Mehr als 500 Millionen Menschen nutzen mittlerweile das weltgrößte Online-Netzwerk, 200 Millionen davon auch per Handy. Foto: dpa

Die Neuen Medien machen Menschen kommunikationsgestört, sagt eine Psychotherapeutin.

Stuttgart - High Tech und Internet haben fast alle Berufsbilder verändert - auch das der Mediziner. Aber wie ist das in der Psychotherapie? Ein Gespräch mit der Therapeutin Franziska Ihle über Online-Sitzungen, Facebook-Geschädigte und die Frage, ob das Internet die Menschen gestörter macht.

Frau Ihle, haben Sie heute schon jemanden per E-Mail therapiert?

Nein. Solche Angebote gibt es zwar im Internet. Aber das finde ich unseriös. Wenn Patienten aus beruflichen Gründen wegziehen, führe ich die Therapie allerdings in Einzelfällen per Telefon oder Skype fort.

Ist die reine Gesprächstherapie überhaupt noch zeitgemäß - oder setzen Sie dabei Neue Medien ein, zum Beispiel Online-Simulationen oder -Spiele?

In den Therapiestunden gibt es nur den Patienten auf der Couch und mich in meinem Sessel. Das wird in meiner Praxis auch immer so bleiben, alles andere stört.

Aber E-Mail spielt in Ihrer Arbeit mittlerweile sicherlich eine große Rolle, oder?

Der Erstkontakt läuft meist per Mail, vor allem bei jüngeren Menschen. Ich denke, es ist für Patienten einfacher, mir etwas zu schreiben, als nur auf einen Anrufbeantworter zu sprechen. Viele Patienten schildern ihr Anliegen, Symptome und Lebensumstände sehr ausführlich per E-Mail. Dadurch kann ich mir gleich einen besseren Überblick verschaffen und feststellen, ob die Patienten in meiner Praxis richtig sind oder nicht.

Spielen Neue Medien in den Schilderungen Ihrer Patienten eine große Rolle?

Etwa 25 Prozent aller Fälle haben mittlerweile damit zu tun.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Ich hatte eine Patientin, die von ihrem Freund verlassen wurde. Nach einiger Zeit entdeckte sie, dass er auf Facebook seinen Beziehungsstatus von "Single" in "In einer Beziehung" geändert hatte und Fotos von sich und seiner neuen Freundin dort zeigte. Meine Patientin war danach suizidgefährdet.

Was gibt es noch für Fälle in Ihrer Praxis?

Es gibt Menschen, die andere Menschen online stalken. Ganze Bewegungsprofile werden verfolgt: Wer war wann und wo auf welchem Portal, und wer hat wen angeklickt. Man kann andere über Handy orten, das scheint ein neuer Volkssport zu werden. Auch Menschen im Internet zu denunzieren oder zu outen scheint schon fast normal. Die Leidtragenden sitzen dann völlig verzweifelt mit Angst- und Panikstörungen in meiner Praxis. Auch partnerschaftliche Probleme, die mit dem Internet zu tun haben, treten öfter auf. Wenn sich Männer in Online-Spielewelten flüchten, wird' s für Angehörige oft schwierig.

Machen also die Neuen Medien Menschen gestörter?

Ich denke, die Menschen sind kommunikationsgestörter. Das wiederum verstärkt einzelne psychische Krankheitsbilder. Früher gab es nur das Telefon. Heute gibt es SMS, E-Mail, Chat, Skype etc. Dazu kommt der Zeitmangel. Es wird nur noch oberflächlich kommuniziert. Dadurch kann man zwar zu seinen Mitmenschen Kontakt halten, mehr aber auch nicht. Beziehungen zu anderen lassen sich aber nur durch reale Begegnung intensiv gestalten und vertiefen. Ich habe den Eindruck, dass soziale Phobien häufiger auftreten als früher.

Also die Angst vor anderen?

Die Menschen verlernen, wie man mit anderen in persönlichen Kontakt tritt und diesen aufrechterhält, die soziale Kompetenz geht verloren. Sie können Emotionen anderer nicht mehr so gut wahrnehmen und entsprechend darauf reagieren. Sie machen sich ständig Gedanken, was andere über sie denken könnten.

