Rohraus Museumsensemble mit Sandmühle und Schmiede ist jetzt Teil einer großen Erlebnistour zwischen Heckengäu und Schönbuch – und unbedingt einen Halt wert. Mindestens.
Wie an einer Perlenkette reihen sich die Dörfer und Städte entlang der Hauptroute der Erlebnistour. Nun bekommt der Radweg Nebenstrecken. Eine davon ist jetzt um ein Kleinod reicher: Die historische Gips- und Sandmühle im Herzen des Gärtringer Teilorts Rohrau, der auch „Perle am Schönbuchrand“ genannt wird, ist eine weitere Station, die frühere Formen der Landbewirtschaftung und historische Handwerke erfahrbar macht.
„Wir können stolz darauf sein, dass wir nun Teil der großen Erlebnisregion Stuttgart sind“, freut sich Rohraus Ortsvorsteher Torsten Widmann, als er die neue Erlebnisstation gemeinsam mit Gärtringens Bürgermeister Thomas Riesch vor ein paar Tagen offiziell einweiht. Aber auch für die Erlebnistour ist es ein echter Gewinn. Denn laut Siegfried Schmid, den der Rathauschef aufgrund seiner profunden Kenntnisse über die Sandmühle „Museumsdirektor“ nennt, ist die Rohrauer Sandmühle die einzige noch existierende ihrer Art.
Auch an die jüngsten Besucher wurde gedacht
Ein guter Grund also, um „den normalen Pfad zu verlassen, denn den Sandabbau, wie er in Rohrau betrieben wurde, gab es in dieser Form nicht oft“, befindet der Ortsvorsteher des rund 1700 Einwohner zählenden Teilorts.
Das kleine, unscheinbare Steingebäude der 1837 errichteten Gips- und Sandmühle sowie die benachbarte historische Schmiede verstecken sich etwas hinter den größeren Gebäuden, die direkt an der Straßenecke von Hildrizhauser und Gärtringer Straße liegen.
Im Zuge der nun erfolgten Eingliederung in die Erlebnistour gab es beim 1988 eröffneten Mühlenmuseum kleinere Veränderungen: Das vom Gärtringer Bauhof neue eingerichtete „Sandlabor“ fällt sofort ins Auge. Auf diesem kleinen, aber feinen Sandspielplatz können die jüngsten Besucher nach Herzenslust mit den Spielgeräten unter anderem Sand eimerweise emporziehen oder durch Siebe rieseln lassen.
Außerdem lassen Gucklöcher in der Eingangstüre, die auf verschiedenen Höhen angebracht sind, auch dann Blicke ins Innere zu, wenn die Mühle geschlossen hat – geöffnet ist sie in der Regel von April bis Oktober am letzten Sonntag im Monat, am Pfingstmontag beim bundesweiten Mühlentag sowie nach Voranmeldung. Wenn jemand vor dem Gebäude steht werden – Bewegungsmelder sei Dank – Fotos im Gebäude illuminiert, die die Arbeit von Sandbauern und des Pferdes zeigen, das den großen Mahlstein im Kreis bewegte.
Die letzte Sandmühle ist abgebrannt
Auch die neue Fahrradabstellmöglichkeit, die wie alle Elemente der Erlebnistour in leuchtendes Rot getaucht ist, fällt auf. Auf der darin integrierten Infotafel erfahren Interessierte mehr über die Gipskeuper- und Stubensandvorkommen des ehemaligen Oberamts Herrenberg. Zusätzlich zu den Informationen vor Ort ist geplant, weiteres Hintergrundwissen zu den begehrten Rohstoffen, deren Verarbeitung und zum Leben der Rohrauer Sandbauern mit Hilfe eines QR-Codes abrufbar zu machen.
„Zwischen 1799 und 1899 gab es zehn Sandmühlen in Rohrau“, berichtet Siegfried Schmid bei der Einweihung. Die letzte, die noch in Betrieb war, brannte 1962 ab. In den Mühlen wurden die in den Steinbrüchen oberhalb des Ortes gebrochenen Sandplatten zerkleinert und zu Fege- und Stubensand sowie zu ganz feinem Scheuersand, der als Putzmittel verwendet wurde, gemahlen. Außerdem wurde Gips, der vor der Erfindung des Kunstdüngers als Bodenverbesserer diente, zu Pulver verarbeitet, mit dem die Bauern ihre Felder düngten.
Die Sandbauern reisten über Land – bis auf die Schwäbische Alb oder in den Schwarzwald –, um ihre Produkte zu verkaufen. Das Einkommen war gering. „Ein Liter Sand für zehn Pfennige“ hätten die Hausfrauen dann zumeist gekauft. Lediglich Adressen wie das Wildbader Hotel Bellevue oder das Marienhospital in Stuttgart hätten einen Zentner abgekauft – für eine Mark. „Wenn der Sandbauer nach einer Woche heimgekommen ist, war er so reich wie vorher“, bringt Schmid deren kärgliches Leben auf den Punkt.
Hinweisschilder im typischen Rot
Mit rund 7000 Euro unterstützt der Verband Region Stuttgart (VRS) laut Bürgermeister Thomas Riesch die Einrichtung der Rohrauer Station. 8000 Euro hat die Kommune selbst beigesteuert. Auch ein zusätzliches Hinweisschild – natürlich im typischen Rot – am Gärtringer Bahnhof gehört dazu. Es macht darauf aufmerksam, dass dort – ebenso wie an anderen S-Bahn-Stationen und an zentralen Wanderparkplätzen – der Ein- oder Ausstieg in die Erlebnistour möglich ist. Im kommenden Jahr wird es auch an der bestehenden Beobachtungsplattform am Rande des Kiebitz-Brutgebiets in der Rohrauer Krebsbachaue das Erlebnistour-Rot samt Fahrradständer geben, denn auch diese soll Station der Erlebnistour werden.
Negative Auswirkungen für das Kiebitzgebiet befürchtet Torsten Widmann nicht: „Die, die dort hinkommen, wissen, was sie dort vorfinden“, beschreibt er seine bisher gemachten Erfahrungen. Es sei aber wichtig, „Geschichte und Natur erlebbar zu machen“, ist er überzeugt.
Touren in Mint und Gelb
Neues Konzept
Die Hauptroute der Erlebnistour war bisher als Museumsradweg bekannt. Dieser führt über 52 Kilometer von Weil der Stadt über Holzgerlingen bis Nürtingen. In der Neukonzeption, die der Verband Region Stuttgart (VRS), die Landkreise Böblingen und Esslingen und die 17 Anlieger-Kommunen gemeinsam entwickelt haben, wird diese durch mehrere Rundtouren ergänzt, die aktuell noch im Aufbau sind. Rohrau liegt an der 28 Kilometer langen „Rundtour Mint“, an der auch Ehningen, Herrenberg, Hildrizhausen und Mauren liegen. Die „Rundtour Gelb“ führt 25 Kilometer über die Schönbuchlichtung.
Finanzielle Förderung
Der VRS hat das Vorhaben mit insgesamt über 100 000 Euro gefördert. Zudem flossen 400 000 Euro aus dem Aktionsprogramm „Moro – Modellvorhaben der Raumordnung“ über das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Landschaftsforschung.