Auf Abstand: Die Belegschaft stand am Montag der Nestlé-Chefetage mit Gewerkschaftsfahnen und Trillerpfeifen gegenüber. Foto: factum/Granville

Die Vorstandsvorsitzende von Nestlé Deutschland höchstselbst stellt sich in Ludwigsburg aufs Werksgelände, um den zornigen Mitarbeitern Rede und Antwort zu stehen. An deren düsteren Perspektiven ändert das nichts. Die Stadt sagt derweil, es gebe noch keine Angebote in Sachen Geländekauf.

Ludwigsburg - Eins und eins könne man doch zusammenzählen, ereifert sich ein Grüppchen zorniger Mitarbeiter des Caro-Kaffee-Werks. „Wir wollten wissen, ob es zwischen der Stadt und Nestlé Absprachen über das Gelände gibt. Und wer ist heute nicht da? Jemand von der Stadt.“

Bei der offenen Betriebsversammlung, zu dem der Unifranck-Betriebsrat den Gemeinderat eingeladen hatte – einige Räte kamen und überbrachten Solidaritätsbekundungen – , gab es am Montag keine Aussage über eventuelle Verhandlungen zur Zukunft des Filet-Grundstückes. Dafür gab es Besuch vom Konzernvorstand: Béatrice Guillaume-Grabisch, Vorstandsvorsitzende von Nestlé Deutschland, stellte sich auf dem nicht nur von der Sonne aufgeheizten Werksgelände ihren Noch-Mitarbeitern. Diese standen ihr mit Trillerpfeifen und Gewerkschaftsfahnen gegenüber.

Wenig ermutigende Einlassungen der Vorstands-Chefin

Ihr Auftritt dürfte diejenigen, die sich noch an die Hoffnung auf eine Rettung des Standortes klammern, nicht ermutigt haben. Von Überlegungen zur Erhaltung war nicht die Rede, von veränderten Verbrauchergewohnheiten und verantwortungsvoller Ausgestaltung des Finales hingegen viel. Nestlé habe verschiedene Alternativen geprüft, sagte die Vorstands-Chefin. „Aber keine war tragfähig und robust. Deshalb war diese Entscheidung, die wir schweren Herzens getroffen haben, unausweichlich.“ Der Grund liege keinesfalls in mangelndem Engagement der Beschäftigten, deren Leistung das Unternehmen wertschätze. Es sei eine „im wesentlichen von technischen Gründen geführte Entscheidung“ gewesen.

Dass die Kurzfristigkeit Unverständnis ausgelöst habe, „das haben wir verstanden“, sagte Guillaume-Grabisch. „Umso wichtiger ist es, dass wir schnellstmöglich in Gespräche über den Interessenausgleich und einen Sozialplan gehen.“ Die Mitarbeiter kommentierten die Worte mit lautstarken Zwischenrufen. „Ich will kein Geld, ich will Arbeit. Wer nimmt mich denn mit 51 Jahren noch?“, rief ein Beschäftigter. Eine Frau warf Guillaume-Grabisch vor: „Man hat uns nicht einmal die Chance gegeben, für unser Werk zu kämpfen.“

Markt für Getreidekaffee bricht unaufhaltsam ein

„Warum haben Sie nicht mehr Werbung für Caro-Kaffee gemacht?“, riefen andere Mitarbeiter. Mit der Werbung sei es nicht getan, entgegnete die Vorstandsvorsitzende. „Wer möchte heutzutage noch eine Schreibmaschine, wenn es überall Computer gibt? Viele Dinge, die einmal gefragt waren, sind es heute nicht mehr.“ Der Markt für Getreidekaffee gehe stetig zurück, früher habe Ludwigsburg 4000 Tonnen jährlich produziert, jetzt noch 917 Tonnen.

„Mit Nachdruck“ wolle sie falsche Zahlen über den Stellenabbau in Deutschland klarstellen, sagte Guillaume-Grabisch. Zuletzt seien 380 Stellen in Mainz und 60 im Außendienst weggefallen, zwischen 2018 und 2021 würden gestaffelt 308 Stellen in den Werken Ludwigsburg, Lüdinghausen, Biessenhofen uns Singen gestrichen, 160 in Zentrale und Administration und 85 im Labor in Weiding. Dafür habe Nestlé im vergangenen Jahrzehnt eine Milliarde Euro in Deutschland investiert, 150 weitere Millionen würden in andere Standorte fließen.

OB Werner Spec war nicht vor Ort

Ganz anders betrachtet die Gewerkschaft Nahrung, Genuss, Gaststätten (NGG) das Szenario: „Etwas so Brutales habe ich in 30 Jahren nicht erlebt“, sagte Helmut Zacher, Geschäftsführer der NGG-Region Stuttgart. Oft würden Standorte aus Geldmangel dicht gemacht, „aber hier regiert die reine Habgier zugunsten der Aktionäre und dem Umsatzrenditeziel von 18,5 Prozent.“ Mit dem Grundstück sei gewiss „irgendein Deal“ im Gange. Zachers Kollege, der Landesbezirksvorsitzende Uwe Hildebrandt, forderte die Nestlé-Vertreter auf: „Bringen Sie das Grundstück in eine Stiftung ein und lassen Sie die Gewinne den Mitarbeitern zugute kommen.“

Oberbürgermeister Werner Spec war laut Pressestelle der Stadt nicht vor Ort, weil die Einladung nur den Gemeinderat angesprochen habe. Was das Grundstück angehe, habe die Verwaltung mit Nestlé nur über eine Nutzung von Flächen gesprochen, deren Gebäude leer stünden, um dort den Verlauf einer zweiten Unterführung zu prüfen. „Es gab und gibt kein Kaufangebot der Stadt. Es gab und gibt auch kein Verkaufsangebot seitens des Unternehmens.“