Auf den ersten Blick fast ästhetisch, auf den zweiten schrecklich: eine Müllhalde aus Plastikflaschen Foto: Naturvision

Engagiert, nachhaltig und wahnsinnig angesagt: Das Naturvision-Filmfestival in Ludwigsburg zeigt, wie schön die Welt ist und wie gefährdet. Aber eben auch, wie sie bewahrt werden kann. Ein Glück, dass es das Festival noch gibt.

Ludwigsburg - Eine Geschichte erzählt von der glücklichen Kuh Samura. Glücklich ist sie, weil sie sechs Monate im Jahr auf weichen Böden mit saftigem Gras im Kreis ihrer Herde verbringen darf. Es gibt die Geschichte der Bauern, die Alternativen zur industrialisierten Landwirtschaft gefunden haben. Und neben vielen weiteren Geschichten gibt es auch die eines Start-ups aus Mainz, das mit einem Netzwerk aus 1500 Fischern den ersten Rucksack entwickelt hat, der aus 100 Prozent recyceltem Plastik aus dem Meer besteht. Festival für Natur, Tier, Umwelt und Nachhaltig heißt das Filmfestival Naturvision, das an diesem Donnerstag beginnt, offiziell. Aber genauso gut könnte es sich Festival zur Verbesserung der Welt nennen – ohne dass es vermessen wäre und ohne dass es das Publikum verprellen würde. Wobei ja, als Naturvision gegründet wurde, nicht absehbar war, dass die Umwelt so ein In-Thema werden würde.

Ein Chef mit Vision

Der Mann, der das Festival erfunden hat, ist ziemlich groß und von der Art braun, wie man es wird, wenn man viel an der frischen Luft unterwegs ist. Seine Haare sind weiß geworden, doch seine Augen verfügen über ein Strahlen, wie es oft Menschen haben, die für eine Sache brennen. Ralph Thoms ist jetzt 69 Jahre alt. Als er Mitte der 90er Jahre die Idee zu seinem Festival hatte, war er relativ frisch aus Afrika zurückgekehrt, wo er drei Jahre Entwicklungshilfe geleistet hatte. Ein weiterer Einsatz war nicht möglich, das Geld in der Entwicklungshilfe war knapp. „Dann mach’ ich halt was anderes“, sagte sich Thoms, der schon oft etwas anderes gemacht hatte.

Eine Ausbildung zum Fernmeldehandwerker zum Beispiel. Und später die Mittlere Reife in Abendkursen. Noch später, an der Uni in München, hat er mit Freunden einen kleinen Verlag inklusive Filmreihe gegründet. Und, nach der Rückkehr aus Afrika, wollte er dann – „warum auch immer“ – ein Festival für Tierfilme machen. Dass er für diese Idee belächelt wurde, scherte ihn nicht. Er ersann ein Konzept, suchte einen Ort und Geld – und im Sommer 2002 fand in Neuschönau im Bayerischen Wald das erste Naturvision-Festival mit Tierfilmen und etwa 5000 Besuchern statt.

Das Mikrohofhaus als Filmstar

In diesem Jahr ist auch das kleine Haus auf der Ludwigsburger Sternkreuzung Teil des Festivalprogramms. Weil es so schön zeigt, wie die Zukunft des Wohnens aussehen könnte. In einer Zeit, in der Boden immer knapper wird und Ressourcenschonung immer wichtiger. Das Mikrohofhaus ist keine acht Quadratmeter groß. „Und wo ist die Badewanne“, heißt die zehnminütige Dokumentation, die am Freitag um 15.30 Uhr im Openair-Kino auf dem Arsenalplatz zu sehen ist – und an der man auch schön sehen kann, warum Naturvision ein so angesagtes Festival geworden ist, das im vergangenen Jahr an die 11 000 Menschen besuchten.

Was massenhaftes Insektensterben für die Menschen bedeutet – kann man lernen bei Naturvision. Ob eine fair gehandelte Banane die Gerechtigkeit befördert – Naturvision zeigt die Antwort. Wie schön Patagonien ist oder Russland oder die Ostsee ist – kann man eindrucksvoll sehen bei Naturvision. „Ich wollte immer etwas bewegen mit dem, was ich tue“, sagt der Festivalleiter Ralph Thoms. Und dass Filme nun mal eine gute Möglichkeit seien, Menschen auf bestimmte Dinge aufmerksam zu machen. Allerdings ist es nicht selbstverständlich, dass Ralph Thoms und sein vielköpfiges Team diese Filme noch immer zeigen.

