Anja Gerdemann an ihrem Arbeitsplatz – in der Galerie Stihl in Waiblingen, die derzeit französische Zeichenkunst zeigt.Foto:Stoppel Foto:  

Anja Gerdemann sagt, sie wolle Ausstellungen für Menschen machen. Das tut sie nun als Leiterin der Galerie Stihl in Waiblingen, die über keinen Eigenbestand verfügt, sondern drei Wechselausstellungen pro Jahr zeigt. Für die Ausstellungsmacher heißt das, sie müssen und dürfen für jede Schau bei Null anfangen.

Waiblingen - Kinder sind meist nicht allzu sehr erpicht auf Kunstmuseen. Bei Anja Gerdemann war das anders. „Ich bin schon immer gerne ins Museum gegangen und habe alles aufgesaugt“, sagt die 42-Jährige. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Inzwischen geht Anja Gerdemann sogar täglich ins Kunstmuseum. Seit Anfang des Jahres leitet sie die Galerie Stihl Waiblingen – zunächst kommissarisch, mittlerweile aber dauerhaft.

Ein schöner Job, findet Anja Gerdemann, denn im Museumsbereich ließen sich zwei Dinge, die ihr Spaß machen, verbinden: die Kunstwissenschaft und das Praktische, das sie zum Beispiel bei einer Bühnenbild-Hospitanz im Theater und in der Kunsttherapie kennen gelernt hat. Dass in der Galerie Stihl, die über keine Dauerausstellung verfügt, für jede Ausstellung etwas ganz Neues entstehen kann und muss, diese Herausforderung gefällt Anja Gerdemann gut. Nur „Flachware an die Wand“ zu hängen findet sie, die in Kusterdingen bei Tübingen aufgewachsen ist, eher langweilig. Die vorhandene Architektur in Waiblingen biete hingegen viele spannende Möglichkeiten: „Die Höhe könnte man zum Beispiel viel besser nutzen und ins Dreidimensionale gehen.“

Täuschend echte Räume aus Papier

Dreidimensionalität spielt eine wichtige Rolle in der ersten Ausstellung, welche Anja Gerdemann komplett für die Galerie Stihl konzipiert hat. Sie wird von Mai bis August 2020 laufen und unter dem Titel „Follow ME“ Arbeiten der zeitgenössischen Künstlerin Marion Eichmann zeigen, die erstmals in Deutschland mit einer monografischen Werkschau gewürdigt wird. Womit die Galerie selbst eine Lücke schließt, denn, so Gerdemann: „Es gab hier noch keine monografische Ausstellung zu einer Künstlerin.“ Die Berlinerin erschafft täuschend echt wirkende, dreidimensionale Installationen.

Die Malerei und Skulptur der Moderne haben Anja Gerdemann schon während ihres Volontariats am Hessischen Landesmuseum in Darmstadt intensiv beschäftigt. Ihre Ausbildung hat sie dort zu einer Zeit absolviert, in der das gesamte Haus wegen Sanierungsarbeiten für mehrere Jahre geschlossen war. „Wie funktioniert ein Museum?“ – diese Frage habe sie da sehr beschäftigt, erzählt Anja Gerdemann, die sagt: „Mich interessiert das Museum als Ganzes.“

Statt Italien: auf nach Oslo

Der Wunsch nach einem breiten Wissen hatte bei Anja Gerdemann zu gleich drei Studienfächern geführt: In Erlangen studierte sie Kunstgeschichte, Theater-, Film- und Fernsehwissenschaften und Skandinavistik. Letztere war der Grund dafür, dass sie ihr Auslandsstudium in den hohen Norden, nach Oslo, verschlagen hat. Eine eher ungewöhnliche Richtung für Kunstgeschichtsstudenten, die es meist nach Süden, gen Italien, zieht.

In Kiel hat Anja Gerdemann über den wenig bekannten norwegischen Maler Adolph Tidemand promoviert und dann am Hessischen Landesmuseum drei Jahre als Assistentin, sprich: rechte Hand der Museumsdirektion, gearbeitet. „Eine super Möglichkeit, um sich auf eine Führungsposition vorzubereiten.“ Schon in Darmstadt seien ihr die sehr professionell gestalteten Ausstellungsbroschüren der Waiblinger Galerie Stihl aufgefallen, berichtet Anja Gerdemann, die von sich sagt: „Ich habe kein Problem damit, Verantwortung zu übernehmen.“

Moderne ist ihre Lieblingszeit

Diese hat sie nun als Galerie-Leiterin mit dem Ziel: „Ich will Ausstellungen für Menschen machen.“ Das, was Besucher interessiert und bewegt, soll auch Platz im Kunstmuseum finden. Denn Anja Gerdemann, die sich selbst als „eher visuellen Typ“ bezeichnet, sieht einen Besuch im Kunstmuseum auch als gute Möglichkeit, mehr über Geschichte, Politik und das Leben zur Entstehungszeit der Werke zu erfahren, ohne dass man die Nase in ein Geschichtsbuch stecken muss. Deshalb ist die Moderne eine Zeit, die sie besonders interessiert: Mit dem Erstarken des Bürgertums tauchten auch Alltagsthemen in der Kunst auf, künstlerische Arbeiten drehten sich nicht mehr ausschließlich um Kirche und Könige.

Rund zwei Jahre Vorlauf braucht eine Ausstellung, weshalb Anja Gerdemann und ihr Team schon jetzt für den Sommer 2021 planen. Unter dem Arbeitstitel „Cover Art“ soll dann eine Ausstellung über Plattencover in Waiblingen zu sehen sein.

Besucherzahlen der Galerie

Im Jahr 2018 kamen 25 376 Besucher in die Galerie Stihl, die meisten Interessierten lockte die Ausstellung über Scherenschnitte an, insgesamt 9237. Die „Mode aus Papier“ fand 7880 Besucher, die Graphic Novels lockten 8223 Menschen in die Galerie Stihl.

Im aktuellen Jahr hat die Galerie die Besucherzahlen von 2018 schon mit zwei Ausstellungen nahezu erreicht. Die französische Plakatkunst von Toulouse-Lautrec und anderen zog 12 170 Besucher an, die Schau „Blumen in der Fotografie“ anlässlich der Gartenschau sahen 12 753 Menschen. Neu läuft „Eleganz & Poesie: französische Zeichenkunst“.