Grundstücke, Häuser, Wohnungen in unmittelbarer Nachbarschaft werden in ihrem finanziellen Wert teilweise vollkommen unterschiedlich beurteilt. Das irritiert viele Immobilienbesitzer in Ludwigsburg.
Fragt man Ludwigsburger nach den teuren Wohnlagen der Stadt, würden einige spontan antworten: Schlösslesfeld, Salonwald, vielleicht auch noch die Favoritegärten oder Oßweil. Doch weit gefehlt. Nach den Bodenrichtwerten, die für die Berechnung der neuen Grundsteuer ermittelt worden sind, befinden sich die teuren Grundstücke, von den Innenstadtlagen mit und ohne Fußgängerzone einmal abgesehen, beispielsweise in Teilen der Friedrichstraße, der Robert-Franck-Allee, der Stuttgarter Straße oder auch in der Schorndorfer Straße. Bis zu 1200 Euro je Quadratmeter hat der Gutachterausschuss als Bodenrichtwert für Grundstücke an der vierspurigen Friedrichstraße als Bodenrichtwert ermittelt, an der nicht minder stark befahrenen Stuttgarter Straße bis zu 1000 Euro. Zum Vergleich: Im Schlösslesfeld gilt durchgängig ein Wert von 750 Euro. Noch absurder wird es beispielsweise in der Mömpelgardstraße – nördlich der Rosenstraße 850 Euro, südlich davon 1200 Euro – und in einem begrenzten Gebiet an der Nordseite der Brandenburger Straße in Oßweil, wo 575 Euro angesetzt wurden, direkt gegenüber auf der südlichen Seite hingegen 900 Euro. Und Unterschiede zwischen den Straßenseiten sind keine Seltenheit. Sie finden sich etwa auch in der Osterholzallee, der Marbacher oder der Frankfurter Straße. An der Kreuzung von Oststraße, Neckarstraße und Schorndorfer Straße gelten gar drei verschiedene Preise.
Gutachter rechnet mit großer Unzufriedenheit
Hans Schmid, der Vorsitzende des Gutachterausschusses für Ludwigsburg, Freiberg und Remseck, räumt ein, dass solche „Absurditäten nicht ausgeschlossen“ seien. Mehr noch: „Die Gutachterausschüsse haben diese Problematik kommen sehen. Da wird es eine große Unzufriedenheit geben.“ Denn anders als in anderen Bundesländern werden in Baden-Württemberg lediglich der Bodenrichtwert und die Grundstücksfläche als Berechnungsgrundlage für die Grundsteuer herangezogen und dann mit dem jeweiligen Hebesatz der Gemeinde und der Steuermesszahl multipliziert. Art, Wert und Alter der Bebauung spielen hingegen keine Rolle. Deshalb kann es durchaus sein, dass die Grundsteuer für benachbarte und in jeder Hinsicht vergleichbare Grundstücke um mehrere hundert Euro voneinander abweicht. Das jedoch ist genau das, was das Bundesverfassungsgericht mit dem Auftrag zu einer Reform der bisherigen Grundsteuer vermeiden wollte. Gleichartige Grundstücke dürften nicht länger unterschiedlich behandelt werden, so die Verfassungsrichter, weil das gegen das im Grundgesetz verankerte Gebot der Gleichbehandlung verstoße.
Schmid betont, eine gewisse Abstraktion sei unvermeidlich. Im Übrigen sei der unabhängige und ehrenamtliche Gutachterausschuss nicht Gehilfe des Finanzamts und bewerte nicht mit der Grundsteuer im Rücken. Seine Kollegin Jutta Kittelmann teilte hingegen auf eine frühere private Anfrage mit, im Gutachterausschuss säßen Fachleute aus der Immobilienbranche, Gemeinderäte – und Vertreter der Finanzverwaltung.
Welche Rolle spielen die Verkäufe tatsächlich?
Auch sonst bekommt man auf Fragen durchaus verschiedene Antworten. Laut Gutachterausschuss Ludwigsburg und Umgebung wird der Bodenrichtwert aus tatsächlichen Immobilienverkäufen der letzten ein bis zwei Jahre abgeleitet, was auch auf den Internetseiten der Stadt so geschildert wird. Je nachdem, ob es sich um ein reines Wohn- oder ein Mischgebiet mit Gewerbe handelt, werden dann verschiedene Zonen gebildet. So erklärt auch Olaf Dienelt, der Geschäftsführer des Gutachterausschusses, warum das kleine Gebiet an der Brandenburger Straße so günstig sei. Hier sei im Bebauungsplan ein Gewerbegebiet verzeichnet, was die Wohnqualität einschränke.
Sebastian Engelmann, Sprecher des Finanzministeriums Baden-Württemberg, betont, es gehe bei den Bodenrichtwerten nicht nur um die Zahl von Kaufverträgen und deren Wert: „Auch ein Wohngebiet, in dem wenig ge- oder verkauft wird, muss anhand der aktuellen Preisentwicklungen und anderer Parameter bewertet werden und wird nicht dadurch ‚günstiger‘, weil es weniger Verkäufe gibt. Auch wenn keine Verkäufe in einem Gebiet vorliegen, werden die Preise daher entsprechend der gesetzlichen Vorgaben abgeleitet. Daran haben sich die Gutachterausschüsse zu halten.“
Neue Wohnviertel als Preistreiber
Auffallend ist jedoch, dass in Ludwigsburg in Gebieten, in denen neu gebaut wurde, die Grundstücke höher bewertet werden. So ist beispielsweise in der Jägerhofallee zwischen Friedrichstraße und Robert-Franck-Allee ein neues Wohnquartier entstanden, ebenso in Oßweil auf dem früheren Kasernengelände – und dort wurden die Grundstücke im Vergleich zur Nachbarschaft am höchsten bewertet. Dennoch versichert Olaf Dienelt, der Geschäftsstellenleiter des Gutachterausschusses, die Verkaufsfälle, auf denen die Bodenrichtwerte basierten, beträfen vor allem Bestandsgebäude.
Was ebenfalls auffällt: In Freiberg wurden von demselben Gutachterausschuss die Gebäude, die direkt an den stärker befahrenen Straßen wie der Stuttgarter Straße oder der Ludwigsburger Straße stehen, eigene, günstigere Zonen gebildet.
Sowohl das Finanzministerium als auch der Gutachterausschuss verweisen darauf, dass man gegen den Bescheid des Finanzamts ja Einspruch einlegen und ein Verkehrswertgutachten in Auftrag geben könne. Damit sei dann eine Einzelfallbetrachtung möglich. Die Kosten für ein solches Verkehrswertgutachten trägt allerdings der Auftraggeber. Und ob es für die Finanzämter bindend ist, ist völlig offen.
Die neue Grundsteuer und ihre Varianten
Gerichtsurteil
Das Bundesverfassungsgericht hat das derzeitige System der grundsteuerlichen Bewertung im Jahr 2018 für verfassungswidrig erklärt, da es gleichartige Grundstücke unterschiedlich behandele und so gegen das im Grundgesetz verankerte Gebot der Gleichbehandlung verstoße. Um die Grundsteuer gerecht zu gestalten, orientiert sich die Bewertung im Bundesmodell am Wert einer Immobilie. So wird berücksichtigt, ob ein Haus oder eine Wohnung in einer begehrten oder in einer weniger gefragten Lage steht.
Sonderweg
In Baden-Württemberg wird nur der Bodenrichtwert und die Grundstücksgröße zur Besteuerung herangezogen, alles andere spielt keine Rolle. Das sei einfacher, so das Finanzministerium, weil man weniger Daten angeben müsse.