Vier Monate im Ausland – und der ambulante Pflegedienst zu Hause rechnet trotzdem fleißig ab. Das ist nur eine von zahlreichen Betrügereien in einer Branche, in der es offenbar viele schwarze Schafe gibt. Geschädigte sind Patienten und die Pflegekassen.
Stuttgart - Ein kranker Herr trifft eine kleine Abmachung mit dem mobilen Pflegedienst, der ihn zu Hause betreut. Die nächsten vier Monate wird er im Ausland verbringen. Doch das muss die Pflegekasse ja nicht wissen. Die Rechnungen sehen aus wie immer, obwohl keine Minute gearbeitet wird. Die nie erbrachten Leistungen werden vorher abgezeichnet. Das Geld teilen sich Pflegedienst und Patient.
„So etwas passiert besonders häufig bei Patienten, die vom Sozialamt leben und so an Geld kommen“, erzählt eine Krankenpflegerin. Die Frau arbeitet seit vielen Jahren in der Branche und hat einiges gesehen. Sie muss ihrem Ärger jetzt Luft machen: „Die Zeche für die vielen Betrügereien bezahlen wir alle.“ Es gebe viele seriöse Anbieter unter den ambulanten Pflegediensten – aber auch zahlreiche schwarze Schafe.
Nicht immer machen Patient und Pflegedienst wie im ersten Fall gemeinsame Sache. Meistens sind nicht nur die Pflege- und Sozialkassen die Opfer – und damit die Allgemeinheit –, sondern auch die Pflegebedürftigen selbst. Die gängigste Praxis: Es werden Leistungen abgerechnet, die nie erbracht worden sind. „Da wird tägliches Duschen aufgeschrieben, wenn es tatsächlich nur einmal die Woche stattfindet“, erzählt die Insiderin. Oder Besuche berechnet, die es nie gegeben hat. Oder es wird Material für den Patienten bestellt, das nie dort ankommt. Eine beliebte Masche ist auch das Einsetzen von unqualifizierten Hilfskräften. Abgerechnet werden Fachkräfte. Und wenn beim Personal das Wissen und die Zulassung in Deutschland fehlen, ist nicht bloß der Geldbeutel der Patienten bedroht, sondern auch noch zusätzlich deren Gesundheit.
Die Kranken oder ihre Angehörigen unterschreiben aus Unwissenheit die Abrechnungen. „Da geht es bei jedem um Tausende Euro. Wenn die Leute alt und krank sind, überweisen sie einfach“, sagt die Frau. Und wissen nicht, dass sich manch besonders dreister Pflegedienst sogar in ihrem teuren Weinkeller bedient.
Häufig machen die Angestellten der Dienste nicht freiwillig mit. „Ich will keine Leistung unterschreiben lassen, die ich nicht erbracht habe“, sagt die Frau aus der Branche. Man werde aber massiv unter Druck gesetzt, das zu tun. „Als ich einmal dem Chef mit Veröffentlichung gedroht habe, hat er mich bis nach Hause verfolgt“, berichtet sie. Das hat sie nicht davon abgehalten, mehrere ambulante Pflegedienste aus Stuttgart anzuzeigen. Die Fälle liegen derzeit noch bei der Polizei, einer davon dürfte demnächst bei der Staatsanwaltschaft landen.
Damit erhöht sich dort die Zahl der Fälle, in denen wegen Abrechnungsbetruges gegen ambulante Pflegedienste ermittelt wird. Rund ein Dutzend davon liegt ohnehin schon auf dem Tisch. „Das Problem ist in den vergangenen Jahren bundesweit gewachsen“, sagt der zuständige Staatsanwalt Thomas Hochstein. Darunter befindet sich auch ein spektakulärer Fall aus Stuttgart. Vor gut einem Jahr hat die Polizei einen Pflegebetrug im großen Stil aufgedeckt und landesweit Filialen einer Firma aus der Landeshauptstadt durchsucht. Der Gesamtschaden soll mehrere Hunderttausend Euro betragen. Der Anbieter ist nach wie vor am Markt.
Demnächst soll es zu einer ersten Anklage kommen. Die Ermittlungen allerdings gestalten sich langwierig und aufwendig. Das liegt daran, dass jede Abrechnung eines jeden Patienten der Verdächtigen sorgfältig überprüft werden muss. Oft lässt sich im Nachhinein gar nicht mehr feststellen, welche Leistungen tatsächlich erbracht worden sind und welche nicht. Deshalb gehen Experten von einer hohen Dunkelziffer aus.
„Patienten und ihre Angehörige sollten genau hinschauen, was sie unterschreiben“, rät die Frau aus der Branche. Sie hat inzwischen zum wiederholten Mal ihren Arbeitgeber gewechselt. „Die neue Firma ist sauber“, sagt sie. Und hofft, dass das so bleibt.