Noch wachsen Reben an der Weinsteige – doch auch in Stuttgart werden die Lücken bei der Bewirtschaftung arbeitsintensiver Steillagen immer deutlicher sichtbar. Foto: Leif Piechowski

Noch sind die Steillagen im Neckartal ein Aushängeschild für den Weinbau in Württemberg. Doch ihre besten Tage haben die terrassierten Rebhänge mit ihren steilen Staffeln längst hinter sich. Selbst in Traditionslagen liegen immer mehr Flächen brach, weil sich der müh- same Anbau allein nicht mehr lohnt.

Stuttgart - Die Rechnung ist einfach: Um einen Weinberg mit terrassierten Steillagen zu bewirtschaften, sind pro Jahr und Hektar etwa 1500 Arbeitsstunden nötig. Selbst wenn ein engagierter Jungwengerter schafft wie ein Brunnenputzer, dauern Rebschnitt, Laubarbeit und Bodenpflege viel länger als in flachen Lagen. Jeder Holzpfosten und jeder Zuber müssen erst über steile Staffeln geschleift werden, an den Einsatz von Kraft und Zeit sparenden Maschinen ist zwischen den Natursteinmauern nicht zu denken.

Die traumhafte Aussicht ins Tal, so viel ist sicher, können die Steillagen-Wengerter nur selten unbeschwert genießen. Während sich Spaziergänger auf der Suche nach Erholung am schönen Blick erfreuen, Naturfreunde die Weinberg-Terrassen als ökologisch wertvollen Unterschlupf für Eidechsen loben und Tourismusexperten in keinem Katalog auf Bilderbuch-Fotos von steilen Rebhängen verzichten wollen, machen die Erzeuger buchstäblich den Buckel krumm – und hängen bei jedem Schritt dem Gedanken nach, wie leicht die Arbeit wohl in einer flacheren Lage von der Hand gehen würde.

Wer seine Rebzeilen wenigstens mit einem Schmalspur-Traktor beackern kann, ist nicht nur körperlich weniger gefordert. Er kommt bei der Pflege auch mit etwa einem Drittel der für Mauer-Steillagen nötigen Zeit aus. Noch krasser ist der Vergleich mit Bewirtschaftungskosten in Flachlagen unter südlicher Sonne. In Italiens Po-Ebene sind nur 100 Arbeitsstunden pro Hektar nötig, spanische Weinerzeuger rechnen für topfebene Rebgärten mit ähnlichen Werten.

Sinkende Erlöse

Das Problem: Selbst wer sich als Weinfreund den heimischen Tropfen verpflichtet fühlt, blättert nicht ohne Murren mindestens den zehnfachen Preis auf den Ladentisch. Auch deshalb handelt es sich mittlerweile bei mehr als der Hälfte des in Deutschland verkauften Rebensafts um Importware. Um beim Preiskampf der großen Lebens-mittelketten überhaupt noch einen Fuß in der Tür zu halten, müssen auch die hiesigen Genossenschaften mit Rabatten arbeiten.

Zu schultern haben die sinkenden Erlöse die betroffenen Weinbauern. Ein Auszahlungsbetrag von 12.000 Euro pro Hektar gilt in der Branche schon als ordentliche Quote, teilweise bekommen die Erzeuger für die Arbeit eines Jahres noch deutlich weniger auf die Hand. Auf den Quadratmeter Reb-fläche gerechnet bleiben dem Wengerter so selbst bei einer erfolgreichen Vermarktung nur etwa 1,20 Euro. Wer nun noch die Kosten für Steuer, Sprit und Spritzmittel abzieht, landet unterm Strich bei ungefähr 70 Cent – zu wenig, um ernsthaft an eine Zukunft der terrassierten Steillagen zu glauben.

Zwar gibt es durchaus noch Wengerter, die aus purer Tradition über ihre Stäffele hecheln. Spätestens Kinder und Enkel aber winken bei einem Stundenlohn von umgerechnet 4,60 Euro dankend ab. Auch deshalb mehren sich die „Zu verkaufen“-Schilder, selbst in Musterlagen wie den Hessigheimer Felsengärten fallen immer mehr brach liegende Rebflächen ins Auge. „Der Steillagen-Weinbau steht kurz vor dem Aus“, bekennt selbst Hermann Hohl, Präsident des Weinbauverbands. Ändert sich nichts, so seine Sorge, drohen Dornen und Gestrüpp das Markenzeichen des Weinlands Württemberg binnen weniger Jahren zu überwuchern.

Unterstützung in der Lokalpolitik

Bereits im Vorjahr hat sich der Weinbauverband daher mit einer Idee an die Landespolitik gewandt. Der Erhalt der prägenden Steillagen, immerhin eine jahrhundertealte Tradition, müsse auch Vater Staat etwas wert sein – und sei es nur aus optischen Gründen. 5000 Euro, so die konkrete Forderung, solle pro Jahr und Hektar an die auf Rebterrassen ackernden Wengerter fließen.

Gehört wurde der Hilferuf in Stuttgart, getan freilich hat sich nicht viel. Landwirtschaftsminister Alexander Bonde (Grüne) reagierte mit dem Ratschlag, die auf den Steillagen produzierte Weinqualität künftig stärker ins Blickfeld zu rücken – und übers besondere Etikett bessere Preise zu erzielen.

Unterstützung finden die Wengerter mittlerweile in der Kommunalpolitik. Ludwigsburgs Landrat Rainer Haas unterzeichnete jüngst mit den Chefs lokaler Genossenschaften eine Resolution für den Erhalt der Steillagen, auch Helmut M. Jahn, Präsident des Landkreistags, griff zu Tinte und Feder. In Stuttgart hat die CDU das Thema für sich entdeckt – und fordert einen Runden Tisch zur dauerhaften Erhaltung der 200 Hektar Steillagen im Stadtgebiet: „Stuttgart wirbt zurecht mit dem Slogan Großstadt zwischen Wald und Reben“, sorgen sich Fritz Currle und Beate Bulle-Schmid, dass mit den Rebmauern auch das „mediterrane Flair“ verkommt. Stuttgarts Weinberge seien aus keiner Tourismusbroschüre wegzudenken – deshalb seien auch Anreize zur Pflege nötig.