Im Fall Nawalny erhöht die Bundesregierung den Druck auf Russland. Der Kremlkritiker selbst erhebt schwere Vorwürfe gegen Ex-Kanzler Gerhard Schröder. Der SPD-Politiker wehrt sich.
Berlin - Es ist wohl die letzte Warnung, die Heiko Maas an die Adresse der Regierung in Moskau ausspricht: Russland müsse endlich „Licht ins Dunkel“ des Falles Nawalny bringen. „Wenn die Vorgänge nicht aufgeklärt werden“, drohte der Bundesaußenminister am Mittwoch im Bundestag, „dann werden zielgerichtete und verhältnismäßige Sanktionen gegen Verantwortliche auf russischer Seite unvermeidlich sein.“ Der nächste Schritt sind nun Beratungen der Europäischen Union über Strafmaßnahmen gegen Russland, das weiterhin jegliche Verantwortung für den versuchten Mord an dem Oppositionellen Alexej Nawalny bestreitet.
Giftstoff aus Regierungslabor?
Nach Experten der Bundeswehr sowie Laboren in Frankreich und Schweden bestätigte inzwischen auch die Organisation für ein Verbot der Chemiewaffen (OPCW), dass der Anschlag mit einem chemischen Nervengift der Nowitschok-Gruppe verübt worden ist. Diese unabhängige Analyse ist für die Bundesregierung nun der Anlass, den Druck auf Russland zu erhöhen. Der Giftanschlag sei ein „schwerer Bruch des Völkerrechtes“, der nicht ohne Konsequenzen bleiben könne, sagte Maas.
Öffentlich vorgelegte Beweise für einen gezielten Mordversuch unter Beteiligung offizieller russischer Stellen auf den international bekannten Kremlkritiker gibt es bisher nicht. Der Umgang mit dem gegen Nawalny eingesetzten militärischen Kampfstoff gilt jedoch als äußerst komplex. „Dieser Giftstoff stammt aus hochspezialisierten Laboren“, sagte der außenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Jürgen Hardt (CDU). „Er konnte nur mit Hilfe der russischen Regierung beschafft und hergestellt werden.“
Russland kritisiert „vorab geplantes Verschwörungsszenario“
Hardt forderte, „das enorme ausländische Vermögen“ der russischen Führungsclique um Präsident Wladimir Putin einzufrieren. „Jeglicher Giftgaseinsatz wird geächtet, weil er gegen geltende Normen der internationalen Staatengemeinschaft verstößt“, sagte der Unionspolitiker. „Für die Verantwortlichen darf ein solcher Verstoß nicht folgenlos bleiben.“
Die Regierung in Moskau nahm die Stellungnahme der OPCW zum Anlass, sich abermals als Opfer eines internationalen Komplotts darzustellen. In einer von der russischen Botschaft veröffentlichten Erklärung bezeichnete das Außenministerium in Moskau den Fall Nawalny als „groteske Geschichte“ und sprach von einem „vorab geplanten Verschwörungsszenario“, das auf die Regierung in Berlin, ihre „euroatlantischen Verbündeten“ und die OPCW zurückgehe. Maas wies „absurde Vorwürfe“ von russischer Seite zurück.
Nawalny verdankt sein Leben glücklichen Umständen
Nawalny war im August in Russland vergiftet worden und auf einem Inlandsflug schwer erkrankt. Sein Überleben verdankt er wohl nur einer Verkettung glücklicher Umstände. In einer Eilaktion war Nawalny nach Berlin ausgeflogen und in der Berliner Charité behandelt worden, wo er mehr als drei Wochen auf der Intensivstation lag. Inzwischen hat der 44-Jährige das Krankenhaus verlassen und hält sich mit seiner Familie weiterhin in Berlin auf. In mehreren Interviews schilderte der Politiker inzwischen, wie er seinen Beinahetod erlebte.
Nawalny lässt keinen Zweifel daran, dass er Russlands Präsidenten Wladimir Putin und dessen Staatsapparat hinter dem Mordanschlag sieht. „Wir wissen sehr viel über Putin und den Kreml. Aber einen Zivilisten mit Nowitschok zu vergiften, damit er im Flugzeug stirbt, das hätte ich selbst dem Kreml nicht zugetraut“, sagte Nawalny der „Bild“-Zeitung. „Aber jetzt ist es zweifelsfrei nachgewiesen.“
Schwere Vorwürfe gegen Ex-Kanzler Schröder
In dem Blatt erhob Nawalny auch schwere Vorwürfe gegen Altbundeskanzler Gerhard Schröder (SPD), der als Freund Putins gilt und enge geschäftliche Beziehungen zur russischen Energiewirtschaft pflegt. In der Debatte über Sanktionen gegen Russland hatte Schröder kürzlich zu Bedenken gegeben, dass die Verantwortung für die Vergiftung des Oppositionellen nicht geklärt sei. Schröder sei einmal der Kanzler des mächtigsten Landes in Europa gewesen, sagte Nawalny der „Bild“. „Jetzt ist Schröder ein Laufbursche Putins, der Mörder beschützt.“ Nawalny mutmaßte zudem, dass der SPD-Politiker von Putin „verdeckte Zahlungen“ erhalte.
Schröder ist nicht nur Aufsichtsratsvorsitzender des staatlichen russischen Energiekonzerns Rosneft sowie Aufsichtsratschef der Ostsee-Pipeline Nord Stream, als Verwaltungsratschef vertritt der Altkanzler auch das umstrittene Pipeline-Projekt Nord Stream 2, mit dem russisches Gas nach Deutschland gebracht werden soll. In einer Stellungnahme wies Schröder die Vorwürfe Nawalnys über die „verdeckten Zahlungen“ energisch zurück. „Er selbst sagt, dass er für seine Unterstellungen keine Belege habe“, erklärte Schröder.