Umweltminister Franz Untersteller (r.) beim Seenforschungsinstitut. Foto: Rieger

Umweltpolitiker und Wissenschaftler wehren sich gegen geplante Vorgaben für Medikamente.

Langenargen - Medikamente belasten die Gewässer, darüber sind sich Experten einig. Doch ist alles, was man messen kann, auch gefährlich? Viele Politiker und Forscher lehnen eine solche Auslegung ab.

Als die Wissenschaftler das Plexiglasrohr mit dem Sedimentkern aus dem Wasser ziehen, weht der Wind ein paar Tropfen auf die illustre Gesellschaft. „Keine Sorge, das ist reines Bodenseewasser“, ruft Margareta Barth, die Präsidentin der Landesanstalt für Umwelt, Messung und Naturschutz. Es gibt nichts Reineres, will sie damit sagen, man kann es trinken.

Millionen Menschen tun dies auch tagtäglich und gehen wie selbstverständlich davon aus, dass der See daneben auch seine anderen Aufgaben erfüllt: als Freizeitgewässer für rund 50.000 Boote, als Lebensraum für Pflanzen und Tiere und nicht zuletzt als Wasserspender für die Landwirtschaft.

Doch selbstverständlich ist das keineswegs, und es gab auch einmal eine Zeit, da titelten große Magazine: „Der Bodensee kippt um“. Das war in den 70er Jahren, als die Belastung von Landwirtschaft, Industrie und Haushalten überhandnahm. „Dann wurden vier Milliarden Euro in 220 Kläranlagen investiert“, resümiert Heinz Gerd Schröder, der Chef des Seenforschungsinstituts in Langenargen: „Der Umschwung kam 1980.“

Der Phosphor ist kein Problem mehr

Heute beträgt der Phosphorgehalt stabil etwa sechs Milligramm pro Kubikmeter Wasser – das ist so viel wie zuletzt um das Jahr 1950. Die beliebten Flussbarsche, auch Kretzer oder Egli genannt, fühlen sich darin zwar nicht mehr so wohl, doch dafür atmen die Felchen auf. Und Chefbiologe Schröder kann sagen: „Der See ist sauber, was gibt es noch zu tun?“

Eine ganze Menge, fügt er gleich hinzu und referiert über Defizite am Uferbereich und in den Flachwasserzonen. Auch der Klimawandel geht nicht spurlos am drittgrößten Gewässer Mitteleuropas vorbei: Etwa 0,02 Grad Celsius wärmer wird das Wasser jedes Jahr. Das klingt nach wenig, summiert sich aber und bringt den natürlichen Wasseraustausch im See durcheinander.

Einiges Kopfzerbrechen bereiten dem 30-köpfigen Team um Schröder aber auch die sogenannten Mikroverunreinigungen: Spuren von Chemikalien und Metallen in der Größenordnung von wenigen Nanogramm pro Liter, die ein Risiko für Pflanzen und Tiere darstellen. 33 solcher sogenannter prioritärer Stoffe hat die EU-Kommission in zwei Richtlinien aus den Jahren 2000 und 2008 samt Grenzwerten aufgelistet. Dazu zählen etwa Benzol und Atrazin, aber auch Schwermetalle wie Blei und Quecksilber. Ihr Eintrag muss in den nächsten Jahren schrittweise reduziert werden.

Die Gefahrstoffliste wird länger

Doch alle vier Jahre wird diese Liste überprüft, und bei der letzten Revision haben Fachleute der Kommission nun empfohlen, 15 weitere Stoffe aufzunehmen – darunter erstmals auch Stoffe, die aus Medikamenten stammen.

Das Schmerzmittel Diclophenac zählt zum Beispiel dazu, aber auch Bestandteile der Antibabypille, Rückstände von blutdrucksenkenden Mitteln oder von jodhaltigen Kontrastmitteln, die beim Röntgen verwendet werden. „Wir finden diese Stoffe, die viele Menschen einnehmen, im See“, sagt Harald Hetzenauer vom Institut für Seenforschung.

Dass diese Substanzen nicht im Wasser sein sollten, darüber sind sich Politiker wie Wissenschaftler einig. Die von EU-Umweltkommissar Janez Potocnik (Slowenien) in einem neuen Richtlinienentwurf vorgeschlagenen Werte halten sie jedoch für entschieden zu niedrig. „Sie sind teilweise so niedrig, dass sie analytisch im Gewässer gar nicht nachgewiesen und somit auch nicht überwacht werden können“, sagt Schröder. Andere Stoffe wiederum, die von mittlerweile verbotenen Insektiziden stammen, seien nun mal bereits in der Umwelt. „Sie sind schon verboten, was sollen wir tun?“

Schießt die EU übers Ziel hinaus?

Im Grunde lasse sich das Problem – wenn überhaupt – nur mit einer Milliarden Euro teuren Nachrüstung der Kläranlagen lösen, meint Grünen-Umweltminister Franz Untersteller, der dem Seenforschungsinstitut dieser Tage einen Besuch abgestattet hat.

Die Kollegen im Landtag geben ihm recht: „Die EU schießt hier meilenweit über das Ziel einer sinnvollen Gewässer- und Trinkwasserschutzpolitik hinaus“, meint der Vorsitzende des Umweltausschusses, der frühere Umweltminister Ulrich Müller (CDU). Auch in den anderen Bundesländern wird das so gesehen, deshalb hat der Bundesrat kürzlich die Bundesregierung gebeten, in Brüssel auf eine Nachbesserung des Vorschlags zu dringen.

Erhebliches Imageproblem wird gesehen

Den größten Unmut weckt der Passus, wonach Gewässer auch dann als „unzureichend“ abgestempelt und in Karten mit roter Farbe markiert werden, wenn diese bisher tadelloses Wasser vorweisen konnten. „Dann wird der Bodensee auf dieselbe Stufe gestellt wie das Po-Delta oder andere Gewässer, in die Schadstoffe eingeleitet werden“, sagt Untersteller.

Hans Mehlhorn, Chef der Bodensee-Wasserversorgung, sieht darin auch ein erhebliches Imageproblem: „Wie wollen Sie dem Bürger klarmachen, dass aus dem Bodensee Trinkwasser gewonnen wird, obwohl er den Umweltqualitätsanforderungen nicht entspricht?“ Die neuen Werte lägen so niedrig, dass sie nur errechnet, nicht gemessen werden könnten. Immerhin lässt sich schon jetzt sagen, dass der See die neuen Normen bei vier Substanzen überschreiten würde.

Man irritiere damit die Bevölkerung, sagen Politiker wie Forscher unisono – zumal von Gesundheitsgefahr keine Rede sein könne. Und ein Gewässer in Deutschland, das die neuen Werte einhält, sehen die Wissenschaftler auch nicht.