Auch der Mann auf dem Boden ist ein Polizeischüler – und mimt für die Übung einen Randalierer. Empfindlich darf er nicht sein. Seine Kollegen sind beim Training einer Festnahme nicht zimperlich. Foto:  

Seit zwei Monaten läuft der Unterrichtsbetrieb an der Herrenberger Polizeischule. Wir waren dabei.

Böblingen - Noch sind die Bauarbeiter im Gebäude. Die Küche und der Speseaals befinden sich noch im Umbau. Gegessen wird deshalb vorübergehend im Foyer. Doch trotz der Beeinträchtigungen läuft bereits seit fast zwei Monaten der Schulbetrieb in der neuen Polizeischule auf dem Fichtenberg in Herrenberg. Etwas außerhalb der Stadt thront das riesige Gebäude mit 18 500 Quadratmetern Fläche, in dem bis vor fünf Jahren die IBM ihr Schulungszentrum hatte.

Nun ist wieder Leben ins lange leer stehende Haus eingekehrt. Überall auf dem Areal sind Gruppen junger Leute zu beobachten, die Polizeieinsätze trainieren. Im dritten Ausbildungsjahr befindet sich die Gruppe der Ausbilderin Monica Botscher. Ein Jahr Praktikum im Streifendienst einer Polizeiwache liegen bereits hinter den angehenden Beamten. Entsprechend hoch sind die Erwartungen der Trainerin an ihre Schüler. Die Einsatzübung findet im Freien statt. Das Szenario: Die Polizei wird in einen Klub gerufen, in dem die Türsteher Probleme mit einem randalierenden Gast haben. Vier junge Leute in Polizeiuniform werden für die Übung zum Streifendienst eingeteilt. Vier andere mimen als Schauspieler in Alltagskleidung Besucher und Türsteher des Klubs. Der Rest der Gruppe steht mit Blöcken und Stiften bewaffnet als Beobachter daneben.

In seiner Rolle als Randalierer skandiert der Polizeischüler „Bullenschweine“

Mit einem Funkspruch werden zwei der angehenden Beamten informiert: „Einsatz im Klub Atlantis. Die Türsteher brauchen Unterstützung.“ Kurze Zeit später eilen Uniformierte heran und versuchen, einen heftig um sich schlagenden Mann festzunehmen. Dessen Freundin steht daneben und beschimpft die Beamten. Auch der Randalierer selbst brüllt immer wieder: „Ihr Bullenschweine.“ Kurze Zeit später treffen zwei weitere Streifenpolizisten ein und kümmern sich um die aufgeregte Freundin.

Ausbilderin Botscher ist nur teilweise zufrieden. „Wie die erste Streife schnell eingegriffen hat, war gut. Aber sie hätte die später eintreffenden Kollegen besser informieren müssen.“ Solche sogenannten Situativen Handlungstrainings gibt es fast täglich, neben Übungen im Freien auch Rollenspiele in extra dafür eingerichteten Räumen. Und die Situation möglichst real zu machen, wurden Kulissen gebaut: Wohnzimmer, Schlafzimmer, eine Kneipe und ein Laden, der Schmuck und Parfüm im Angebot hat, „Hier können wir zum Beispiel den Umgang mit Ladendieben einüben“, erklärt Alexander Dürr, der Chef der Polizeischule. Jeder dieser Szene-Räume hat ein Fenster, durch das Ausbilder und Mitschüler die Übung beobachten können.

Auf dem Lehrplan der Schüler steht auch Schießtraining. Dafür wurde die frühere Kegelbahn der IBM zu einer Laserschießanlage umgebaut. Auf die Wand werden Filme projiziert und die Polizeischüler müssen in Sekundenschnelle entscheiden, wie sie reagieren: Schießen oder nicht? Auch eine Anlage für das Schießtraining mit echten Waffen gibt es – befindet sich aber noch im Bau.

Mehr als 50 Millionen Euro kostet der Umbau

Mindestens 50 Millionen Euro hat der Umbau des IBM-Gebäudes zur Polizeischule gekostet. Die Schlussabrechnung steht noch nicht. Dafür habe die Polizei nun eine supermoderne Ausbildungsstätte, freut sich Alexander Dürr und präsentiert stolz das Fitnessstudio, das im früheren Schwimmbad der IBM entstanden ist. „Wir haben auch Leistungssportler unter unseren Schülern. Die benötigen eine professionelle Ausstattung.“ Um Dozenten, Mitarbeitern und Schülern die Orientierung im riesigen Gebäude zu erleichtern, wurden die Gebäudeteile in unterschiedlichen Farben gestaltet: Gelb, orange, blau, grau und rot.

550 Schüler werden im Endausbau parallel die Schule besuchen, von denen aber immer ein Drittel im Praktikum ist. Sebastian Pahor ist einer davon. Der 23-Jährige stammt aus Stuttgart. Das erste Jahr seiner Ausbildung verbrachte er im Provisorium in Böblingen, dann folgte ein Jahr Praktikum in der Wache in Stuttgart-West. Jetzt hat Sebastian Pahor noch ein halbes Jahr bis zur Prüfung.

Drei Bewerber kommen auf eine Stelle

Während der Schulzeit wohnt Pahor auch in der Schule. Im orangenen Trakt teilt er sich gemeinsam mit einem Kollegen ein Zimmer mit Stockbetten. Die Enge stört ihn nicht. Auch nicht die Maskenpflicht im gesamten Gebäude. Viel mehr zählt: Für ihn ist mit der Ausbildung ein Kindheitstraum in Erfüllung gegangen. „Ich wollte schon immer Polizist werden“, sagt er. „Menschen zu helfen“ ist seine Motivation.

Über Nachwuchsprobleme kann der Schulleiter Alexander Dürr nicht klagen. Für eine Stelle gibt es drei Bewerber. Von 2016 bis 2021 wird die Polizei in Baden-Württemberg um 9000 Beamte aufgestockt. Die Investition in die Herrenberger Polizeischule – eine von fünf im Land – ist Teil dieser Einstellungsoffensive.