Vom Bayerischen Wald in die Region

Im Jahr 2011 nämlich hatte der Landkreis Freyung-Grafenau Ralph Thoms eröffnet, das Fördergeld für das Festival sehr, sehr stark zu kürzen. Und die Situation war nicht so, dass neue Finanziers Schlange standen. Naturvision im Bayerischen Wald war ja nur entstanden, weil es in den ersten drei Jahre üppig Geld von der EU zur Förderung des Grenzlandes zwischen Bayern und Tschechien gab. Was also tun ohne Geld?

Ralph Thoms schaute sich um, kontaktierte viele der Filmleute, die er im Laufe seines Festivallebens kennen gelernt hatte – und entdeckte schließlich Ludwigsburg. Die Stadt mit der Filmakademie, dem Referat für Nachhaltige Stadtentwicklung und sogar mit dem Nachhaltigkeitspreis – und inzwischen eben auch die Stadt, in der seit 2012 das Filmfestival Naturvision stattfindet. Wobei Naturvision viel mehr geworden ist als ein Festival, das an vier Tagen im Juli mehr als 120 Filme zeigt und für die besten davon Preisgelder von mehr als 40 000 Euro vergibt.

Lehrreiches Programm für Schüler

Im Februar hat Naturvision den Kongress „Plastikfreie Stadt“ in der Ludwigsburger Musikhalle veranstaltet. Und im März einen Workshop zur Herstellung von Wasch- und Putzmitteln. Seit diesem Jahr gibt es eine Matinee-Reihe im Kino Central, bei der Highlights aus dem Festivalprogramm gezeigt werden. Und das ganze Frühjahr über tourt Naturvision mit (altersgerechten) Filmen durch Baden-Württemberg und diskutiert mit Schülern. Zum Beispiel über den kleinen Ridoy, der in Bangladesch das Leder für Fußballschuhe herstellt. „Naturvision“, formuliert es der Oberbürgermeister Werner Spec im Programmheft, „setzt kontinuierlich thematische Akzente, die für die Zivilgesellschaft von zentraler Bedeutung sind.“

Als Ralph Thoms Naturvision gegründet hat, gab es keine Fridays For Future, es gab keinen globalen Protest gegen Glyphosat und keine aufsehenerregenden Volksbegehren gegen Artensterben. Es gab keine Idee für Unverpackt-Läden, und dass der Hambacher Forst mal zum Hüttendorf in den Baumwipfeln werden würde, war für viele vermutlich so unvorstellbar wie die Tatsache, dass der Wolf zurück kommt. Eigentlich, könnte man sagen, ist es traurig, dass die Themen von Naturvision so akut sind.

Andererseits sollte es aber wohl zuversichtlich stimmen, wenn Ralph Thoms sagt: „Wir sind noch lange nicht am Ende.“

Volles Programm an vielen Orten

Das Festival
Naturvision beginnt an diesem Donnerstag und dauert bis zum Sonntag, 14. Juli. Auf dem Arsenalplatz sind Filme für alle Altersgruppen zu sehen. Im Kino Central sind die Filme zu sehen, von denen am Samstagabend elf mit einem Preis ausgezeichnet werden. Insgesamt laufen mehr als 120 Filme.

Preise
Das Openair-Kino auf dem Arsenalplatz kostet keinen Eintritt. Für die Filme im Central gibt es Tickets zwischen acht und 35 Euro.

Specials
Für Kinder gibt es am Samstag und Sonntag jeweils ein eigenes Programm. Unter anderem können sie als Umweltdetektive ermitteln. An allen Festivaltagen ist auf dem Arsenalplatz ein Zukunftsmarkt mit nachhaltigen Produkten aufgebaut. In der Musikhalle findet am Freitag, 12. Juli, um 19 Uhr ein Science Slam statt. Karten dafür kosten zwölf Euro.