Was wird aus Julio Färber (Diego Cremonesi) und Mariela Martínez (Marina Bellati)? Foto: dpa

German Kral erzählt in „Adiós Buenos Aires“ von einem Argentinier, der nach Deutschland auswandern will – und der Macht des Tangos.

Wenn es um die Verbindung von Melancholie und Leidenschaft geht, ist der argentinische Tango einfach unschlagbar. „Du steckst in mir wie ein Dolch im Fleisch. Und leidenschaftlich brennend, vor Furcht erzitternd, will ich in Deinen Armen sterben“ erklingt die Stimme aus dem Radio im knisterndem Sound der Fünfziger – und bringt noch ein halbes Jahrhundert später die Gespräche in der Kneipe zum Erliegen. Julio Färber (Diego Cremonesi) und seine Musikerfreunde sitzen in der abgetakelten Tangobar „Gloria Argentina“. Ihr Sänger hat gerade die Band verlassen, um wie viele andere Landsleute sein Glück in der Emigration zu suchen.

Im November 2001 befindet sich Argentinien im Würgegriff einer Wirtschaftskrise, die Staat und Banken schon bald in den Bankrott stürzen wird. Julio hat den Anderen noch nicht gestanden, dass auch er mit Mutter und Tochter nach Deutschland auswandern will. Sein Schuhladen, in dem schon der Vater hinter der Kasse stand, hat in der Krise alle Kundschaft verloren. Gerade als er seinen geliebten Peugeot 504 in Zahlung geben will, fährt die Taxifahrerin Mariela (Marina Bellati) bei Rot über die Ampel und direkt in seinen Wagen hinein. Wie das bei Autounfällen im Film eben so ist, wird der abrupte Zusammenprall zum Beginn einer möglichen Liebesbeziehung. Aber die amüsant-vorhersehbare Lovestory ist nicht das eigentliche Kapital von German Krals „Adiós Buenos Aires“.

Weit mehr als nur melancholische Herzschmerz-Kompensation

Der in Deutschland lebende Regisseur argentinischer Herkunft hat bereits mit „Der letzte Tango“ (2015) eine erfolgreiche Dokumentationen über das musikalische Nationalheiligtum seines Heimatlandes vorgelegt. Und dessen Klänge durchströmen auch in seinem stimmungsvollen Spielfilmdebüt Leben und Alltag der Figuren. Kral lässt ein ganzes Bündel an traditionellen Tango-Songs neu erklingen, deren (untertitelte) Texte nicht nur von leidenschaftlicher Liebe, sondern auch von Entfremdung, Einsamkeit und der wütenden Abrechnung mit korrupten Eliten erzählen. Denn der Tango ist weit mehr als nur melancholische Herzschmerz-Kompensation und steht den Menschen mit seiner Musik und Poesie in allen Lebenslagen zur Seite. Das gilt besonders für das argentinische Schicksalsjahr 2001, in dem das Land von Misswirtschaft, Korruption und IWF-Krediten in die Knie gezwungen wird und über Nacht alle privaten Konten eingefroren werden.

Dazu gehört auch Julios Erlös aus dem Verkauf des Schuhgeschäftes, mit dem er einen Neuanfang in Berlin wagen wollte. Während sich alle äußeren Umstände gegen ihn verschwören, wird Juilio immer klarer, über welche persönlichen Reichtümer er in diesem bankrotten Land verfügt. Da ist die pubertierende Tochter, die sich frisch verliebt hat und nun nicht mit nach Deutschland will, die Freunde aus der Tango-Band, die auch in schlechten Tagen versuchen sich gemeinsam aufzurappeln, sowie der legendäre Sänger Ricardo Tortorella (Mario Alarcón), den sie aus dem geriatrischen Exil wieder auf die Bühne bringen. Ohne Solidaritätskitsch zeigt „Adiós Buenos Aires“, wie individuelle und gemeinsame Überlebensstrukturen in extremen Krisensituationen funktionieren – und welche Rolle Freundschaften, Liebe und vor allem die Musik dabei spielen.

Adiós Buenos Aires: Deutschland/Argentinien 2023. Regie: German Kral. Mit Diego Cremonesi, Marina Bellati, Carlos Portaluppi. 93 Minuten. Ab 12 Jahren