Der 72-jährige Neil Young hat in seinem Leben schon viel Musik gemacht. Nun lädt er zum kostenlosen Kennenlernen auch der obskureren Alben ein. Foto: dpa

Gegen MP3 und Streaming-Dienste hat der zu Lebzeiten legendäre Musiker Neil Young gewettert wie kein zweiter. Nun stellt er sein Schaffen aus Jahrzehnten auf einer eigenen Streaming-Seite zur Verfügung. Und die klingt in jeder Hinsicht wirklich gut.

Stuttgart - Ein wenig klingt Neil Young wie der US-Präsident Donald Trump, den er innig hasst. Denn auch er hat nun das Weltbeste, Unvergleichliche, nie Dagewesene vorzustellen. Young präsentiert sein musikalisches Werk seit den sechziger Jahren, ein Paradestück der Popmusikgeschichte, als streambares Online-Archiv. Und verkündet dort stolz: „Nirgendwo sonst auf der Welt kann man Musik in einer solchen Audioqualität hören und erkunden.“

Das Eigenlob hat eine Vorgeschichte von Wüterei und Hasstiraden. Young war bisher einer der ätzendesten Kritiker der MP3-Kultur, der komprimierten Musik-Downloads von I-Tunes und anderen Anbietern, erst recht der an begrenzte Handy-Datenraten angepassten Streaming-Dienste wie Spotify. Unerträgliche Musikverstümmelung war noch eines der harmloseren Etiketten, das der 1945 geborene Kanadier selbst für die dichteren Datenpakete der Download-Anbieter übrig hatte. Weshalb er die Digitalwelt mit einem eigenen Audioplayer namens Pono nebst eigenem Webstore mit dem verlustfreien Kompressionsformat Flac (Free Lossless Audio Codec) aus dem Reich angeblich grässlicher Klangkarikatur zurück in die Gefilde des wahren Wohlklangs holen wollte.

Youngs Stream klingt viel besser als Spotify

Als das Abspielgerät Anfang 2015 endlich in die Hände von Testern kamen, hörten allerdings nur wenige einen nennenswerten Unterschied zu gängigen Formaten. Die potenzielle Kundschaft wurde zudem vom hohen Preis – 400 Dollar – und dem vergleichsweise geringen Musikangebot abgeschreckt. Einer der großen Querköpfe und Eigenbrötler des Musikbetriebs schien sich als verbohrter, großmäuliger Querulant blamiert zu haben.

Aber auch wenn man ein wenig schmunzeln muss, wie vollmundig Young nun ausgerechnet ein Streaming-Angebot ankündigt: Sein Archiv klingt deutlich besser als das, worauf Spotify Youngs und andere Alben eindampft. Xstream, so der doppeldeutige Name des Premium-Dienstes, bietet eine Auflösung von bis zu 192 kHz bei 24 Bit – je nach Bandbreite des Nutzeranschlusses. Außerdem erscheinen die alten Alben, unter die sich Unveröffentlichtes mischt, in schön abgemischten Versionen. Young erfüllt seine eigenen Ansprüche.

Optimiert für Laptops und Desktops, ist das in kippschalternostalgischer Retro-Optik gestaltete Archiv voller Infos, ohne wie ein größenwahndurchspuktes Pharaonengrab zu wirken. Neil Youngweiß schlicht, dass sein Werk, der genredefinierende Folkrock mit der Band Crosby, Stills, Nash & Young wie die kreischgitarrenfiesen, den Grunge aus der Taufe hebenden Sounds seiner Band Crazy Horse, zur Kulturgeschichte der letzten Jahrzehnte gehört und entsprechende Präsentation verdient.

Quer zu allem und allen

Das Neil Young Archive ist eine Einladung, diese vielfältige, stets erkennbar um den in Klage und Wehmut ausfransenden, fistelnden Tenor des Liedermachers zentrierte Musik kennenzulernen. Young mag heute wie eine nicht mehr infrage stehende Institution wirken, aber Jahrzehnt um Jahrzehnt lag er quer zu aktuellen Strömungen, war Individualist bis zur Rücksichtslosigkeit, verkrachte sich regelmäßig mit Weggefährten und lieferte gerade so ein Werk ab, das auch in der Rückschau standhält, das mal mehr, mal weniger gelungenes Projekt war, aber nie zynische Modenbedienung.

Zwar sind alle Platten Youngs im Archiv verzeichnet. Aber seine Arbeiten als Bandmitglied bei Buffalo Springfield und Crosby, Stills, Nash & Young und manche Solo-LPs sind, wohl aus Rechtegründen, noch nicht streambar. Man arbeite daran, heißt es, und es wäre wirklich erfreulich, wenn das gelingen würde. Bis nächsten Juni, kündigt Young an, bleibe das Angebot gratis, auch der Stream seines aktuellen Albums „The Visitor“, danach werde eine moderate Abogebühr erhoben. In seinem Fall ist tatsächlich nicht auszuschließen, dass das Vertrautmachen mit der Musik auch zum Entschluss führt, sie fair zu bezahlen.