Sinan Sevinç (rechts) ist einer der Regisseure des Films „Babo – Die Haftbefehl-Story“, der seit dem 28. Oktober auf Netflix läuft. Foto: Netflix

Die Haftbefehl-Doku erreicht Platz 1 der Netflix-Charts in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Regisseur Sinan Sevinç aus Stuttgart begleitete den Rapper dafür drei Jahre.

Aykut Anhan, besser bekannt als Haftbefehl, ist vielen als Gangster-Rapper aus Offenbach bekannt. Die Netflix-Doku „Babo – Die Haftbefehl-Story“ befasst sich nun mit seinem Leben zwischen mieser Kindheit, Drogen und Ruhm und schafft es in wenigen Tagen auf die Nummer 1 der Netflix-Charts in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Mit 4,1 Millionen Views in der ersten Woche belegt der Film den vierten Platz der globalen Netflix Top 10 der nicht-englischsprachigen Filme. Der Stuttgarter Filmemacher Sinan Sevinç erzählt uns von den harten Drehtagen.

 

Herr Sevinç, Sie waren bisher überwiegend im Bereich Commercial, Kurzfilme und Musik-Videos tätig. „Babo“ ist Ihr erster Langfilm. Wie kam es zu dieser Zusammenarbeit?

Ich bin eigentlich im Journalismus groß geworden. Ich habe in Stuttgart an der Hochschule der Medien Crossmedia-Journalismus studiert, bin danach an die Filmakademie in Ludwigsburg und habe dann primär in der Werbung gearbeitet. Über die Werbung habe ich Pacco-Luca Nitsche kennengelernt, neben Elias M’Barek einer der Produzenten von „Babo“. Er kannte meine Arbeiten und fragte, ob ich mir das Projekt mal anschauen wolle. So habe ich auch Juan Moreno kennengelernt, mit dem ich dann zusammen die Regie gemacht habe. Glücklicherweise geht es bei dem Film um eine Branche, die mir vertraut ist, weil ich früher auch Musikvideos gemacht habe und in der Hip-Hop-Industrie tätig war. Ich kannte Haftbefehl, habe seinen Werdegang verfolgt und wusste natürlich auch um seine spannende Hintergrundgeschichte. Deshalb habe ich dann auch zugesagt.

„Babo“ nimmt kein Blatt vor den Mund. Es geht um Drogensucht, Depression, Ehekrise. Teilweise sind es Bilder, die man schon vor dem Fernseher schwer aushält. Was haben die drei Drehjahre mit Ihnen persönlich gemacht? Wie konnten Sie sich abgrenzen?

Das war wirklich eine intensive Zeit, das kann man zweifelsohne sagen. Wer mal mit Haftbefehl unterwegs war, weiß, dass schon wenige Tage mit ihm sehr fordernd sein können. Seine Themen sind keine leichten, es geht wirklich ans Mark. Ich musste mir eine Strategie zurechtlegen. Also: Wohin begleite ich ihn? Bei welchen Drehs bin ich dabei oder schicke nur den Kameramann hin? Aber für uns war von Anfang an klar, dass der Film so werden muss, wie seine Musik ist: kompromisslos, direkt, ehrlich. Das war auch sein eigener Anspruch. Deshalb ging es gar nicht anders, als den Film in dieser Intensität zu machen.

Und gab es trotz aller Ehrlichkeit Momente, in denen Sie gesagt haben: Das können wir nicht zeigen?

Wir haben über viele Momente, die wir gedreht haben, diskutiert – auch im Nachgang. Die Entscheidungen haben wir immer nach der Geschichte getroffen. Es geht um Aykut Anhan, einen Künstler, der vom Leben schwierige Karten bekommen hat und sich durch seinen Drogenkonsum immer weiter zerstört. Das ist die Geschichte, die wir erzählen. Alles, was dieser Geschichte dient, kommt in den Film. Es gibt viele Szenen, die wir nicht verwendet haben, weil der Film sie nicht gebraucht hat. Zum Beispiel haben wir uns dazu entschieden, seinen aktiven Drogenkonsum nie zu zeigen. Das war für die Erzählung nicht notwendig. Am Ende hat aber auch immer Aykut selbst entschieden, was er zeigen möchte und was nicht. Man muss an der Stelle wirklich sagen: großen Respekt an ihn. Es gehört viel Mut dazu, sich so offen und ehrlich vor der Kamera zu zeigen.

Aykut Anhan spricht in der Netflix-Doku über die Höhen und Tiefen seines Lebens. Foto: Netflix

Schon im Trailer wird deutlich: Aykut Anhan ist nicht unbedingt der Zuverlässigste. Wie oft kam er zu spät zum Dreh?

Wenn man mit Aykut Anhan einen Film machen will, muss man Zeit mitbringen – das steht außer Frage. Ich glaube, das können alle bestätigen, die dabei waren. Irgendwann haben wir gelernt, damit umzugehen, und wussten, wie wir ihn am besten begleiten können. Zum Beispiel, indem unser Kameramann Wesley William Salamone ihn über längere Zeiträume allein begleitet hat. Und wir hatten großes Glück: Wenn Aykut dich einmal ins Herz geschlossen hat und du Teil seines Umfelds bist, hast du einen ganz anderen Zugang. Dann lässt er dich nicht hängen. Das hat uns viele Stunden erspart.

Sie kommen aus Stuttgart. Nina Anhan, die Frau von Haftbefehl, wohnt in der Nähe von Stuttgart. Welche Rolle spielt die Stadt für den Film und für Haftbefehls Leben?

Stuttgart ist, glaube ich, für Aykut so etwas wie eine zweite Heimat geworden. Wer über Haftbefehl spricht, denkt natürlich zuerst an Frankfurt – er wird ja nicht umsonst in den sozialen Medien der „Bürgermeister von Frankfurt“ genannt. Da seine Frau aber aus der Nähe von Stuttgart stammt, hat er dort auch ein Zuhause gefunden. Er ist dort oft anzutreffen. Ich kenne viele Leute, mich eingeschlossen, die ihm schon in der Stuttgarter Innenstadt begegnet sind. Als bekannt war, dass ich mit ihm zusammenarbeite, haben mir Freunde auch immer wieder geschrieben, wenn sie ihn in der Stadt gesehen haben.

Wenn der Film endet, fragt man sich direkt: Wie geht es Aykut Anhan denn jetzt gerade? Können Sie dazu etwas sagen?

Aykut geht es heute deutlich besser, das ist schön zu sehen. Wir haben gemeinsam diese intensive Zeit erlebt, und im Film sieht man, wie schwer er da teilweise gestruggelt hat. Wie er selbst gegen Ende der Doku sagt: „Mal gewinnt man, mal verliert man, aber aufgeben ist keine Option“. Ich wünsche ihm sehr, dass das so bleibt.

Steht bei Ihnen ein neues Projekt an?

Dazu kann ich leider noch nichts sagen. Ich genieße jetzt erst einmal das Release von „Babo“. Ich habe davor viel Werbung und Kurzfilme gemacht, aber bei einem langen Format hat man ganz andere Möglichkeiten, einen Charakter zu entwickeln und wirklich ins Detail zu gehen. Das macht großen Spaß, und dabei bleibe ich gerne.

„Babo – Die Haftbefehl-Story“ (Netflix ab 28.10.)

Produzenten
Elyas M’Barek und Pacco-Luca Nitsche

Regisseure
Juan Moreno und Sinan Sevinç