Impfen und Testen sind zwei Werkzeuge im Kampf gegen das Coronavirus. Foto: dpa/Julian Stratenschulte

Die Corona-Infektionszahlen eilen von Höchstwert zu Höchstwert, in den Kliniken wird es knapp. Wie soll das enden? Eine Modellrechnung zeigt, warum sich auch Geimpfte einschränken müssen – und was das konkret bedeutet.

Stuttgart - Einschränkungen für Ungeimpfte infolge der volllaufenden Intensivstationen reichen vermutlich nicht aus, um die Überlastung des Gesundheitssystems zu verhindern. Das ergibt eine Modellrechnung des Science Media Centers (SMC), einer Einrichtung zur Förderung der Wissenschaftskommunikation. Zur 2G-Regel, wie sie seit Mittwoch flächendeckend etwa in Baden-Württemberg gilt, müssten weitere Maßnahmen treten, um Infektionen unter Geimpften zu verhindern – vor allem bei Menschen über 50, sagt der beim SMC angestellte Statistiker Lars Koppers.

Er hat modellhaft ausgerechnet, was passiert, wenn die verschärften Coronaregeln die Kontakte von Ungeimpften und damit die Infektionszahlen in dieser Gruppe stark reduzieren – Geimpfte sich aber ähnlich häufig anstecken wie bisher. Das Ergebnis: Die Zahl der Covid-19-Patienten auf Intensivstation steigt dann weiter. Nur die Ungeimpften aus dem Infektionsgeschehen herauszunehmen, reicht demnach nicht. Auch die Geimpften müssen sich einschränken.

Bis Weihnachten wird es eng

Modelle bilden immer die Annahmen ab, auf denen sie beruhen. Lars Koppers nimmt an, dass infolge der Einschränkungen Woche für Woche zwanzig Prozent weniger Ungeimpfte wegen einer Covid-19-Erkrankung intensivmedizinisch behandelt werden. Zugleich steigt die Zahl der Geimpften auf Intensivstation in einem Modell wie zuletzt wöchentlich um zwanzig Prozent. Das hat mit dem nachlassenden Impfschutz besonders bei Menschen ab 50 zu tun – wegen des schwächeren Immunsystems und der Deltavariante, gegen die Corona-Impfstoffe nicht so gut wirken wie gegen den Wildtyp des Virus. „Das Augenmerk bei den Maßnahmen darf nicht nur auf den Ungeimpften liegen“, schlussfolgert Lars Koppers.

Dass es wichtig ist, Infektionszahlen zu senken, zeigt auch eine Modellrechnung der Intensivmediziner-Vereinigung Divi . Auch sie betrachtet die Entwicklung auf den Intensivstationen abhängig vom Infektionsgeschehen. Demnach wird die Belastungsgrenze von rund 6000 Covid-Patienten auf Intensivstationen bundesweit mittlerweile fast sicher erreicht. Derzeit liegen dort knapp 3400 Patienten, Tendenz stark steigend – wie von der Divi-Modellrechnung vorhergesagt. Sollte die Inzidenz langfristig nicht über 400 Neuinfektionen je 100 000 Einwohner steigen, wäre Anfang Januar mit den 6000 Intensivpatienten zu rechnen. Steigt sie weiter, käme es früher dazu, weil der Anteil der Infizierten, die auf Intensivstation landen, konstant bleibt.

Eine ganz neue Welle

Lars Koppers legt nun das Augenmerk speziell auf die Infektionen sowie die schweren Krankheitsverläufe Geimpften. Zwar blendet seine Modellrechnung beispielsweise aus, dass infolge von Einschränkungen für Ungeimpfte auch bei Geimpften die Infektionszahlen sinken dürften. Vor allem aber weist sie auf eine sich aufbauende Welle älterer Geimpfter hin, die nicht mehr gut gegen einen schweren Krankheitsverlauf geschützt sind.

Diese Gruppe muss zusätzlich geschützt werden – entweder, indem man Infektionsanlässe reduziert oder durch Boosterimpfungen. Deren Zahl steigt zwar seit Ende Oktober ständig, ist mit rund 200 000 Impfungen pro Tag aber viel zu niedrig.

Was Geimpfte tun können

Infektionen verhindern oder Impfschutz verbessern – das sind die Prioritäten für die Geimpften. Was bedeutet das konkret? Schulen zu schließen, wäre laut Lars Koppers nicht unbedingt die Lösung. Zwar wird das Virus über die Kinder vielfach von Familie zu Familie weitergegeben, „aber die Eltern sind ja meist deutlich jünger als 60 Jahre und somit nur wenig gefährdet“, sagt Koppers. Wichtiger wäre, dass geimpfte Ältere sich vorsichtiger verhalten, also weniger Menschen treffen und so Infektionsanlässe vermeiden.

Vorsicht ist auch für Jüngere geboten – insbesondere dann, wenn sie mit Menschen jenseits der 50 zusammenkommen. Das gilt am Arbeitsplatz, im Verein und vor Besuchen bei älteren Freunden oder Verwandten. Kontakte freiwillig zurückfahren ist eine Möglichkeit. Regelungen wie 2G+ in der Gastronomie oder bei Veranstaltungen – also dass neben Impf- oder Genesenennachweis auch ein aktueller negativer Coronatest verlangt wird – können das eigene Infektionsrisiko ebenfalls senken. Im Freundes- und Familienkreis kann man freiwillig vereinbaren, dass sich alle vor der Zusammenkunft testen lassen. Wichtig ist es, dass sich weniger ältere Menschen anstecken, vor allem wenn sie noch keine Auffrischungsimpfung erhalten haben.

Geimpft und getestet zur Bescherung – wird das auch dieses Jahr das Motto an Weihnachten sein? Lars Koppers zögert kurz und sagt dann: „Bis Weihnachten haben wir vermutlich völlig andere Probleme.“