Bruce Dern als Woody Grant in einer Szene des schwarzweiß Films "Nebraska". Foto: dpa

Déjà-vus en masse: Mit Charakteren von universeller Wahrhaftigkeit setzt Alexander Payne in dem Drama „Nebraska“ dem Mittleren Westen ein Denkmal.

Filmkritik und Trailer zum Kinofilm "Nebraska"

Stuttgart - Eine wichtige Rolle spielt in Alexander Paynes Filmen die Szenerie: In „Sideways“ (2004) schickte er zwei Mittvierziger in die sonnigen Versuchungen des kalifornischen Wine Country, in „The Descendants“ (2011) fand ein Witwer auf Hawaii zu sich selbst und seinen Töchtern, indem er Investoren und gierigen Verwandten das Familiengrundstück am Pazifik vorenthielt. Geboren ist Payne in Nebraska im Mittleren Westen der USA. Und diesem, vom mythisch aufgeladenen Herzstück der Nation abgestiegen zum desolaten Nirgendwo, setzt er nun ein sehr menschliches Denkmal.

Ein vermeintlicher Millionengewinn wartet auf den alten Zausel und geübten Trinker Woody Grant, doch er darf nicht fahren, und seine grantige Frau und seine desillusionierten Söhne glauben an einen Werbegag. Also möchte Woody zu Fuß die 900 Meilen von Billings, Montana, nach Lincoln, Nebraska, gehen, um sein Geld abzuholen. Schon wird darüber geredet, ob Woody ins Heim gehört, da erbarmt sich der jüngere Sohn David. Was er bald bereut, denn der Alte ist unberechenbar und verschwindet ständig in Spelunken. Sie passieren Woodys Geburtsort Hawthorne, kollidieren mit Verwandten und früheren Kumpels – und der Sohn erfährt en passant manches über die Lebensgeschichte seines Vaters, von dem er nichts geahnt hat.

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Köstliche Charaktere zaubert Payne in diesem Roadmovie auf die Leinwand. Bruce Dern bewahrt dem struppigen Herumstolperer Woody, der auf dem Bahndamm sein Gebiss verliert, eine große Würde. Will Forte gibt David als einen, der sich ständig dagegen wehren muss, herumgeschubst zu werden. June Squibb verkörpert den ewig nörgelnden Hausdrachen, Bob Odenkirk (der Winkeladvokat aus „Breaking Bad“) den mit der Ödnis seines Daseins hadernden Bruder, Stacy Keach einen alten Buddy ohne Musketier-Gen. Die unterbelichteten Redneck-Cousins können kaum weiter sehen als bis unter ihre Motorhauben, und wenn Woody nach Jahren seine vielen Brüder wiedersieht, bringen sie nur Belanglosigkeiten heraus oder schweigen einander an.

Diese Figuren sind weit mehr als Karikaturen: Jede einzelne ist erfüllt von einer großen, universellen Wahrhaftigkeit, und sie bescheren den Zuschauern Déjà-vus en masse. Payne inszeniert sie in Schwarz-Weiß, farblos wie kleine Existenzen, nach denen kein Hahn kräht. Und so trist und austauschbar die Städte erscheinen, so majestätisch wirken die Farmen, Felder und Scheunen außerhalb – wie aus dem Fotoalbum einer untergegangenen Welt.

Während die Mär von Woodys Millionen die Runde macht und überall Begehrlichkeiten sprießen, wird immer klarer, dass nichts nur schwarz oder weiß ist und vieles im Leben tieferliegende Gründe hat. Alte Weisheiten werden hier wieder lebendig: Nicht nur irren ist sehr menschlich, sondern auch, wider besseres Wissen nach dem oberflächlichen Schein zu urteilen.

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