Zwischen den Auftritten hatten die Gäste im Bauch des Theaterschiffs genug Zeit, sich auszutauschen. Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Der Neckar wurde geneckt, besungen, bespielt, über ihn wurde gelesen und in Reimform gesprochen – kurzzeitig wurde es sogar gespenstisch: Die Kulturparty des Cannstatt-Teams von Stuttgarter Zeitung und Stuttgarter Nachrichten auf dem Theaterschiff war ein Erfolg – und es haben sich ganz neue Neckarfantasien aufgetan.

Bad Cannstatt - Der jüngste Gast an Bord ist gerade einmal sechs Wochen und drei Tage alt. „Das ist Jule“, sagt der Papa Hans-Jürgen Bonacker stolz und wiegt das schlafende Mädchen in den Armen. Der Sillenbucher ist mit seiner Partnerin Eva Desseker und deren Töchtern Lena und Jette zur Kulturparty des Cannstatt-Teams von Stuttgarter Zeitung und Stuttgarter Nachrichten am vergangenen Montagabend auf das Theaterschiff gekommen. Die fünf waren mit rund 100 weiteren Lesern aus knapp 400 Bewerbungen für die Veranstaltung in der Reihe Neckarfantasien ausgelost worden. Mit am besten haben der Patchwork-Familie die Mundart-Gedichte von Bezirksvorsteher Bernd-Marcel Löffler gefallen. „Ich habe alles verstanden, obwohl ich ein Fischkopp bin“, sagt Eva Desseker, die aus Oldenburg stammt, und lacht.

Abendstimmung auf dem Theaterschiff. Foto: LG/Kovalenko

Zwischen den Programmpunkten, in denen sich verschiedene Künstler dem Thema Neckar in Wort, Schauspiel und Musik annäherten (siehe weitere Seiten), durften sich die Besucher auch selbst gedanklich dem Thema Neckar widmen. Ihre Ideen, Wünsche und Visionen für den Fluss konnten sie auf eigens für die Veranstaltungsreihe ausgeteilten Fragebögen mitteilen. Markus Much ist zum Beispiel überzeugt, dass das fehlende Bewusstsein der Stuttgarter für den Fluss in ihrer Stadt daran liegt, dass er nicht wie in anderen Städten durch das Stadtzentrum fließt. Der 38-Jährige aus dem Stuttgarter Westen ist mit dem Fahrrad viel am Neckar unterwegs. Wenn er zum Beispiel seine Eltern in Bietigheim besucht, fährt er bis Ludwigsburg am Neckar entlang. Besonders gut gefällt ihm der Uferabschnitt unter dem Viadukt in Bad Cannstatt. „Dort ist weniger Gebüsch und das Wasser zugänglicher.“

Die Sumpfschildkröte ist im Neckar beheimatet

Viel gelernt über den Fluss durch die Stadt, in der er arbeitet hat der Lokalchef der „Stuttgarter Nachrichten“, Jan Sellner, in den vergangenen Wochen, wie er in seiner Begrüßung auf dem Theaterschiff sagte. „Wussten Sie etwa, dass der Neckar in der Vergangenheit auf Stuttgarter Gemarkung von 20 auf zwölf Meter begradigt wurde?“, fragte er. Auch dass der am häufigsten vorkommende Fisch im Neckar die Schwarzmeergrundel sei – „also kein heimischer Fisch“ – sei ihm neu gewesen. Genauso habe ihn erstaunt, dass die Sumpfschildkröte am Neckar beheimatet ist. Es gebe eben für alle noch viel über den Neckar zu erfahren, ergänzte sein Kollege Holger Gayer, der die Lokalredaktion der Stuttgarter Zeitung leitet. „Die Stuttgarter wissen gar nicht, welcher Schatz durch ihre Gemarkung fließt“, sagte er in der Begrüßung.

Einer ist sich dessen sehr wohl bewusst: Roland Sitzler liebt besonders den Abschnitt des Neckars von Bad Cannstatt bis Aldingen. „Er sollte aber nicht nur Durchgangsstation sein“, bedauert der 65-Jährige. Er wünscht sich mehr Veranstaltungen am Wasser. „Es sollte kein Wochenende vergehen, an dem nicht irgendein Event stattfindet“, sagt er. Besonders gut gefallen dem Mann aus dem Bad Cannstatter Stadtteil Muckensturm der Max-Eyth-See und die renaturierten Uferbereiche in Mühlhausen.

In diese Richtung müsste seiner Meinung nach noch mehr gemacht werden. „Natürlich immer unter Berücksichtigung, dass der Neckar auch eine Schifffahrtsstraße ist.“ Bisher habe er den Stuttgarter Hafen immer als die fürchterlichste Stelle des Neckars empfunden. Bei einigen Streifzügen habe er nun aber entdeckt, „dass es dort auch wirklich schöne Ecken gibt“.

Kabarett mit und ohne Grenzen

Mustermann und die Motzlöffel

Der Flusskilometer 185 ist nicht irgendeiner. Dort grenzen die Stadtbezirke Wangen und Stuttgart-Ost aneinander. In den beiden Bezirken wohnen die drei Kabarettisten der Combo Mustermann und die Motzlöffel. Und immer, wenn sie miteinander proben wollen, müssen sie diese Grenze überschreiten – daher tauften sie ihr Programm für den Abend „Flusskilometer 185“. Die „drei Herren vom anderen Ufer“, wie sie scherzend anmoderiert wurden, zeigten in zwei kurzen Stücken, welche Grenzen am Neckar noch überschritten werden können: nämlich die zwischen Himmel und Erde und sogar jene zwischen Leben und Tod.

