Ulrich Baumann führt durch die neue Ausstellung im Staatsarchiv, die sich mit den Judenmorden in den Sowjetgebieten beschäftigt. Foto: factum/Granville

Ein Drittel der ermordeten Juden ist das Opfer von Massenerschießungen von 1941 bis 1944 geworden. Eine Ausstellung im Staatsarchiv Ludwigsburg erzählt diese wenig präsente Geschichte.

Ludwigsburg - Wenn an den Holocaust erinnert wird, denken die meisten an Auschwitz und andere Vernichtungslager. Das habe mit der Ungeheuerlichkeit der industriellen Tötungsmaschinerie zu tun, meint Ulrich Baumann. „Darum sind die Eisenbahn und die Koffer, wie sie am Ludwigsburger Synagogenplatz stehen, zu Symbolen für die Naziverbrechen geworden.“ Darüber dürfe man aber nicht vergessen, dass zwei der sechs Millionen ermordeten Juden durch Massenerschießungen den Tod fanden, sagt der stellvertretende Direktor der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden. Eine neue Ausstellung im Staatsarchiv am Arsenalplatzerinnert jetzt an diese weniger präsente Geschichte aus dem Zweiten Weltkrieg.

In der Ausstellung „Massenerschießungen“ geht es um den „Holocaust zwischen Ostsee und Schwarzem Meer zwischen 1941 und 1944“, wie es im Untertitel heißt. Um diese Geschichte erzählen zu können, habe man sich aber auf einen von vermutlich 2500 Orten konzentriert, an denen in jener Zeit auf dem Gebiet der Sowjetunion Menschen zusammengetrieben worden sind, um sie zu erschießen, sagt Baumann. Die ausgewählte Kleinstadt heißt Mizocz und liegt heute in der Ukraine. Ludwigsburg ist der dritte Ort, an dem die von der Architektin Ursula Wilms konzipierte Schau, die auch die Topografie des Terrors in Berlin mitgestaltet hat, gezeigt wird.

Akten lagern in Ludwigsburg

Darüber sei er besonders froh, betont Baumann. Denn ohne die Dokumente aus der Zentralen Stelle zur Aufklärung der Nazi-Verbrechen gäbe es die Ausstellung nicht. Viele der Schriftstücke über die Massenerschießungen lagern im Ludwigsburger Staatsarchiv, weil sie die Grundlage von vielen Prozessen in den fünfziger Jahren gewesen sind. Die anklagende Behörde war stets die Staatsanwaltschaft Stuttgart. „Insofern gehört diese Ausstellung auch hierher“, sagt der Archivleiter Peter Müller.

„Es war sehr schwer, der Übersetzerin, die den Katalogtext ins Englische übertragen hat, klarzumachen, dass sie nicht das Wort ,execution’ verwenden darf“, sagt Baumann. „Hinrichtung“ sei nur der Terminus gewesen, mit dem sich die Täter gerechtfertigt hätten, sagt der stellvertretende Stiftungsdirektor. „Das waren Massenerschießungen, bei denen an anderen Orten innerhalb von zwei Tagen 24 000 Menschen erschossen worden sind. In Babi Jar haben Armee und SS wenige Monate später im gleichen Zeitraum 33 000 Menschen erschossen.“ Für die Täter müsse das „Drecksarbeit“ gewesen sein, sagt Baumann: „Die müssen von Kopf bis Fuß mit Blut bespritzt gewesen sein.“

Im Zentrum der Ausstellung stehen Fotos, die zum Teil explizit die Erschießungen zeigen. Doch jeder Besucher solle für sich entscheiden können, was er sich antun möchte. Ein Teil der Bilder ist darum nicht gehängt worden, sondern nur in Ordnern verwahrt, die man durchblättern kann. „Wir wollten zeigen, an welcher Stelle der Schalter umgelegt worden ist“, sagt Baumann. Anfangs seien die Erschießungen noch mit der Angst der deutschen Wehrmachtssoldaten und SS-Einheiten vor Aufständischen erklärt worden. Schon wenig später aber gab es die ersten konkreten Befehle zur Ermordung der Juden in den von den Deutschen besetzten Gebieten.

Rassistische Herrenmenschen

Die Ausstellungsmacher haben auch versucht, die Psyche der Täter zu beleuchten. Neben einer Verrohung im Krieg fällt dabei auf, dass die Deutschen in Russland anders als etwa im besetzten Frankreich aufgetreten sind. „Hier zeigten sie sich von Anfang an als rassistische Herrenmenschen“, sagt Baumann. Unterstrichen werde das durch die Tatsache, dass die Juden aus Osteuropa auch später nicht deportiert worden seien, als die Vernichtungslager gebaut worden waren. „Deportiert wurden nur die Menschen aus dem Westen oder dem Süden. Die aus dem Osten wurden erschossen, wo sie gelebt haben.“