkeiten auftreten und der Start verschoben werden muss, bleiben noch zwei Wochen. So lange ist das Startfenster an der Abschussbasis offen.

Aber der Experimentalflug ist nur ein Zwischenschritt für die Weltraumexperten. Die Nummer drei der kantigen Flugkörper ist bereits in Planung. Sie könnte sogar zwanzigfache Schallgeschwindigkeit erreichen und dabei Manöver in einer Höhe von bis zu 200 Kilometern fliegen. Als Startplatz haben sich die Forscher das brasilianische Alcantara ausgesucht, landen wird die fliegende Zigarre wie ihr Vorgänger an einem Fallschirm – irgendwo südwestlich der Kapverdischen Inseln.

Die Erkenntnisse aus allen drei Missionen – Shefex I bis III – sollen in den Bau eines Rex Free Flyers münden, eines Raumgleiters mit ebenfalls scharfen Kanten. Im Inneren des unbemannten Fluggeräts, das an einen überdimensionalen Meißel erinnert, könnten Experimente Platz finden, die für die Schwerelosigkeit vorgesehen sind und unbeschadet wieder zur Erde zurückgebracht werden müssen. Rex kann mehrere Tage in großer Höhe um die Erde kreisen und dann wie ein Flugzeug landen – ähnlich den US-Shuttles. Frühestens 2020 dürfte Rex abheben. Und Weihs will dann auch dabei sein.

www.dlr.de/shefexwww.rocketrange.no