Nazijäger Kurt Schrimm ist in Pension gegangen. Foto: factum-Weise

Vor Nazijäger Kurt Schrimm waren auch NS-Verbrecher nicht sicher, die sich ins Ausland abgesetzt hatten. Es sei denn, sie waren – wie die meisten – schon tot. Der 66-Jährige wünschte sich an seinem letzten Arbeitstag, dass sein Nachfolger sein Lebenswerk zu Ende führt.

- Herr Schrimm, werden Sie die Nazis vermissen?
Nach jetziger Einschätzung werde ich manches an meinem Job vermissen, manches nicht. Zu meiner Zentralen Stelle zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen in Ludwigsburg bin ich von meinem Heimatort Bondorf eineinhalb Stunden unterwegs. Aufgrund von Eisenbahn- oder Busstreiks häufig noch mehr. das schlaucht in meinem Alter.
Das ist alles?
Nein. Auch der Termindruck schlaucht. In den letzten Jahren ist das immer mehr geworden. Und auch das morgendliche frühe Aufstehen werde ich nicht vermissen.
Was wird Ihnen fehlen an Ihrem Job? Sie waren viel in Südamerika, da ist es schön.
Es stimmt, dass einen manche Kollegen vielleicht für die zahlreichen Dienstreisen beneiden. Zuletzt waren wir in Brasilien, um in Rio Archive zu durchforsten, die wichtige Hinweise versprachen. Die Archive waren jedoch in einem Zustand, in dem man sie nur in Schutzkleidung und Mundschutz betreten konnte. Bei 35 bis 40 Grad. Urlaub auf Staatskosten ist das nicht.
Kritiker behaupten trotzdem, dass Ihr Institut Geldverschwendung sei, da ja die wenigsten Naziverbrecher, die Sie aufspüren, noch am Leben sind.
Denen kann ich nur zurückgeben, dass uns die Kritik nicht treffen kann, weil wir die Gesetze nicht gemacht haben. Mord verjährt in Deutschland nicht. Und solange der Staat die Aussicht hat, Mord aufzuklären, ist er in der Pflicht, das zu tun. Und ich persönlich befürworte das auch.
Ihr Nachfolger wird der Ravensburger Oberstaatsanwalt Jens Rommel. Was gibt es für ihn noch zu tun?
In Europa und einigen südamerikanischen Ländern haben wir alle Quellen ausgeschöpft, da ist wohl nichts mehr zu holen. Aber in Russland zum Beispiel wurden Verbrechen begangen, deren Täter noch nicht zur Rechenschaft gestellt wurden.
Welche?
Die sogenannte Aktion Erntefest zum Beispiel. Am 3. November 1943 wurden im Distrikt Lublin 40 000 Juden erschossen. Die Befehlshaber – an erster Stelle Heinrich Himmler – sind tot oder verurteilt. Aber die Schützen sind bis heute weitgehend unbekannt. Wir vermuten, dass sich in russischen Archiven Hinweise auf die Täter finden.
Das ist aber nicht mehr Ihre Sache.
Richtig. Meinem Nachfolger wünsche ich, dass er das schafft, was ich nicht geschafft habe: alle Ermittlungsmöglichkeiten, die uns zur Verfügung stehen, auszuschöpfen.
Dann könnte man das Institut wirklich schließen.
Zumindest in seiner Eigenschaft als Ermittlungsbehörde. Das Justizministerium hat angekündigt, die Einrichtung nicht einfach zu schließen. Ich wäre dafür, dass dort Forschung betrieben wird. Es gibt genug Gedenkstätten an anderen Orten.
Der Philosoph Friedrich Nietzsche schrieb: „Wenn du lange in einen Abgrund blickst, blickt der Abgrund auch in dich.“ Gab es bei Ihnen solche Momente?
Wenn Sie meinen, wie man damit fertig wird, tagtäglich mit solchen entsetzlichen Verbrechen zu tun zu haben: Wenn man das nicht aushält, dann darf man diese Arbeit nicht machen. Sonst geht man lieber ins Betrugsdezernat. Aber es ist ja nicht der einzige Beruf, der für Außenstehende belastend wird. Ein Onkologe, der seinen Patienten fünf Todesurteile pro Woche verkünden muss, will man auch nicht unbedingt sein.
Es hat also nie belastend auf Sie gewirkt, tagtäglich mit den vielleicht schlimmsten Verbrechen der Geschichte zu tun zu haben?
