Im Clinch: Tschakko (Arton Novobredaljia, li.) und Jonas (Junis Marlon) Foto: BR

Die Kika-Serie „5 vor 12“, eine der seltenen Eigenproduktionen des Senders, erzählt mit starken Darstellern von einem Resozialisierungsexperiment mit straffälligen Jugendlichen.

Stuttgart - Das Programm des Kinderkanals besteht überwiegend aus eingekauften Zeichentrickserien und Magazinreihen; eigenproduzierte Realserien oder gar Filme gibt es kaum noch. Schon allein deshalb ist die Eigenproduktion „5 vor 12“ bemerkenswert. Die Serie erzählt von fünf straffällig gewordenen Jugendlichen, die an einem Sozialexperiment in den Alpen teilnehmen. Das Bootcamp ist ihre letzte Chance: Wer gegen die Regeln verstößt, kommt von der einsam gelegenen Berghütte direkt in den Knast. Gerade dank der jungen Laiendarsteller wirkt das 24-teilige Format fast dokumentarisch.

„5 vor 12“ (ab 18. September, montags bis freitags, 20.35 Uhr) beginnt wie eine der vielen Realityreihen, für die der Kinderkanal bekannt ist: Sechs Jugendliche werden an einem Bahnhof abgeholt und mit einem Kleinbus zu einer Hütte gebracht, wo sie einheitliche Kleidung erhalten; ihre eigenen Sachen müssen sie zurücklassen. Das Experiment, an dem sie teilnehmen, ist eine erzieherische Alternative zur Jugendstrafanstalt. Die nächsten sechs Wochen werden sie zusammen mit zwei Sozialarbeitern auf einer Almhütte ohne Strom und fließendes Wasser verbringen. Smartphones, Alkohol und Zigaretten sind verboten. Die Jugendlichen müssen den Haushalt führen und einfache Arbeiten verrichten; in therapeutischen Gesprächsrunden sollen sie ihre Taten reflektieren.

Gestalten, denen man im wirklichen Leben lieber aus dem Weg geht

Es gab schon diverse Filme über Bootcamp-Einrichtungen dieser Art, aber die richteten sich meist an ein erwachsenes Publikum. Für den öffentlich-rechtlichen Kinderkanal ist „5 vor 12“ daher ein in mehrfacher Hinsicht ungewöhnliches Projekt. Die Zielgruppe des Senders reicht bis 13 Jahre, faktisch steigen die meisten schon früher aus. Aber auch Zehnjährige orientieren sich kurz vor Beginn der Pubertät nach oben, weshalb der Kinderkanal regelmäßig Dokusoaps über die nächste Altersgruppe ausstrahlt: Jungs und Mädchen, die sich ohne erwachsene Aufsicht in Wohngemeinschaften selbst versorgen müssen, oder Jugendliche, die in „Mutcamps“ mit ihren Ängsten konfrontiert werden. Alle diese Produktionen haben eins gemeinsam: Sie laden zur Identifikation ein, weil die Protagonisten in der Regel attraktiv, interessant und selbstbewusst sind. „5 vor 12“ ist anders. Die Faszination, die von dem Quintett ausgeht, ist eher düsterer Natur. Der Begriff „Halbstarke“ ist zwar aus der Mode gekommen, aber er bringt es auf den Punkt: Lennox, Jonas, Otis, Malte und Tschakko sind Gestalten, denen die bürgerliche Kika-Zielgruppe im Alltag lieber aus dem Weg geht. Der Reiz der Serie liegt unter anderem darin, dieses Stereotyp und auch die einzelnen Klischees – der Dicke, der Schweiger, der Aggressive, das Muttersöhnchen – zu hinterfragen.

Die Regisseure Niklas Weise und Christoph Pilsl haben während der Dreharbeiten rund um Bayerischzell offenbar eine Menge Material produziert. Immer wieder wechseln die Kameraperspektiven. Das lässt die einzelnen Folgen dynamisch erscheinen, kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass mitunter nur wenig passiert. Manchmal vergeht viel Sendezeit für Tätigkeiten wie Wasser-Holen, Pferde-Füttern oder einfach Zeit-Totschlagen.

Die Jung-Schauspieler agieren überzeugend

Dass trotzdem Spannung entsteht, liegt nicht zuletzt an den fünf jungen Schauspielern, die kaum professionelle Erfahrung haben, aber eine aus Erwachsenensicht unangenehme Authentizität verbreiten. Tatsächlich vermitteln viele Szenen den Eindruck einer guten Improvisation. Das Ensemble macht seine Sache so gut, dass sich die Frage stellt, ob die jüngeren Mitglieder der Kika-Zielgruppe die Serie womöglich für echt halten könnten; bei Reality-Entertainment-Formaten wie „Berlin – Tag & Nacht“ ist das so. Die Gesprächskreise, in denen sich die Delinquenten mit ihren Taten auseinandersetzen, wirken wie die Dokumentation eines Sozialexperiments.

Nicht nur deshalb ist „5 vor 12“ sowohl für den Kinderkanal wie auch für den Auftraggeber Bayerischer Rundfunk bemerkenswert. Im Kika sind kaum noch deutsche Realserien zu sehen, ihre Herstellung ist schlicht zu teuer. Das Angebot der verschiedenen deutschen Kindersender wird von fröhlichen Zeichentrickserien dominiert – eine größere Diskrepanz zu den bei „5 vor 12“ gebotenen Einblicken in eine Welt, die nicht nur der Kika-Zielgruppe völlig fremd sein dürfte, ist kaum denkbar.