Kurt Schrimm, der Leiter der weltweit einzigartigen Zentralstelle für NS-Verbrechen geht davon aus, bald ein Dutzend weiterer Nazis überführen zu können. Foto: dpa

Er lässt nicht locker: Oberstaatsanwalt Schrimm will weiteren früheren KZ-Aufsehern auf die Spur kommen - dafür reist er bald nach Brasilien. Doch knapp 70 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs läuft ihm die Zeit davon.

Er lässt nicht locker: Oberstaatsanwalt Schrimm will weiteren früheren KZ-Aufsehern auf die Spur kommen - dafür reist er bald nach Brasilien. Doch knapp 70 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs läuft ihm die Zeit davon.

Ludwigsburg - Der Leiter der weltweit einzigartigen Zentralstelle für NS-Verbrechen geht davon aus, bald ein Dutzend weiterer KZ-Schergen überführen zu können. „Wir stehen kurz davor, weitere Fälle aufzudecken“, sagte Oberstaatsanwalt Kurt Schrimm der Deutschen Presse-Agentur in Ludwigsburg. Die Behörde arbeite gerade eine Liste mit den Namen aller Aufseher im Vernichtungslager Auschwitz ab, insgesamt 6000 an der Zahl.

Die Namen der ersten 30 Verdächtigen waren zahlreichen Staatsanwaltschaften bereits übergeben worden. Die Angaben auf der Aufseherliste würden nun noch mit weiteren Quellen abgeglichen. Schrimm geht von einem Dutzend Fällen aus, die geahndet werden könnten.

Schrimm geht im kommenden Jahr in den Ruhestand

In der vergangenen Woche wurden in Baden-Württemberg, Bayern, Hessen und Nordrhein-Westfalen Wohnungen von 14 mutmaßlichen Helfershelfern in Auschwitz-Birkenau durchsucht. Der Verdacht: Beihilfe zur Tötung Zigtausender Menschen.

Die 30 Nazis waren aufgedeckt worden, weil die Ludwigsburger Forscher die Namen der Aufseherliste aus Auschwitz abgeglichen hatten mit Behördenunterlagen. „Zunächst hatten wir 49 Treffer, neun Verdächtige waren aber schon tot. Zwei konnten nicht mehr identifiziert werden, sieben sind im Ausland. Und Hans Lipschis, den früheren SS-Wachmann im KZ Auschwitz, hatten wir schon im Visier“, erklärte Schrimm. Die Staatsanwaltschaften müssten die Fälle schnell bearbeiten. „Es geht wegen des Alters der Verdächtigen um Monate“, betonte Schrimm.

Der Nazi-Jäger reist in der kommenden Woche mit Kollegen für zwei Wochen nach Brasilien. Dort wartet eine Mammutaufgabe: In Archiven warten hunderttausende Karteikarten der Einwanderungsbehörde. „Sie sind alphabetisch geordnet. Die Kriterien, nach denen wir Nazi-Verbrecher rastern sind: männlich, alleineinreisend mit einem Pass des Deutschen Roten Kreuzes und Einreisezeitpunkt.“ Falls man bei der Durchsicht auf spanische Nachnamen stößt, werden die Karteikarten beiseitegelegt. „Kein „anständiger Nazi“ heißt Rodriguez. Dafür sitzt man den ganzen Tag über den Namen Müller“, erklärte Schrimm, der im kommenden Jahr in den Ruhestand geht.

Chance einen lebenden Nazi-Verbrecher zu finden, geht gegen Null

Einmal schon habe er seine Tätigkeit an der Spitze der 1958 gegründeten Behörde um ein Jahr verlängert. „Nächstes Jahr ist für mich aber definitiv Schluss“, sagt Schrimm. Sei Nachfolger werde es schwer haben. „Er wird mit dem Bewusstsein antreten, dass die Chancen, einen lebenden Nazi-Verbrecher zu finden, ziemlich gegen Null tendieren.“

Bis dahin werden Schrimm und seine 19 Kollegen weiterfahnden und Hinweisen nachgehen. So wie bei dem wegen Beihilfe zum Mord verurteilten Aufseher im Vernichtungslager Sobibor, John Demjanjuk. Nur durch Zufall wurde dieser Fall von einem Kollegen von Schrimm entdeckt - im Internet. „Bei seiner Recherche im Netz stieß mein Kollege auf eine Meldung, wonach die US-Behörden Demjanjuk die US-Staatsbürgerschaft aberkennen wollen.“ Damit sei quasi klar gewesen, dass die Amerikaner neue Erkenntnisse im Zusammenhang mit dessen NS-Vergangenheit haben mussten.

Schrimm widersprach Berichten, wonach das Münchner Demjanjuk-Urteil die jetzigen Auschwitz-Fälle ermöglicht habe. Im Fall von Demjanjuk wurde ein Nazi-Verbrecher allein wegen seiner Tätigkeit als Aufseher verurteilt und zwar wegen Beihilfe zum Mord. Der damals 91-Jährige gebürtige Ukrainer erhielt vom Landgericht München fünf Jahre Haft.

„Dass für eine Verurteilung die reine Anwesenheit in einem Lager ausreicht, sieht der BGH aber schon seit 1969 so. Jedoch nur bezogen auf Vernichtungslager wie Treblinka und Sobibor. Die BGH-Richter schlossen Auschwitz-Birkenau aus. Wir sehen das anders: Was für Treblinka gilt, muss auch für Auschwitz gelten.“

Denn die Aufseher seien in Auschwitz an verschiedenen Stationen tätig gewesen: An der Rampe ebenso wie als Aufsicht für gefangene Juden, die ihre eigenen Landsleute in die Gaskammern treiben mussten. In Auschwitz, dem größten der nationalsozialistischen Todeslager, wurden mindestens 1,1 Millionen meist jüdische Häftlinge ermordet.