Der Zoff um brüchige Eichen, Zäune, Naturschutz und Naherholung schwelt in Sillenbuch weiter. Auch Versuche, die Besucher zu lenken, treffen im Eichenhain auf viel Unmut.
Keine 24 Stunden hat das gelbe Piktogramm ausgehalten, dann wurde es abgerissen. Den ersten Praxistest hat das neue Besucherlenkungskonzept im Eichenhain in Stuttgart-Sillenbuch nicht bestanden. Bettina Gliedstein und Ulrike Möck vom Referat Naturschutz und Landschaftspflege im Regierungspräsidium (RP) müssen notgedrungen auf Papier zeigen, was hier am Wegesrand eigentlich zu sehen sein sollte: ein Schild, das signalisiert, dass der Rasen nicht betreten werden soll.
„Die Wahrscheinlichkeit, dass Sie ein Tier zertreten, ist relativ hoch“, sagt Bettina Gliedstein. Ulrike Möck nickt. „Das ist kein Park und keine öffentliche Anlage. Es ist ein Naturschutzgebiet, das muss jeder kapieren“, sagt sie.
Schäden an den bis zu 400 Jahre alten Bäumen
Eigentlich ist das 34 Hektar große Areal mit den 200 knorrigen Eichen ein idyllischer Ort und ein beliebtes Naherholungsgebiet obendrein, seit Ende 2024 jedoch schwelt hier ein heftiger Streit. Losgetreten hat den eine Kontrolle des städtischen Garten-, Friedhofs- und Forstamts. Die Stadt hat als Eigentümerin der Fläche am Rand von Sillenbuch die Verkehrssicherungspflicht, und bei eben dieser Kontrolle haben Fachleute Schäden an den bis zu 400 Jahre alten Bäumen festgestellt.
Es bestehe Astbruchgefahr, manche der prägnanten Eichen seien nicht standfest. Da das RP als übergeordnete Behörde umfassende Schnittmaßnahmen aus Naturschutzgründen jedoch nicht genehmigt, sind Teile des Eichenhains mit Draht eingezäunt worden. Zum Schutz der Bevölkerung.
Manche sprechen von „Guantánamo“
Die Mehrheit aber ist stinksauer. Mancher stört sich an der neuen Ästhetik im beliebten Eichenhain, mancher fühlt sich gegängelt, mancher wähnt sich gar in „Guantánamo“. „Barbarisch“, „eiskalte Freiheitsbeschränkung“ und „extrem besucherfeindlich“ heißt es in Mails an unsere Redaktion.
Zäune werden seit Monaten regelmäßig durchgeschnitten, Plakate mit Sicherheitshinweisen abgerissen, Absperrgitter umgeworfen. „So was geht gar nicht“, sagt die Regierungspräsidentin Susanne Bay vor Ort. Sie wirbt für einen Dialog und gegenseitige Rücksichtnahme.
Die Behörden wollen es nun auf die sanfte Tour versuchen, setzen auf Aufklärung und Verständnis. Am Mittwoch präsentieren das RP und die Stadt neue Besucherlenkungsmaßnahmen, die Ruhe ins Idyll bringen sollen. Neue Wegmarken sollen helfen, die Menschen auf den beiden Hauptrouten zu halten, außerdem hat das RP zwei Audioguide-Touren kreieren lassen, die Kinder und Erwachsene mit Rätseln und Informationen über Flora und Fauna durchs Gebiet leiten.
Zwölf Fledermausarten sind im Gebiet nachgewiesen
Geplant sind zudem weitere Informationstafeln und auch eine Kinderrallye. „Man schützt nur, was man liebt, und man liebt nur, was man kennt“, sagt Bettina Gliedstein. Und vor Ort gibt es viel Schützenswertes. Zwölf der 25 heimischen Fledermausarten wurden vor Ort nachgewiesen, zudem gehört der seltene Magerrasen zu den bedeutendsten Gebieten für Wildbienen in ganz Stuttgart und beherbergt obendrein viele weitere bedrohte Insekten und Pflanzen. Auch historisch ist der Eichenhain als einstiger Hutewald und herzögliche Pferdeweide von Belang. „Ein kleiner Schatz“, resümiert Susanne Bay.
Offenbar kommen die neuen visuellen Elemente aber alles andere als gut an. Eine Anwohnerin im Joggingoutfit gesellt sich zur Gruppe, die gerade eine der 24 vom RP umgestalteten Sitzbänke beäugt. Dort liest man in Gelb den Spruch „Der Rasen ist für Arten da, nicht für Abkürzungen“. Die Frau spricht von einer „extremen Provokation und Bevormundung. Es kommt bei sehr vielen Leuten sehr negativ an“. Fakt ist: Seit den 50ern genießt der Eichenhain per Verordnung den höchstmöglichen Schutz. Kinderspiele, Picknicks, Hunde ohne Leine oder Fahrräder auf Trampelpfaden sind verboten. Große Schilder weisen seit Jahr und Tag darauf hin.
Faktisch interessiert das aber nur wenige. Vor allem am Wochenende geht es vor Ort rund, Kindergeburtstage oder Fotoshootings finden statt, Social-Media-Tipps sei Dank. Laut Bettina Gliedstein hat das Ordnungsamt bereits mehrfach Knöllchen verhängt. Tibor Wodetzky beweidet im Auftrag der Stadt seit 2019 mit Schafen und Ziegen Teile des Eichenhains, damit das Gelände nicht verbuscht, und beklagt pro Jahr fünf bis zehn tote Tiere – gerissen durch freilaufende Hunde. Weidezäune würden von etlichen Menschen nicht akzeptiert. „Sie halten sich einfach nicht an die Regeln“, sagt er.
Wer haftet, wenn jemandem ein Ast auf den Kopf fällt?
Laut Martin Körner, dem Leiter des kommunalen Referats für Klimaschutz, Mobilität und Wohnen, prüft die Stadt zurzeit rechtliche Fragen. Im Zentrum geht es darum, wer haftet, wenn jemandem im Eichenhain ein Ast auf den Kopf fällt. „Ich bin optimistisch, dass sich die Rechtsfrage so klärt, dass wir weitgehend auf einschränkende Maßnahmen verzichten können“, sagt er.
Das hieße, dass Zäune wieder abgebaut werden könnten. Und wenn die Stadt doch haftet? Dazu will er sich nicht äußern. Auch das RP hält sich bedeckt zur Frage, was passiert, wenn die sanften Lenkungsmaßnahmen nicht fruchten sollten. Ulrike Möck spricht von „Eskalationsmöglichkeiten“, zunächst wolle man aber beim „kleinen Besteck“ bleiben. Susanne Bay: „Ich glaube an die Vernunft der Menschen.“