]Und wie helfen Sie diesen Internet-Geschädigten?

Sozialverhalten kann man lernen und trainieren. Aber ich bespreche zum Beispiel auch, ob weniger Mediennutzung besser wäre oder wie man Neue Medien sinnvoll nutzen kann. Ich sage einem Patienten aber nicht, dass er nicht mehr ins Netz darf. Die Flucht ins Netz ist ein Symptom für etwas anderes. Oft geht es darum, sich abzulenken, damit man sich nicht mit sich selbst beschäftigen muss. Ich versuche, die Ursachen zu klären.

Gibt es auch eine Internet-Phobie?

Ich beobachte eher eine Telefonphobie. Patienten berichten oft, dass es sie große Überwindung kostet, jemanden anzurufen. Da schicken Sie lieber eine SMS oder E-Mail. Früher hatten wir unser gutes altes Festnetztelefon, es war das Normalste der Welt, jemanden anzurufen. Heute ist das für viele Menschen schon eine Herausforderung.

Nehmen Isolation und Einsamkeit zu?

Auf jeden Fall. Wenn man den ganzen Tag vor dem Laptop im Büro sitzt, telefoniert und mailt, haben die meisten Menschen kein Bedürfnis mehr nach realer Begegnung. Sie wollen dann nur noch schlafen. Gleichzeitig sehnen sie sich danach, Beziehungen und Freundschaften zu führen. Sie spüren, dass etwas fehlt.

Kommen Menschen zu Ihnen, die schlichtweg überfordert sind durch die Neuen Medien?

Ich habe den Eindruck, dass es eher eine Überforderung durch diese enorme Informationsflut ist. Da schaltet das Gehirn auf Durchzug.

Was kann man dagegen machen?

Ich würde zum Beispiel raten, E-Mails nur ein- bis zweimal am Tag abzurufen, sonst ist das Gehirn ständig damit beschäftigt, Wichtiges von Unwichtigem zu trennen. Wenn wir eine E-Mail schreiben, braucht das Gehirn danach eigentlich 15 Minuten Zeit, um sich zu erholen. Das tut aber keiner. Unser Kopf steht unter Dauerfeuer.

Hat sich Ihre Arbeit auch so beschleunigt?

Es werden schnelle Lösungen erwartet. Männer sind in der Regel etwas ungeduldiger. Die kommen zu mir und sagen: "Ich will die Therapie hier in vier Wochen durchziehen."

Ich habe gesehen, dass Sie selbst auch auf Facebook sind...

Meine Praxis ist bei Facebook eingetragen, aktiv nutzen tue ich das Ganze nicht, denn es ist Zeitverschwendung. Ich bin immer wieder schockiert, wenn mir Patienten Freundschaftsanfragen schicken. Ich erkläre ihnen dann in der nächsten Sitzung, dass ich Schweigepflicht habe und ich aus moralischen Gründen die Namen meiner Patienten im Internet nicht veröffentlichen will.

Mediziner klagen teilweise darüber, dass sich Patienten im Internet zu vermeintlichen Experten ihrer Krankheit fortbilden. Erleben Sie das bei Ihren Klienten auch so?

Ja. Wenn neue Patienten kommen, werfen Sie erst mal mit Fachwörtern um sich. Ich sage ihnen dann, wie sehr ich mich freue, dass es Google gibt und sie sich schon selbst eine Diagnose gestellt haben. Da bräuchten wir Therapeuten und Ärzte nun endlich nicht mehr studieren, und ich lächle sie an. Die Einsicht kommt bei den meisten dann doch recht schnell, denn oft kann ich ihre Diagnosen nicht bestätigen.

Gibt es denn aus Therapeutensicht gar nichts Positives über die Neuen Medien zu berichten? Können dort nicht sehr schüchterne Menschen leichter einen Partner finden?

Ich beobachte, dass die Frustration bei Singles sogar höher ist als früher. Sie sagen mir oft: "Wenn ich im Internet noch nicht mal einen tollen Partner finde, wie soll ich das dann draußen im wahren Leben schaffen?" Das Internet kann schon eine Möglichkeit sein, Kontakte zu knüpfen. Aber um wirkliche Beziehungen mit anderen zu knüpfen und zu pflegen, kommt niemand um die reale Welt herum.

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