Blum (Anna Maria Mühe) hat ein besonders Verhältnis zum Tod und zu Toten. Foto: Netflix/Mona Film/Barry Films/Stephan Burchardt

Im Alpen-Noir-Krimi „Totenfrau“ spielt Anna Maria Mühe eine Bestatterin, die weiß, dass man sich vor den Lebenden mehr fürchten muss als vor den Toten. Die Netflix-Serie ist jetzt auch im Free-TV zu sehen.

Auf dem Motorrad ihres toten Mannes rast Blum durch die schrecklich-schöne Bergwelt Tirols. Auf der Suche nach den Menschen, die ihr das Wichtigste in ihrem Leben genommen haben, fährt sie rast- und ziellos vorbei an gigantischen Gletschern, an riesigen Schneeflächen, durch einsame Täler – so lange, bis ihr Herz genauso kalt und hart und leer ist wie diese Landschaft.

Die Landschaft als Seelenspiegel

Auf die Idee, die Natur zum Spiegelbild der Seele zu machen, sind zwar die Romantiker gekommen, und wie das geht, führen schon etwa die Gedichte Josef von Eichendorffs oder die Gemälde Caspar David Friedrichs vor. Doch perfektioniert haben das Prinzip jene skandinavischen Krimis, für die der Genrename Nordic Noir erfunden wurde. Das rau-unwirtliche Klima, die schroffe Natur, die düsteren Winter in Norwegen, Schweden oder Island offenbaren stets auch einen Blick in die Psyche der vereinsamten, verlorenen, verstörten, verrohten oder verwahrlosten Protagonisten; die karge Landschaft zwischen Fjorden und Gletschern wird zum Schauplatz für mysteriös aufgeladene Krimis, die von Mord und Totschlag, Vergewaltigung, Rassismus und Wahnsinn erzählen; Schauergeschichten aus einer finsteren Welt jenseits von Bullerbü jagen einem Angst ein, Eifersuchts-, Rache- und Schuld-und-Sühne-Dramen voller Inzest und Missbrauch, Gier und Intrigen.

Nordic Noir in den Alpen

Wenn Geschichtenerzähler aus Österreich oder Deutschland in ihren Thrillerstorys ein wenig Nordic-Noir-Atmosphäre aufkommen lassen wollen, ist es darum keine schlechte Idee, die Krimis in den Alpen spielen zu lassen. Nur dort scheinen die Landschaft karg und einsam und die Menschen eigentümlich genug für solche Stoffe zu sein.

Wie das geht hat die Sky-Originalserie „Der Pass“ mit Julia Jentsch und Nicholas Ofczarek vorgemacht, die zwar bei dem dänisch-schwedischen Serienkrimi „Die Brücke“ klaute, daraus aber einen originell-düsteren Alpen-Noir-Thriller machte. Und auch der Tiroler Krimiautor Bernhard Aichner setzt in seiner „Totenfrau“-Trilogie („Totenfrau“, „Totenhaus“, „Totenrausch“) auf zerklüftete Gipfel und zerbrochene Charaktere. Der erste Roman dieses Dreiteilers hat die Vorlage für die Netflix-Serie „Totenfrau“ geliefert, die im Januar 2023 als Koproduktion mit dem ORF Premiere feierte und nun auch in der ARD-Mediathek verfügbar ist

Die Lebenden sind gefährlicher als die Toten

Anna Maria Mühe spielt eine Bestatterin, die ihren Vornamen Brünhilde so entsetzlich findet, dass sie von allen nur Blum genannt werden will. Das Bestattungsinstitut hat sie von ihren Adoptiveltern übernommen, die einst bei einem Segelunfall ums Leben kamen. Sie ist eine Eigenbrötlerin, die selbst in einer Welt voller Eigenbrötler noch eine Außenseiterin ist, und kommt nicht gut mit anderen Menschen klar, es sei denn, sie sind tot. Denn Blum spricht mit den Toten – und das bereits, seit sie ein Kind war. Als sie damals von ihrem garstigen Vater in einen Sarg gesperrt wurde, war es die Leiche einer Frau, die sie tröstete: „Hab keine Angst, vor mir musst du dich nicht fürchten. Vor keinem von uns. Die Einzigen, vor denen du dich fürchten musst, sind die Lebenden.“

Immer mehr Leichen auf dem Balsamiertisch

Und diesen Rat wird Blum auch dann noch beherzigen, wenn sie sich viele Jahre später als Witwe auf einen Rachefeldzug begibt. Weil sie überzeugt ist, dass ihr Mann nicht bei einem Unfall ums Leben gekommen ist, sondern ermordet wurde, übernimmt sie selbst die Ermittlungen und trifft auf viele Menschen, die zum Fürchten sind – zumindest solange sie noch leben. Männer wie Pfarrer Jaunig (Simon Schwarz), ein Fotograf oder ein Restaurantbesitzer, aber auch Frauen wie die Unternehmerin Johanna Schönborn, die Blum unverhohlen droht: „Das Tal gehört mir, und ich kann hier machen, was ich will.“ Und dann ist da noch der Polizist Massimo Ricci (Felix Klare), der zwar auf Blums Seite zu stehen scheint, aber dem auch nicht ganz zu trauen ist.

Es dauert jedenfalls nicht sehr lange, bis immer mehr Leichen auf Blums Balsamiertisch landen. Und weil es außerdem noch um Menschenhandel, bizarre Sex- und Gewaltspiele und eine finstere Verschwörung der Mächtigen geht, dürfen sich bei der Serie „Totenfrau“ Nordic-Noir-Fans auch in Tiroler Bergen ganz zu Hause fühlen.

Totenfrau. Alle sechs Episoden der Thrillerserie sind in der ARD-Mediathek und bei Netflix verfügbar.

Die „Totenfrau“-Trilogie

Autor
Bernhard Aichner (1972) lebt als Schriftsteller und Fotograf in Innsbruck. Er wurde für seine Romane, Hörspiele und Theaterstück mit mehreren Preisen ausgezeichnet. Der Roman „Totenfrau“ (btb-Verlag, 448 Seiten, 19,99 Euro), der 2014 erschien, wurde etwa mit dem Crime Cologne Award ausgezeichnet.

Romane
Neben „Totenfrau“ zählen „Totenhaus“ (2015) und „Totenrausch“ (2017) zu der Trilogie. In allen drei Thrillern steht die Bestatterin Blum im Mittelpunkt der Handlung.