Eine Atmosphäre wie auf einer Studentenparty: Martin Kordic liest an ungewöhnlicher Stätte aus seinem Debütroman. Foto: Benjamin Schieler

Eine neue Lesereihe richtet sich an junge Menschen: Die Autoren lesen ihre Werke in Studenten-WGs vor, vor kleinem Publikum, zwischen Bett und Fernseher. Die Idee kam von Stefanie Stegmann, der Leiterin des Literaturhauses.

S-Nord - Der Backstage-Bereich ist ein enger Balkon. Martin Kordic hat sich durchgeschlängelt, um noch schnell eine Zigarette zu rauchen, vielleicht auch, um den vielen Menschen auszuweichen, die seine Lesung erleben möchten. Die meisten von ihnen sind jung, zwischen 18 und 30 – doch Kordic, selbst Jahrgang 1983, wundert es nicht. „Gerade geisteswissenschaftliche Studenten sind doch sehr offen für Literatur“, sagt er.

Es gibt Menschen, Damen und Herren in höchster Funktion in den Literaturhäusern und -büros der Republik, die würden Kordic widersprechen und ein Klagelied darüber anstimmen. Stefanie Stegmann hat einige von ihnen kennengelernt. Glauben wollte sie ihnen nicht. Junge Leute könne man nicht für Literatur begeistern? Von wegen. „Entscheidend ist, wie wir sie ihnen anbieten“, sagt Stegmann.

Der Zimmereigentümer hofft, dass nichts zu Bruch geht

Weil ehrgeizige Ziele außerordentliche Maßnahmen erfordern, rief die einstige Leiterin des Freiburger Literaturbüros seinerzeit die Veranstaltungsreihe „Zwischenmiete“ ins Leben und lud Autoren in Wohngemeinschaften ein. Ihr Konzept ging auf. Seit Anfang des Jahres leitet Stegmann das Literaturhaus Stuttgart, und mit ihr ist die „Zwischenmiete“ in der Landeshauptstadt angekommen.

Die Chefin der laut Einladung „charmanten Dreier-WG“ in der Relenbergstraße ist Tina Schwabe, selbst in der Verlagsbranche tätig. Bei einer Lesung im Literaturhaus kam sie mit Stefanie Stegmann ins Gespräch. „Das Modell der Zwischenmiete hat mich gereizt“, sagt Schwabe. „Ich kannte bisher nur Wohnzimmerkonzerte.“ So fanden Stegmann ihre Premieren-Gastgeberin und Philipp Riedinger ein Geburtstagsgeschenk für seine Mitbewohnerin. Nach kurzem Nachdenken stimmte er einer Lesung in seinem Zimmer, dem größten der WG, zu – in der Hoffnung, „dass nichts zu Bruch geht“.

Es fühlt sich an wie eine Studentenparty

Zwischen Röhrenfernseher, CD-Regal, Gitarrenständer und Kommode samt Mischpult standen und saßen letztlich mit Autor und Moderatorinnen 35 Menschen, allein zehn lümmelten auf Riedingers Bett. Gut 50 weitere Gäste verteilten sich auf die anderen Zimmer und die Küche, in die Kordics Lesung aus seinem Debütroman „Wie ich mir das Glück vorstelle“ per Lautsprecher übertragen wurde. Das Studentenwerk Stuttgart verteilte Brezeln und Bier, und trotz des bedrückenden Romaninhalts um einen Jungen, der im Bosnienkrieg seine Familie verliert und auf sich allein gestellt ist, fühlte es sich atmosphärisch ein wenig so an wie eine Studentenparty, die nicht mit Kordics letztem Satz endete. „Wer noch Fragen hat: Ich bin noch eine Weile da“, sprach der Autor ins Mikrofon.

Stefanie Stegmann, vor Beginn der Premiere durchaus nervös, lächelte anschließend gelöst. Die nächste Lesung steigt am 10. Juni in einem Wohnheim des Studentenwerks. Die Literaturhausleiterin hat bereits neue Ziele. Dass sie Stuttgarts Geisteswissenschaftler packen kann, hat sie bewiesen. Doch mit Ingenieuren und Architekten müsse das doch auch möglich sein.