Auch in Stuttgart geht es für immer mehr Kletterbegeisterte hoch hinaus. Foto: Peter-Michael Petsch

Klettersport bleibt ein Trend – In Zuffenhausen wird im August neue Kletterhalle eröffnet.

Stuttgart - In den vergangenen zehn Jahren hat der Klettersport einen regelrechten Boom erlebt. Allein 2011 wurden in Deutschland 30 neue Kletterhallen gebaut. Auch in Stuttgart geht es für immer mehr Kletterbegeisterte hoch hinaus.

In den künstlichen grauen Felswänden des Kletterzentrums Stuttgart auf der Waldau in Degerloch hängen die Sportler, jung und alt. Auf verschiedenen Höhen sind sie zu finden, greifen nach den bunten Halterungen, prüfen tastend, wo sie ihren Fuß platzieren können. Manche versuchen, eine der 16 Meter hohen Wände so schnell wie möglich zu erklimmen.

Andere nehmen sich Zeit, überlegen genau ihre nächsten Züge und hangeln sich so Stück für Stück zum Ziel. Grazil sehen die Bewegungen aus – wie Echsen erklimmen die Kletterer die Felsen der Halle. „Man macht an der Wand einfach schöne Bewegungen, die man sonst nirgends macht“, sagt Bettina Struch (27). Sie klettert seit etwa sieben Jahren. Damals hatte sie ein Freund einmal mitgenommen. Seitdem ist sie von dem Sport begeistert.

Seit etwa einem Jahrzehnt boomt der Klettersport in Deutschland

So geht es nicht nur ihr. Seit etwa einem Jahrzehnt boomt der Klettersport in Deutschland – auch in Stuttgart. Mit dem Cityrock in der Innenstadt, einer Kletterhalle des Evangelischen Jugendwerks, wurde 1993 die erste Kletteranlage in Stuttgart eröffnet. 2005 folgte die große Halle an der Waldau, die von den Sektionen Schwaben und Stuttgart des Deutschen Alpinvereins betrieben wird. Das Kletterzentrum verzeichnete im Jahr 2010 rund 120.000 Besucher. 2007, zwei Jahre nach Eröffnung der Halle, waren es noch 70.000.

Neben der Halle auf der Waldau gibt es noch vier weitere Kletterhallen mit Kunstfelsen in der näheren Umgebung Stuttgarts. Auch einige Außenanlagen wie der Cannstatter Pfeiler oder der Waldklettergarten auf der Zuffenhäuser Schlotwiese bieten den Kletterern Abwechslung. Zusätzlich liegen die Felsen der Schwäbischen Alb direkt vor der Haustüre.

Klettern ist heute eigentlich jedem ein Begriff“

Damit ist Stuttgart nach München die zweitgrößte Kletterstadt der Bundesrepublik. „Klettern ist heute eigentlich jedem ein Begriff“, sagt Maximilian Wörner (22), der zusammen mit Christian (30) und Claus Benk (76) sowie Timo Preußler (30) im August dieses Jahres eine neue Kletterhalle auf dem Jaus-Areal in Zuffenhausen eröffnen wird. „Das Gebäude der ehemaligen Bäckerei ist perfekt für eine Kletterhalle“, sagt er.

Davon konnten die vier Gesellschafter auch Ingbert Jaus überzeugen: Der Besitzer des Geländes, der hier seine erste Fabrik hatte, ist für die Sanierung der Halle und einen daran angeschlossenen Neubau zuständig. Die vier Gesellschafter mieten die Halle dann und übernehmen die Finanzierung des Innenausbaus. Was dieser kosten wird, will Wörner nicht erzählen. „Das bleibt ein Betriebsgeheimnis“, sagt er.

20.000 Hobbykletterer in Stuttgart

Wörner und Preußler kletterten bereits gemeinsam im Nationalteam bei Weltcups, auch Christian Benk und dessen Onkel Claus sind begeisterte Kletterer. Als Profi lasse sich mit dem Sport nur wenig Geld verdienen, sagt Wörner. Nur wenige könnten tatsächlich davon leben. Er wollte trotzdem seine Leidenschaft zum Beruf machen, so entstand die Idee für die neue Halle.

Die Zahl der aktiven Kletterer in ganz Deutschland schätzt Wörner auf etwa eine Million. Für Stuttgart geht der erfahrene Sportler von etwa 20.000 Hobbykletterern aus. Den Boom der Sportart erklärt er sich durch das altbewährte Schneeballprinzip: Man geht mit einem Freund mit, bleibt dann dabei und nimmt wieder mal jemanden mit. Auch der Bau immer neuer Hallen in den vergangenen zehn Jahren habe die Attraktivität des Klettersports weiter befeuert. „Allein 2011 sind in Deutschland rund 30 neue Kletterhallen entstanden“, sagt Wörner.

In der neuen Halle werden rund 1500 Quadratmeter Kletterfläche zur Verfügung stehen, das entspricht etwa der Größe von zehn Volleyballfeldern. Die Kletterwände werden bis zu 14 Meter hoch, rund 200 Kletterer sollen hier gleichzeitig die Kunstfelsen erklimmen können. „Wir haben über die Jahre selber viele Hallen kennengelernt, mit vielen Dingen, die wir nun besser machen wollen“, sagt Wörner.

In der Halle auf dem Jaus-Areal soll es einen eigenen Kinderbereich geben

In der neuen Halle wird es beispielsweise eine Tribüne geben, so dass hier nationale und internationale Wettbewerbe stattfinden können, aber auch einfache Publikumswettkämpfe. „Damit wollen wir den Sport für den Laien noch attraktiver machen.“ In der Halle auf dem Jaus-Areal soll es außerdem einen eigenen Kinderbereich geben, in dem sich zwei ausgebildete Erzieherinnen den Kleinen widmen, während deren Eltern die Felsen emporsteigen.

Das klingt alles vielversprechend, momentan steht allerdings nach Abrissarbeiten nur noch das Mauer- und Stahlgerippe der Halle der ehemaligen Bäckerei. Wörner ist aber zuversichtlich: In den nächsten Wochen sei die Halle fertig, und der Innenausbau mit den Kunstfelsen gehe dann schnell. Er und die anderen Gesellschafter rechnen fest damit, dass der Eröffnungstermin Anfang August eingehalten wird.

Doch was genau macht das Klettern derart beliebt? „Mich fasziniert, dass man immer wieder vor neue Aufgaben gestellt wird, keine Kletterroute ist gleich“, sagt Philipp Hans, der gerade dabei ist, sich einen Einstieg in die graue Wand im Kletterzentrum an der Waldau zu überlegen. Er könne beim Klettern einfach alles vergessen, so der 18-Jährige. Und Birgit Stefanek (44), die seit etwa zehn Jahren klettert, schätzt vor allem die Selbstüberwindung, die der Sport immer wieder von ihr verlangt. „Man geht an der Wand sehr oft über die eigenen Grenzen hinaus“, sagt sie.

Im Kletterzentrum auf der Waldau merkt selbst der Laie schnell: Die Kletterszene ist sehr familiär. Man kommt schnell ins Gespräch, per Du ist man auch von vornherein. Das Klettern, so scheint es hier, ist weniger ein Hobby als ein Lebensgefühl.