Blick in den Innenhof des neuen Hospitalhofes Foto: Halbe

Mit ihrem Neubau des Hospitalhofs erinnert das Architekturbüro Lederer Ragnarsdottir Oei an das Geviert des Klosters, das hier einst stand. Mit wenigen Kniffen wird Architektur zum Erlebnis.

Mit ihrem Neubau des Hospitalhofs erinnert das Architekturbüro Lederer Ragnarsdottir Oei an das Geviert des Klosters, das hier einst stand. Mit wenigen Kniffen wird Architektur zum Erlebnis.

Stuttgart – Es war Graf Ulrich der Vielgeliebte, der ab 1445 die Obere Vorstadt (später wegen ihrer wohlhabenden Bürger „Reiche Vorstadt“ genannt) nördlich der heutigen Theodor-Heuss-Straße ummauern ließ. Und es war vermutlich Graf Eberhard im Bart, der um 1483 dort das rechtwinklige Straßensystem anlegen ließ. Da existierte aber das von Ulrich gestiftete Dominikanerkloster schon, und deshalb steht die heutige Hospitalkirche etwas schief im Straßenraster.

Und deshalb steht auch der neue Hospitalhof schief an der Gymnasiumstraße, denn die Architekten Lederer Ragnarsdóttir Oei richteten den Neubau des Bildungszentrums der Evangelischen Kirche an der Kirche, nicht am Straßenrand aus. Es ging ihnen darum, an das Klostergeviert zu erinnern. Immerhin gab es hier noch bis zu den Kriegszerstörungen die Klostergebäude und den mittelalterlichen Kreuzgang mit Arkaden.

Nach dem Krieg wurden lediglich der Chor und der Turm wieder aufgebaut. Vom Langhaus der Hallenkirche blieben nur fünf Joche der Ostwand stehen, gewissermaßen als etwas höhere Hofmauer. Die Reste der Klausurgebäude verschwanden. 1960 ergänzte der Architekt Wolf Irion die Anlage um einen Bürotrakt entlang der Gymnasiumstraße und einen Saalbau.

Wie kann man den historischen Ort zum Sprechen bringen? Wie weckt man die Erinnerung an die spätgotische Hallenkirche?, fragten sich die Architekten. Die Antwort ist durchaus verblüffend. Sie ergänzten die Kirchenwand um zwei Joche auf die ursprüngliche Länge bis zur Gymnasiumstraße, einschließlich der Spitzbogenfenster, Strebepfeiler und Kaffgesimse. Eine Provokation! Zumindest für Architekten, für die Rekonstruktion historischer Baukunst Frevel, Armutszeugnis und Geschichtsklitterung, jedenfalls des Teufels ist.

Doch die Ergänzung ist nicht Rekonstruktion, sie ist aus hellen Ziegeln errichtet, die Fenster ohne das gotische Maßwerk, die Gesimse kantig gemauert, und wird auch von Laien als heutige Zutat erkannt. Die Fenster sind mit Holzlamellen geschlossen; dahinter verbirgt sich lediglich ein Fluchttreppenhaus. Dessen Ausgang, eine mit Ziegelscheibchen beklebte „Tapetentür“, hätte allerdings eine ordentliche Holztür vertragen können.

Wo einst das Klostergebäude stand, erhebt sich nun ein Versammlungs- und Verwaltungsgebäude, solide gemauert, mit seltsamen, aber etwas Besonderes signalisierenden, zuckerhutförmigen Fenstern im Erdgeschoss. Die Fenster in den vier Obergeschossen, mit Sonnenblenden beschirmt, scheinen in die Straße zu blicken. Um die Ecke andere Fenster: runde Bullaugen, auch sie beschirmt, aber schräg in die Welt blickend, es gibt viel zu sehen an diesem Bau – das unterscheidet ihn von den meisten zeitgenössischen Innenstadthäusern.

Hat man das Geviert umrundet, öffnen sich neben dem gotischen Chor der Eingang ins Haus und der Zugang zum Hof. Es ist ein Hortus conclusus, ein ruhiger Klosterhof, der das Treiben der Stadt außen vor lässt.

Und wieder die Erinnerung: An jenen Stellen. wo die Säulen des Langhauses gestanden hatten, ließen die Architekten sechs schlank wachsende Bäume pflanzen, um den einstigen Kirchenraum anklingen zu lassen.

Zum Hof hin wenden sich die Fensterfronten des Foyers und des Saals im Obergeschoss. Insgesamt 850 Plätze weist er auf, eine schwungvolle Holzdecke, und an der Stirnseite befinden sich besagte Bullaugen, die sich bei Bedarf von innen mit schmetterlingsartig zuklappenden Holzblenden schließen lassen.

Der Saal erweckte bereits bei der Einweihung Begeisterung – ein schönerer ist in jüngerer Zeit in Stuttgart nicht gebaut worden. Selbst ein schlichtes Treppenhaus wissen die Architekten mit wenigen Kniffen zum Architekturerlebnis werden zu lassen. Über das gesamte Haus ist nur Lob zu hören, und wer es an einem beliebigen Tag besucht, wird vom emsigen Betrieb in allen Etagen überrascht sein.

Gepriesen hat es auch Baubürgermeister Matthias Hahn bei der Eröffnung und versprach, das derzeit desolate Umfeld wie geplant in eine verkehrsberuhigte und neu gestaltete Zone umzuwandeln, und zwar bis zum Kirchentag im nächsten Jahr, bei dem das Haus eine Hauptrolle spielen wird. Man sollte ihn beim Wort nehmen.

Den historischen Ort lesen, die Stadt sensibel weiterbauen, neue Formen erfinden, die doch irgendwie vertraut scheinen und sich in den Kontext einfügen, diese dienende und dabei dennoch fantasievolle, kreative Arbeitsweise zeichnet die Architekten Arno Lederer, Jórunn Ragnarsdóttir und Marc Oei seit Jahren aus und prädestiniert sie für Bauaufgaben, bei denen es gilt, Neues in historischer Umgebung zu schaffen.