Auf großer Fahrt: die mutige Vaiana und der selbstverliebte Halbgott Maui mit seinem ­magischen Haken Foto: Disney

Das bedrohte Paradies der vorkolonialen Südsee ist der Schauplatz von Disneys jüngstem Animations-Musical. Ihm gelingt ein großes Kunststück: Es bereitet wichtige Themen kindgerecht auf und berührt dabei auch das erwachsene Publikum.

Polynesien -

Die Südsee ist ein Sehnsuchtsort. Sich fortzuträumen aus dem hektischen, lärmenden Alltag an ferne Strände, wo Seefahrer einst ein zauberhaftes Paradies entdeckten, hat eine lange Tradition unter Bewohnern der sogenannten zivilisierten Welt – bis auf den heutigen Tag mit dem Blick auf die Fototapete.

Nun hat Disney den Südpazifik für ein komödiantisches Animationsabenteuer ausgewählt und erzählt eine ozeanische Helden- und Heldinnensage, die vor der Kolonialzeit spielt. Ein Fluch liegt auf den Insulanern, die Natur droht zu sterben, weil der Halbgott Maui die Lebensgöttin Te Fiti bestohlen und in Aufruhr versetzt hat. Jemand müsste sie besänftigen, doch die Menschen haben die Seefahrt verlernt. Nur Prinzessin Vaiana hört schon als Kind den Ruf des Meeres, der sie zum Entsetzen ihres Vaters nicht mehr loslässt. Ihre Oma bestärkt sie darin loszuziehen.

Es ist eine kluge Südseeschönheit, die John Musker und Ron Clements in ihrem Film auf die lange Reise schicken. Der Ozean hat Vaiana erwählt und beschützt sie zwar, doch ohne ihren starken Willen käme sie nie ans Ziel. Sie findet den Halbgott Maui, einen selbstverliebten Angeber, der nach seiner Missetat tausend Jahre auf einem Eiland geschmort hat und wenig Interesse zeigt, den Schaden wieder gutzumachen. Er möchte nur der Riesenkrabbe Tamatoa seinen magischen Haken wieder abnehmen, mit dem er tierische Gestalt annehmen kann. Tamatoa aber, eine wunderbar verschrobene Disney-Nebenfigur, erweist sich als harter Brocken und ist nur durch Vaianas selbstlosen Einsatz zu knacken. So zieht sie den wankelmütigen Maui nach und nach auf ihre Seite und lernt von ihm manches, was eine Seefahrerin wissen muss.

Tätowierungen führen ein lustiges Eigenleben

Den eigenen Träumen folgen, den eigenen Fähigkeiten vertrauen, sich ein Herz fassen und allen Mut zusammennehmen für das Wohl der Gemeinschaft – die Themen sind vielfältig und sehr kindgerecht aufbereitet. Gerade genug erklärend, nimmt der Film konsequent auch kleinere Kinder fest an die Hand und führt sie sicher durch ein turbulentes Abenteuer.

Die 3-D-Animation entspricht dem hohen Disney-Standard. Die Gestalten und Wandlungen des Halbgottes – mal Falke, mal Maus – sind spektakulär, die Tätowierungen auf seinen Muskelpaketen führen ein lustiges Eigenleben und erzählen ohne Worte ihre Versionen seiner Geschichten. Wenn Vaiana über Bord geht, spült eine Welle sie prompt wieder zurück. Die entrückte Riesenkrabbe und manische Miniaturpiraten sorgen für Kitzel und Lacher, ein gigantisches Feuermonster füllt die Leinwand – und das neue Klangsystem Dolby Atmos umfängt die Zuschauer vollständig mit den Klängen der Südsee.

Das einzige Problem für hiesige Zuschauer liegt in der Synchronisation, besonders in jener der Songtexte, die auf Deutsch den inhaltlichen Fokus verschieben und mit Text vollgestopft sind. Das Titelstück „How Far I’ll Go“ verweist auf Englisch sowohl auf eine weite Reise als auch auf die Frage, wie weit die Heldin wird gehen müssen, um ihr Ziel zu erreichen. Das deutsche „Ich bin bereit“ klingt dagegen beliebig. Und während die weichen amerikanischen Silben locker fließen, sperrt sich der deutsche Text schon wegen seiner Wortmenge gegen alle Leichtigkeit. Dass die Schlagerdiva Helene Fischer ihn dennoch bewältigt, hat mit dem ihr eigenen Perfektionismus zu tun, doch selbst sie wirkt bemüht.

Maui tut es für den Ruhm, Menschen für den Profit

Noch drastischer ist der Unterschied beim Song des Halbgottes Maui. Auf Englisch zählt er seine Wohltaten auf und beendet jede Strophe mit „You’re welcome“ („Gern geschehen“), was auf Deutsch, gesungen von Andreas Bourani, zu „voll gerne“ wird, einer Mischung aus Jugendjargon und Agentur-Praktikanten-Sprech. Überhaupt redet Maui allzu flapsig und schnoddrig, was dem Film die Zeitlosigkeit nimmt, die ihm innewohnt. Zumindest bei den Songs wären Untertitel in so einem Fall die bessere Lösung, auch für ein kindliches Publikum.

Abgesehen davon ist „Vaiana“ ein schöner Familien- und Weihnachtsfilm, der auch Erwachsene unterhält und berührt. Während Vaianas Volk seine üppigen Lebensgrundlagen respektiert und pflegt, erinnert der selbstherrlich die Schöpfung manipulierende Maui stark an jenen Teil der Menschheit, der gerne Gott spielt und glaubt, die Natur unterwerfen zu können. Maui tut es für den Ruhm, Menschen für den Profit, die Folgen aber sind dieselben, wie ganz aktuell das Sterben der Korallen im australischen Barrier Reef zeigt.

Maui lernt am Ende Demut, die Menschheit zögert noch – und riskiert, dass der Sehnsuchtsort Südsee irgendwann kein realer mehr ist, sondern nur noch eine weitere schöne Untergangs-Erinnerung.