In „Sein oder nicht sein“ begleitet der Filmemacher Reiner Holzemer den deutschen Ausnahme-Schauspieler Lars Eidinger bei der Arbeit. Einblicke hinter die Fassade des Künstlers bekommt man trotzdem kaum.
Der Dokumentarfilmer Reiner Holzemer hat den deutschen Schauspieler Lars Eidinger neun Monate lang begleitet. Warum ein Film über einen noch so jungen Schauspieler, mag man sich vielleicht fragen. Eidinger, 1976 geboren, hätte auch seinerseits ablehnen können. Doch die beiden ließen sich darauf ein. Für „Sein oder nicht sein“ begeben sie sich auf eine gemeinsame Reise durch Eidingers Arbeitsleben auf und hinter die Bühnen – im Zentrum steht die Vorbereitung auf die Rolle des Jedermann im gleichnamigen Theaterstück von Hugo von Hofmannsthal bei den Salzburger Festspielen 2021, die Eidinger zwei Jahre lang spielte.
„Ich will, dass mich alles trifft und bewegt und berührt“
Eines wird gleich zu Beginn des Films deutlich: Lars Eidinger fühlt sich oft missverstanden. In der Rezeption seiner Person, seiner Aussagen, seiner Aktionen wie den Entwurf und die Vermarktung einer Tasche im Aldi-Tüten-Design etwa vor drei Jahren. „Wenn Leute dann sagen, dass sie nicht verstehen, dass mich manches kränkt und ich drüber stehen sollte . . . Also ich stehe über überhaupt gar nichts drüber, das widerspricht meinem Verständnis von meinem Dasein. Ich möchte über überhaupt nichts drüber stehen. Ich will auch nicht, dass mir irgendwas egal ist, ich will, dass mich alles trifft und bewegt und berührt. Ich glaube, ansonsten hat man verloren als Schauspieler, wahrscheinlich sogar als Mensch“, sagt er während einer Autofahrt. Vielleicht sollen Holzemer und sein Film Aufklärung schaffen.
Er ist dabei, wenn Eidinger sich den Stoff des „Jedermann“ erarbeitet, gibt Einblicke in die Proben, auch mit anderen Darstellenden, die sich bei der Arbeit dafür ebenso über die Schulter schauen lassen. Er brauche das Gegenüber, den spielerischen Moment, „wenn da keiner zuguckt, weiß ich gar nicht, was ich machen soll“, sagt er.
Viel Lob von Schauspielkolleginnen und -kollegen
Holzemer geht aber auch zurück und lässt Eidinger erzählen, wie er sich vom von Zwängen besessenen Kind, vom extrem ehrgeizigen, tennissverrückten Schüler, der nicht verlieren kann, über die Schauspielerei besser auszuleben gelernt und zum empathischen Vater seiner Tochter entwickelt habe. Historische Aufnahmen gibt es nicht, aus dem Leben des Schauspielers erzählt lediglich für einen kurzen Moment ein Lehrer der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch in Berlin, wo Eidinger seine Ausbildung machte. Der Übergang zu Sequenzen, in denen Schauspielkolleginnen und -kollegen in Salzburg, aber auch internationale Stars wie Juliette Binoche oder Isabelle Huppert über Eidinger als Kollege sprechen. Kritik gibt es dabei keine.
Eidinger darf sich mehrfach monologisch selbst erklären. Mit Aussagen wie „Ich werd auf der Bühne ich selbst“ unterstreicht er die Wichtigkeit seines Berufs für seine Persönlichkeit, und es bleibt kein Zweifel: Er ist einer, der gesehen werden will. In jeder Hinsicht.
Bei der Probe zu „Hamlet“ an der Schaubühne Berlin ist die Kamera auch dabei. Und irgendwie wirkt es so, als sei dieser Schauspieler immer in einer Rolle. Nicht nur bei der Arbeit. Gibt es überhaupt eine Grenze bei so einem Film?
Und dann wird es doch einen Moment geben, in dem Eidinger aus der Rolle fällt. Bei Proben in Salzburg ist ihm plötzlich Wut ins Gesicht geschrieben, er schreit den Regisseur Michael Sturminger an: „Ich fühle mich so dermaßen missverstanden. Wenn ich so was spiele, dann will ich, dass hier absolute Ruhe ist, und dann will ich, dass du konzentriert bist und mich anguckst. Anders kann ich es nicht leisten, ich will es aber für mich leisten.“ Es folgt ein lauter, dramatischer Wutausbruch mit Rotz und Tränen und Stille am Ende, Eidinger verlässt die Probe.
Auch stark: der Moment, als Eidinger über die Pressekonferenz zur Berlinale 2020 und die Rezeption seines emotionalen Statements über sein Schaffen spricht. In die kurze Episode werden fiese Netzkommentare von damals eingeblendet. Er fühle sich nicht verstanden, nicht gehört, sagt Eidinger wieder.
Der Beruf so existenziell, wie der Titel es andeutet
Zweifelsohne ist Lars Eidinger ein großartiger Schauspieler, der sein Fach beinahe unvergleichlich gut beherrscht und ausreizt, er ist einer der ganz Großen und Schillernden. Doch am Ende des Films bleibt man enttäuscht zurück, denn die Doku hat die Chance verpasst, den Menschen hinter den Rollen zu zeigen, Einblicke in das Privatleben, biografische Aufnahmen oder Kritik zuzulassen. Vielleicht hat sich auch Lars Eidinger bewusst dagegen entschieden, weil einem wie ihm die Schauspielerei eben viel wichtiger ist als der persönliche, private Lars Eidinger. Am Ende sagt er es sogar selbst: „Um etwas intensiv zu erfahren, muss man das Visier öffnen.“
„Sein oder nicht sein“: Regie: Reiner Holzemer, seit 23. 3. im Kino. Lars Eidinger stellt den Film an diesem Mittwoch, 29. März, in Stuttgart im Delphi-Kino, 19 Uhr, und in Ludwigsburg, Caligari, 20.30 Uhr, vor. Beide Termine sind ausverkauft.