Mustermänner oder Motzlöffel: Ulrich Gohl (l.), Ulrich Heinz (in der Handpuppe) und Martin Ehmann. Foto: LG/Kovalenko

Grenzenlos ist ihre Fantasie bei den eigens erdachten Neckarfantasien. Ein Mineralbad in der Schleuse oder ein Stadtpark auf der alten Eisenbahnbrücke – Ideen, die in unserer Reihe bereits vorgestellt wurden – gingen Ulrich Gohl, Martin Ehmann und Ulrich Heinz längst nicht weit genug. Eine Marina in Wangen mit Casino, dem Cäsars Palästle, müsste es schon sein. Und ein 100 Meter langer Pier vor dem Leuze, an dessen Ende alle 20 Minuten der Nesenbach wie ein Geysir in die Höhe geschossen wird. Man wird ja wohl noch träumen dürfen.

Der Neckarflüsterer

Bernd-Marcel Löffler

Bernd-Marcel Löffler reimt mit Inbrunst. Foto: LG/Kovalenko

„Dr Nägger isch an broiter Fluss, er fließt nôch Mannheim, dann isch Schluss“ – ganz sachlich beginnt das Mundart-Gedicht von Bernd-Marcel Löffler, das er eigens für die Kulturparty auf dem Theaterschiff geschrieben hat. Doch es folgen Emotionen. Bernd-Marcel Löffler scheint eine ganz spezielle Verbindung zum Fluss zu haben: Der Neckar fließt

„durch unser schönes Württemberg,damit er sich für Baden stärk´

in das er fließen muss, der Arme,und leise murmelt, „Gott erbarm de!

Dürft i doch en Cannstatt bleiba,am Mühlgrün mir die Zeit vertreiba,

oder halt kurz nôch Heilbronn,wo verlischt die schwäbisch Sonn

omkehra und grad wieder z´rück,fließa zu meim großa Glück,

ond münda en da Bodasee,des wär a Sach, ja des wär schee.“

Ein echter Neckarflüsterer!

Gold für die Seele

Micha Schlüter

„Hier unten am Neckar, am Tore zur Stadt, hier hab’ ich heute den lieben Tag verbracht. Nichts hinterfragt, nichts mehr gewollt, nur hier zu sein ist wie Seelengold“ – treffender könnten die Zeilen aus Micha Schlüters Lied „Die Erinnerung reicht aus“ für diesen Abend gar nicht lauten.

Micha Schlüter kann singen – und schwimmen. Foto: LG/Kovalenko

Ebenfalls passend: der Titel seines Albums, aus dem der studierte Profi-Gitarrist und Musiklehrer auf dem Theaterschiff Lieder darbot: „Nichtschwimmer“ lautet er. Weder die Gäste noch der Musiker mussten ihre Schwimmkünste an jenem Abend auf dem Neckar unter Beweis stellen – wäre es so weit gekommen, hätte sich Schlüter aber natürlich über Wasser halten können. Der Album-Titel entstand so: In seinen Anfängen hat Schlüter stets im einstigen Schwimmbad im Haus seiner Eltern geprobt, wo das Becken kurzerhand mit einem Fußboden verschlossen worden war. Mit Schwimmen war da nichts mehr. Das Proben statt Schwimmen hat sich jedenfalls gelohnt: Seine mal lustigen, mal nachdenklichen Stücke im Stil der klassischen Liedermacherei, gepaart mit Einflüssen von Jazz, Pop, Folk oder Gipsy rundeten den wortreichen Abend wunderbar ab.

Ruhe am Industriehafen

Adrienne Braun

Ihr Erstlingwerk hat Harald Schmid „ungelesen für gut befunden“, wie der Entertainer auf dem Buchrücken zitiert wird. Und sicher hätte dem gebürtigen Schwaben Adrienne Brauns zweites Werk „Mittendrin und außen vor: Stuttgarts stille Ecken“ auch gut gefallen. Die Gäste der Kulturparty auf dem Theaterschiff belohnten die Lesung der Kolumnistin der Stuttgarter Zeitung jedenfalls mit großem Applaus. In ihrem Buch schreibt die gebürtige Hessin über Orte der Ruhe in der großen Stadt, die einen mit Menschenmassen, Stau und Großbaustellen schon mal an den Rand des Nervenzusammenbruchs treiben kann – eindrücklich beschrieben in ihrem Einleitungskapitel, das bei einigen Besuchern verständnisvollen Nicken auslöste.

Die StZ-Kolumnistin Adrienne Braun liest aus ihrem Zweitling. Foto: LG/Kovalenko

Im Kapitel über den Stuttgarter Hafen mit dem Titel „Karpfen und Brachsen“ beschreibt Adrienne Braun, wie sie sich an einem Wochenende am Hafen direkt am Wasser niederlässt. „Es ist wie ausgestorben“, beschreibt sie die Szene. Es weht eine Leichte Brise und „mit etwas Fantasie riecht es sogar nach Meer“. Nachmachen erlaubt!