Ich versuche meistens, das Ganze mit historischer Distanz zu betrachten. Es gibt natürlich auch emotionale Momente, aber nicht im Alltagsgeschäft. Emotional wird es beispielsweise, wenn man weiß, dass einer ein Massenmörder ist, es ihm aber nicht nachweisen kann.
Erzählen Sie!
Da gab es zum Beispiel den ehemaligen Obersturmbannführer Dr. Johannes Thümmler. Hinter dem war ich vier Jahre her. Ich bin überzeugt, dass er als Richter des Polizeistandgerichts in Auschwitz für mindestens tausend Morde mitverantwortlich war. Aber da die beiden beisitzenden Richter bereits verstorben waren, hat es für eine Anklage nie gereicht.
Und wenn es zur Anklage kommt, sagen Sie, habe kein Altnazi je Reue gezeigt. Auch beim Prozess gegen Oskar Gröning zuletzt haben Beobachter ihn als nicht besonders reumütig beschrieben.
Ach, Gröning ist doch ein Musterbeispiel an Reue gewesen! Wenigstens hat der seine Verbrechen gestanden. Da gibt es ganz andere.
Zum Beispiel?
Unser größter Erfolg waren die Ermittlungen gegen den Lagerkommandanten Josef Schwammberger, die zu einer lebenslangen Haftstrafe wegen Mord in 650 Fällen führten. Er war ein absoluter Überzeugungstäter. Ich bin überzeugt, hätte er die Möglichkeit gehabt, seine Verbrechen zu wiederholen, hätte er es genauso wieder getan.
Warum sind Altnazis so uneinsichtig?
Das wäre empirisch noch zu erforschen, aber ich habe das Bauchgefühl, dass Täter, die in ihrer Jugend nicht besonders beliebt gewesen sind, besonders grausame Mörder werden.
Mit der Terrormiliz IS bestimmt ein Schreckensregime die Medien, das ähnlich skrupellos gegen Andersdenkende vorgeht. Sind die jungen Gotteskrieger mit den damals jungen Nazis vergleichbar?
So weit würde ich nicht gehen. Aber wenn Faktoren wie Demütigung, Armut und eine Messiasgestalt zusammenkommen, kann das ziemlich üble Folgen haben. Große Sorge bereitet mir übrigens auch die Entwicklung der Rechtsextremen hier.
Inwiefern?
Hätten Sie mich vor einem Jahr gefragt, ob sich so etwas wie 1933 wiederholen kann, hätte ich klar verneint. Heute bin ich mir da nicht mehr so sicher. Unter gleichen Voraussetzungen könnte sich Ähnliches wiederereignen. Man muss sich Sorgen machen, wenn Menschen hier zum Streichholz greifen. Das kann dann schnell eskalieren.
Haben Sie nicht dazu beigetragen, für das Thema zu sensibilisieren?
In dieser Hinsicht sehe ich die Leistung des Instituts als eher bescheiden an. Wir führen die Täter ihrer gerechten Bestrafung zu, das hat aber kaum eine Wirkung auf die Zukunft.
Was haben Sie sich für den Ruhestand vorgenommen?
Ich werde ein Buch über meine Arbeit schreiben und mich sonst um meine Familie und meine Modelleisenbahn kümmern. Und widme mich meinen Waldstück, das ich mir gekauft habe.
Sie haben einen Wald?
Ja. Den pflege ich auch selber, das ist mein körperlicher Ausgleich, da ich kein Jogger oder Radfahrer bin.
Wissen Sie denn, wie man einen Baum fällt?
Mit der Motorsäge natürlich. Bis zu einem gewissen Stammumfang.
Wir Danken Ihnen für das nette Gespräch!
Und ich werde die Gespräche mit Journalisten vermissen. Aber nicht, dass sie nicht mehr jede Woche stattfinden.
 

Zur Person: Kurt Schrimm

1949 wird Kurt Schrimm in Stuttgart-Rohr geboren.

1968 absolviert er sein Abitur in Vaihingen. Darauf folgt eine dreijährige Ausbildung zum Steuerinspektor.

Ab 1971 studiert Schrimm Jura in Tübingen. Nach dem Staatsexamen ist er bei der Staatsanwaltschaft Stuttgart tätig.

Vom Jahr 2000 an leitet Schrimm die Zentrale Stelle zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen in Ludwigsburg.

Am 1. Oktober 2015 geht Schrimm in Pension. Er ist verheiratet und hat zwei Kinder.

Sein Nachfolger ist der Ravensburger Oberstaatsanwalt Jens Rommel, der noch diesen Monat damit beginnen wird, Schrimms Arbeit fortzusetzen. (sma)